Offener Brief an die Bundesregierung

Solidaritätsinitiative mit den demokratischen Kräften in der Türkei

Köln, 28. September 2016

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Außenminister,

kaum ein Tag vergeht, an dem sich die Menschenrechtslage in der Türkei nicht verschlechtert. Nicht erst seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli geht die Regierung gegen die demokratische Opposition vor. Nach wie vor wird der brutale Krieg im Osten des Landes gegen die kurdische Bevölkerung fortgesetzt. Alleine seit dem Abbruch der Friedensverhandlungen vor einem Jahr wurden hunderte Zivilisten durch türkische Spezialeinheiten umgebracht, mehrere Städte im Südosten der Türkei komplett zerstört und hunderttausende Menschen zu Obdachlosen. Ohne die politische Duldung der deutschen Bundesregierung könnten diese schweren Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Regierung nicht ungeniert stattfinden.

Ebenso wenig Verständnis haben wir dafür, dass – bisher unbemerkt von der politischen Öffentlichkeit – ein deutscher Staatsbürger seit Januar 2016 in der Türkei festsitzt und von den türkischen Behörden an der Ausreise gehindert wird. Der Politikschaftler Dr. Sharo Ibrahim Garip hat an der Kölner Universität bis 2004 studiert und am Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft promoviert. Vor zwei Jahren hatte er als Dozent an der Universität in Van im Osten der Türkei einen Lehrauftrag angenommen. Ihm wird vorgeworfen, Propaganda für eine Terrororganisation betrieben zu haben. Dabei war und ist sein einziges Vergehen, einen Aufruf der Initiative „Akademiker für den Frieden“ unterschrieben zu haben. Die Initiative „Akademiker für den Frieden“, die inzwischen mit dem Aachener Friedenspreis 2016 ausgezeichnet wurde, fordert in diesem Aufruf ein Ende des brutalen Krieges im Osten der Türkei und stellt klar, dass sie sich an diesem Verbrechen nicht mitschuldig machen werden. Diese Forderung, die trotz massiver Repression inzwischen von über 2.200 Akademikern unterzeichnet wurde, legt den Finger in die Wunde des Problems und fordert eine friedliche Lösung am Verhandlungstisch.

Wir fordern daher die Bundesregierung dazu auf:

Politisch dafür zu wirken, dass die türkische Regierung die Gewalt im Osten der Türkei beendet und die Friedensverhandlungen mit den kurdischen Organisationen wieder aufnimmt. Es kann und darf kein Wegschauen und kein „Weiter so“ geben, weil Menschenrechte universell sind und keinerlei politischem Kalkül, wie der Aufrechterhaltung des Flüchtlingspakts, zum Opfer fallen dürfen.

Wir erwarten ferner von der Bundesregierung, dass sie mit deutlicher Stimme die Einhaltung der nicht verhandelbaren, universellen Rechte auf Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Presse- und Religionsfreiheit von der türkischen Regierung einfordert und damit endlich der demokratischen Opposition den Rücken stärkt!

Außerdem fordern wir die Bundesregierung dazu auf, unverzüglich dafür zu sorgen, dass Herr Dr. Sharo Ibrahim Garip sein Recht auf Reisefreiheit wahrnehmen und die Türkei verlassen kann. Er ist seit Mitte Januar 2016 von seiner Dozententätigkeit suspendiert und wartet seit über acht Monaten in Istanbul auf seine Ausreise nach Deutschland. Dr. Garip muss seitens des diplomatischen Dienstes intensiver betreut und finanziell unterstützt werden. Es kann nicht angehen, dass deutsche Staatsbürger aufgrund einer Äußerung als Akademiker von einem Partnerland wie der Türkei als Verbrecher behandelt werden. Die Anklagen gegen die „Akademiker für den Frieden“ müssen fallen gelassen werden.

Zu den Erstunterzeichnern gehören u.a. Dr. Lale Akgün, Günter Wallraff, Prof. Dr. Norbert Finzsch, Wilfried Schmickler, Frank Schätzing, Rolly Brings, Prof. Dr. Bernhard Kempen, Ralf Woelk, Prof. Dr. med. Ulrich Prof. Dr. med. Ulrich Gottstein, Martin Singe, Memo Şahin, Otmar Steinbicker, Prof. Dr. Matthias Otten, Prof. Dr. Carmen Kaminsky, Prof. Dr. Christine Garbe, Prof. Dr. Angela Koch, Prof. em. Dr. Walther Dreher, Prof. Dr. Béatrice Hendrich.

Der Aufruf kann online unterzeichnet werden.


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