Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Lügengeschichte des Monats April 2016

Karl Grobe

Chinas Strafexpedition gegen Vietnam 1979

Solange der Vietnamkrieg andauerte, hielt die Sozialistische Republik Vietnam sich sorgfältig aus dem Konflikt zwischen Moskau und Peking heraus.

Das wiedervereinigte Vietnam trat am 29. Juni 1978 dem Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe bei und schloss am 3. November desselben Jahres einen Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Seit Mitte der Siebziger Jahre hatten sich die Beziehungen zwischen Vietnam und China verschlechtert, was zu regionalen Konflikten im ehemaligen Französisch-Indochina beitrug. In Kambodscha übernahmen die Roten Khmer die Macht (17. April 1975) und sicherten sich die Unterstützung durch China, ungeachtet ihrer Terrorherschaft. Am 30. April eroberten Nordvietnam und die Nationale Befreiungsfront Südvietnam. Der Konflikt eskalierte; im Dezember 1978 marschierte die vietnamesische Armee in Kambodscha ein und eroberte am 8. Januar 1979 die Hauptstadt Phnom Penh.

Am 17. Februar 1979 griff China an 26 Orten entlang der 1200 Kilometer langen Grenze Vietnam an und drang ein Dutzend Kilometer in das Land ein. Der vietnamesische Widerstand erwies sich als stärker als erwartet. Am 5. März zogen die chinesischen Truppen sich zurück. In Peking wurde verkündet, dass der „Amokläufer südlich der Grenze“ nun die verdiente Strafe für seinen Überfall auf Kambodscha und für die Verfolgung chinesischstämmiger Bewohner (vor allem in Saigon) erhalten habe. Damit war das entscheidende Motiv Pekings erklärt, und der Begriff „Strafaktion“ bürgerte sich ein. Eine Strafe, die der Tat auf dem Fuße folgte.

Diese Erzählung ist falsch. Chinas Führung war an Kambodscha nicht unmittelbar interessiert (mittelbar sehr wohl) und hatten andere Motive. Der „Fall Vietnam“ diente hauptsächlich zu ihrer Verschleierung.

Dabei liegt das tatsächlich entscheidende Motiv auf der Hand. Ein halbes Jahr vor dem vietnamesischen Einmarsch in Kambodscha – im Juli 1978 – hatte Deng Xiaoping dem Politbüro in Peking klargemacht, dass vor einer Bestrafung Vietnams erst die Beziehungen zu den USA normalisiert werden müssten. Das hatte noch andere Implikationen.

Am 10. Dezember teilte Chinas Vize-Außenminister Han Nianlong dem US-Geschäftsträger Leonard Woodcock mit, sein Chef – Deng – wünsche ihn am übernächsten Tag zu treffen. Nochmals drei Tage später stellten sich US-Präsident Jimmy Carter und Chinas Parteichef Hua Guofeng gleichzeitig den Journalisten und teilten auf parallelen Pressekonferenzen mit, dass nunmehr die vollen diplomatischen Beziehungen aufgenommen worden seien. Am Neujahrstag 1979 waren die Vertretungen beider Staaten zu Botschaften geworden. Ende des Monats, am 29. Januar, flog Deng nach Washington, bereiste die USA, stand einige Tage im Zentrum der Aufmerksamkeit der Massenmedien – und unterließ es nicht, bei jeder Gelegenheit die Notwendigkeit der Bestrafung Vietnams zu erwähnen, so wie zweitausend Jahre zuvor der römische Senator Cato jeden seiner Auftritte mit dem Satz beendete: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam (im übrigen bin ich überzeugt, dass Karthago zerstört werden muss). Es gab keine Widerrede. Also waren seine amerikanischen Zuhörer mit allem einverstanden oder hatten nichts begriffen.

Die Militäraktion war da längst angelaufen. Die noch wenig motorisierten chinesischen Streitkräfte benötigten Monate, um die Stellungen zu beziehen, von denen aus sie angreifen konnten. Allein der letzte Marschbefehl musste noch gegeben werden. Das geschah am 17. Februar 1979, eine Woche nach der Rückkehr Dengs aus den USA und Japan. Ausführende Organe waren Kadertruppen, die von Generalen wie Yang Dezhi, Xu Shiyou und einigen anderen kommandiert wurden, welche während der letzten innenpolitischen Kämpfe der radikalen Pekinger KP-Fraktion („Viererbande“) gegen die „Reformer“ dem aus der Hauptstadt vertriebenen Deng Schutz gewährt hatten – seine Fraktion.

Vietnams Vertrags- und Bündnispartner Sowjetunion war außerstande, in die Auseinandersetzung einzugreifen. An der Grenze lag meterhoch Schnee, so dass konventionelle Truppen sich kaum von der Stelle rühren konnten. Der Einsatz von Atomwaffen (auch nur die Drohung damit) war aber für Moskau undenkbar – denn die implizite Billigung des chinesischen Angriffs durch die USA bedeutete, dass China nun unter dem Schutz des US-Atomschirms stand. Und zwar unabhängig von seinem eigenen, gegenüber der UdSSR sehr kleinen Atom-Arsenal. Deng Xiaoping hatte durch das Doppel-Manöver mit den USA und gegen Vietnam den weltpolitischen Status Chinas verändert. Es hatte sich im Zusammenhang mit der damals fast zwanzigjährigen bitteren Feindschaft mit der „ersten sozialistischen Macht“ Sowjetunion mit der „ersten imperialistischen Macht“ USA zusammengetan. Das war der erste Zweck der Übung.

Der zweite: Der Erfolg des Manövers machte die Reformer-Fraktion in Peking und Deng persönlich unangreifbar. Im schwelenden Machtkampf mit den „Zentristen“ um Hua Guofeng hatte sie den entscheidenden Erfolg errungen. Um Vietnam, Kambodscha und Vietnam-Chinesen ging es überhaupt nicht mehr. Die militärisch wenig erfolgreiche „Strafaktion“ wurde nach knapp drei Wochen beendet. Die 1200 Kilometer langen Landgrenze zwischen China und Vietnam wurde in bürokratischer Schlichtheit festgelegt, die Streitpunkte im Südchinesischen Meer bleiben bis heute offen. Das belegt nochmals die These, dass die „Strafaktion“ mit mehreren außen- und innenpolitischen Dingen zu tun hatte, aber kaum mit Vietnam. Das Wort selbst ist eine Unwahrheit.


World Wide Web aixpaix.de

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Projekt Münchhausen

Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?

Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.