Gespräch mit Professor Mazin Qumsiyeh
Besatzung ist nicht das Problem
Von aixpaix.de-Korrespondentin Vanessa Keller / 22.05.2014
Es ist Rush-Hour, die Straßen sind voller Autos, keiner kommt voran. Die Sonne prallt in das schwarz- gelbe Taxi, in dem ich sitze. Ich erkläre dem Taxifahrer mehrmals wo ich hin möchte, doch durch fehlende Straßennamen eröffnet sich ein Problem. Mein Weg führt mich nach Beit Sahour. Dort treffe ich Mazin Qumsiyeh, Professor an der Universität Bethlehem und Autor des Buches Popular Resistance
.
Nach 20 Minuten komme ich an. Mazin begrüßt mich direkt am Taxi und bittet mich in sein Haus. Die geräumige Wohnung teilt er sich mit seiner Frau Jessi, einer amerikanischen Akademikerin, die vor sechs Jahren nach Deutschland kam. Sie bietet uns Tee an und wir nehmen in Wohnzimmer platz. Wir unterhalten uns über mich, meine Arbeit in Palästina, meine Erfahrungen mit der arabischen Kultur.
Popular Resistance
Doch ich komme nicht unvorbereitet. Mazin Quimsiyeh ist bekannt für seine kontroversen Themen. In seinem Buch Popular Resistance
geht es um einen Mittelweg zwischen Resignation und direkten Kampfhandlungen in einem besetzten Land, wie Palästina es ist.
Es spricht über die natürlichste Form des Widerstandes, eine individuelle Art sich gegen eine Besatzung zu wehren, durch eigene Stärken und die Sozialisation. Im Gespräch nimmt er mich als Besipiel, sagt mein Talent sei es zu schreiben in Lyrik und Journalismus und dies nutze ich für das Land Palästina. Ich sei also Teil des gewaltlosen Widerstandes.
Ich gebe ihm meine Fragen. Elf habe ich als Leitfaden für das Gespräch und für den Artikel vorbereitet. Er legt diese bei Seite, ich sei auf der falschen Fährte sagt er. Meine Fragen richteten sich an die beiden Gegensätze, die er im Buch anspricht- die Steinewerfer und die, die aufgegeben haben sich gegen die Besatzung zu wehren.
Die Besatzung ist nicht das Problem
Dann sagt er plötzlich etwas, was das Interview zu verändern scheint: Die Besatzung ist nicht das Problem.
Viele Menschen, die in Palästina leben würden dem sofort widersprechen, doch Mazin Qumsiyeh erklärt: Die Besatzung ist ein Symptom, das auf eine ganz andere Diagnose zurück zu führen ist. Die Diagnose, der wahre Grund für all das hier, ist Rassismus. Wenn Menschen dies verstehen, finden sie ganz anders Lösungen für den Konflikt.
Lösungsansätze und Weltwiderstand
Was könnten Lösungen sein?
, frage ich. Mazin beantwortet Fragen mit Gegenfragen. Er fragt mich ob ich andere Beispiele kenne, bei denen ein rassistisches Konzept zusammengebrochen ist. Ich bringe Südafrika ins Spiel, sage aber auch es gäbe bislang keine allumfassende Lösung, die Schere zwischen Arm und Reich ist heute noch an der Hautfarbe zu erkennen.
Mazin Quimsiyeh stimmt mir zu, das war es worauf er hinauswollte. Wenn die Besatzung morgen aufhören würde, hätten wir trotzdem Probleme. Wohin mit den Flüchtlingen? Israel muss boykottiert werden.
Er appelliert an die Länder dieser Welt: Es gab einen Weltwiderstand gegen das Apartheid- System in Südafrika. Allein dass Israel 15 Gesetze gegen nichtjüdische Menschen hat oder regelmäßig gegen die Genfer Konvention verstößt, sollte Anlass genug sein.
Mazin Qumsiyeh spricht hier die Siedlungen an. Laut Genfer Konvention dürfen Besatzer auf dem Gebiet, welches sie besetzten, keine Siedlungen bauen. Aber das ist nicht alles, Mazin und ich diskutieren noch ein weiteres Beispiel, den Artikel 13, Absatz 2 der UNO-Menschenrechts-Deklaration: Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.
Trotz der Unterzeichnung der Menschenrechts-Deklaration hält sich Israel nicht daran. Wer einmal nahe Bethlehem im Deheischa- oder Aida-Flüchtlingslager war, wünscht sich die Menschen in ihre alte Heimat, in ihre alten Häuser zurück. Hier ist Armut und auch die genannte Resignation spürbar.
Für Israel ist Frieden ein wirtschaftlicher Nachteil
Es gehe nur um Rassismus und seine Folgen. Nur die Nichtakzeptanz eines anderen Volkes führt zu solchen Symptomen. Israel braucht und will keinenFrieden, er ist für Israel auch wirtschaftlich ein Nachteil.
80 Prozent der Artikel in Palästina werden aus Israel importiert, die Waffenindustrie erzielt mehr und mehr Erträge. Der Zionsmus ist eine von Gaunern gemachte Politik.
(Original: Zinonist is a rackets' buisness
).
Apartheidsystem und Zukunftsvisionen
Doch am Ende glaubt Mazin an Frieden. Er wirft einen Blick zurück auf den Untergang des Dritten Reichs, die Beendigung des Apartheim-Systems in Südafrika und sagt Besetzung und Kolonialismus haben nie lang angehalten, einen Tages wird auch Palästina wieder für sich alleine stehen und ein eigener Staat sein. Ich wünsche mir für die Zukunft meines Landes, dass es einmal für Gleichberechtigung stehen wird
, träumt Mazin.
Nach drei Stunden ist der Tee kalt geworden, viel habe ich mitgeschrieben und kam kaum zum Trinken. Mazin steht auf und zieht sich ein Hemd über sein Shirt: Ich muss in die Universität, gleich beginnt meine Vorlesung.
Schnell machen wir noch ein Foto, bevor er mich an diesem Abend nach Hause fährt. Ich bedanke mich mehrmals und verlasse das Auto. Vor dem Tor drehe ich mich noch einmal um. Ich habe Mazin Qumsiyeh kennen lernen dürfen
, denke ich und freue mich, dass der Plan interessante Persönlichkeiten in Palästina kennen zu lernen um mit ihnen über Politik zu diskutieren, aufgegangen ist.