Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Lügengeschichte des Monats Dezember 2015

Andreas Buro

Pearl Harbor oder Opfer für den Kriegseintritt der USA1

Andreas Buro

Am 7. Dezember 1941 brach im US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor die Hölle aus. Von allen Seiten griffen japanische Kampfflugzeuge die ahnungslos im Hafen liegenden amerikanischen Kriegsschiffe an. Torpedos aus feindlichen U-Booten und alles was militärisch möglich war, wurde eingesetzt. Ein Inferno! 2476 US-Bürger kamen ums Leben. Die Empörung war riesig, insbesondere in den USA. Die Stimmung der Bevölkerung dort, der man eine extreme Haltung gegen jede Kriegsbeteiligung (Isolationismus) Herrschte, schlug in ihr Gegenteil um. Die USA durfte sich so nicht demütigen lassen. Der japanische Angriff wurde zu Recht als Kriegserklärung wahrgenommen. Deutschland, das mit Japan einen Beistandspakt hatte, erklärte den USA ebenfalls den Krieg. Die USA gerieten, wie es schien, unversehens in den Zweiten Weltkrieg.

Unversehens? Was heute nicht mehr zu bezweifeln ist, aber damals streng geheim gehalten wurde und so völlig unbekannt war, den Geheimdiensten der USA war es gelungen, die japanischen Codes zu knacken. Sie wussten deshalb bis auf den Angriffszeitpunkt genau Bescheid, was die japanische Admiralität plante. Sie hätten Gegenmaßnahmen treffen können, taten es aber nicht. Admiral Kimmel, der Oberbefehlshaber der US-Flotte im Pazifik, hätte ebenfalls Abwehrmaßnahmen vorbereiten können, tat es aber auch nicht. Ausgerechnet am 7. Dezember wurden zur US-Aufklärung nur Kurzstreckenaufklärungsflugzeuge eingesetzt, die keine Gefahr meldeten. Die sonst üblichen Langstreckenaufklärer blieben am Boden. Sie hätten mit Sicherheit die anrückende japanische Flotte entdeckt und Alarm schlagen können. Später wurden hochrangige Marineoffiziere beschuldigt und degradiert. Nur eine peinliche Panne?

Wie konnte das geschehen? Ein Untersuchungsausschuss wurde gefordert. Roosevelt kam dem zuvor, indem er einen eigenen handverlesenen Ausschuss installierte. In ihm war jedoch der Geheimdienst, der die japanischen Codes entschlüsselt hatte, nicht vertreten. Ein dicker Bericht entlastete die US-Führung. Den degradierten Offizieren wurde noch 2005 die Rehabilitierung versagt.

Waren die geschilderten Ereignisse schon sonderbar genug, so brachte die minutiöse Mammutstudie des Journalisten Robert B. Stinnett, eine tiefer liegende Ebene der US-Realpolitik zum Vorschein, die das geschilderte sonderbare Verhalten erklärt: Der engste Kreis um US-Präsident Roosevelt betrieb eine Politik Japan systematisch so zu provozieren, dass es dazu veranlasst wurde, die USA im Pazifik anzugreifen. Ein absurde Vorstellung? Nein! Man muss die Weltlage in dieser Situation einbeziehen.

Der Zweite Weltkrieg in Europa hatte zur Niederlage Frankreichs geführt und England war höchst bedroht. Deutsche U-Boote gefährdeten wirkungsvoll den Waffennachschub aus den USA. Würde der europäische Kontinent und vielleicht noch mehr unter nationalsozialistische Kontrolle fallen? Eine schwer erträgliche Vorstellung für die USA und ihre wirtschaftlichen Expansionsbedürfnisse.2

Immerhin ergriff der Präsident vier Initiativen, um das Land auf Krieg vorzubereiten. Er legte dem Kongress ein Wehrpflichtgesetz vor. Er ließ zweitens die Nationalgarde zum aktiven Dienst einberufen. Drittens lieferte er 50 US-Zerstörer an England und ließ sich dafür das Recht einräumen. britische Stützpunkte auf den Bermudas, Bahamas, auf Jamaika und St. Lucia, Trinidad und in British Guayana militärisch zu nutzen. Viertens unterzeichnete er eine Beschaffungsvorlage in Höhe von 5 Mrd. $ für den Aufbau einer Pazifik und Atlantik abdeckende Marine, die im Endausbau 100 Flugzeugträger mit umfassen sollte. Doch es war Wahlkampf und seine Gegner lagen ihm dicht auf den Fersen und bliesen kräftig in das isolationistische Horn.

Die Weltwirtschaftskrise war trotz der US New Deal Policy noch keineswegs überwunden. Ein Eingreifen in den Krieg dürfte Roosevelt dringend erschienen sein, doch die Bevölkerung der USA sah dies keineswegs so. So konnten die USA nicht direkt einen Angriffskrieg beginnen. Sie konnten die Legitimation für den Kriegseintritt nur erhalten, wenn sie selbst angegriffen werden würden. So dürfte wohl der Plan entstanden sein, die Japaner systematisch so lange zu reizen, bis sie bereit waren, zuzuschlagen. Klingt nach Verschwörungstheorie!

Der Fregattenkapitän Arthur McCollum, Leiter der Fernost-Abteilung des Office of Naval Intelligence, hatte vermutlich einen privilegierten Zugang zum Präsidenten, war er doch der vielleicht wichtigste US-Geheimdienoffizier im pazifischen Raum. Er überwachte die höchst geheime Entschlüsselung der japanischen Codes in den letzten Monaten vor dem Angriff auf Pearl Harbor und konnte so den Inhalt aller intra-japanischen Mitteilungen dem Präsidenten vorlegen.

Der Journalist Robert B. Stinnet stieß bei seiner jahrelangen Archivforschung auf ein Dokument von McCollum vom 7. Oktober 1940. In ihm wurden acht Stufen für US-Verhalten vorgeschlagen. Durch sie sollte die japanische Führung schließlich veranlasst werden, die USA in Pearl Harbor anzugreifen. In Stichworten fasst Stinett die acht Vorschläge so zusammen:3

A: Abschluss einer Vereinbarung mit Großbritannien über die Nutzung britischer Stützpunkte im Pazifikraum, allen voran Singapur.

B: Abschluss einer Vereinbarung mit Holland über die Nutzung von Anlagen und den Ankauf von Nachschubgütern in Holländisch-Ostindien.

C: Jede nur denkbare Unterstützung der Regierung Tschiang Kai-Scheks in China.

D: Entsendung eines Geschwaders schwerer Kreuzer mit großem Aktionsradius in den „Orient“, auf die Philippinen oder nach Singapur.

E: Entsendung zweier U-Boot-Geschwader in den „Orient“.

F: Konzentration der im Pazifikraum stationierten US-Kriegsschiffe im engen Umkreis der hawaiianischen Inseln.

G: nachdrückliches Einwirken auf die Niederlande, sich japanischen Forderungen nach unzumutbaren wirtschaftlichen Zugeständnissen, insbesondere im Hinblick auf Erdöl, zu widersetzen.

H: Verhängung eines vollständigen Embargos gegen jeden Handel mit Japan, im Zusammenwirken mit einem entsprechenden britischen Embargo.

Nun kann man sagen, es gäbe viele Pläne, die später keine Bedeutung gehabt haben. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Stinnett weist nach wie konsequent die USA ein Schritt nach dem anderen von den USA bis Pearl Harbor gegangen sind. Das es dabei um Kriegsvorbereitung gegen Japan ging wird in Tokio schnell erkannt worden sein. Die Punkte D und E bedeuten z.B. das schwere US Marineeinheiten in großer Nähe zu Japan („Orient“) stationiert werden. Bei der Durchführung der Punkte G und H wird den Japanern die Rohstoffzufuhr, von größter Wichtigkeit auch für die Aufrechterhaltung der japanischen Militärmaschine, abgeschnitten.

Das Ereignis von Pearl Harbor zeigt die strategisch weitreichende Manipulation des amerikanischen Präsidenten und seines engsten Kreises, um die amerikanische Bevölkerung kriegswillig zu machen. Der bereitwillig gezahlte Preis der 2476 Toten ist jedoch nach wie vor für die herrschenden Eliten so belastend, dass sie sich bis heute nicht trauen, die wirklichen Hintergründe für die Geopferten von Pearl Harbor einzugestehen.

1 Diese Lügengeschichte stützt sich weitgehend auf die umfangreichen Analysen des amerikanischen Analysten und Journalisten Robert B. Stinnett. Pearl Harbor, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt/M 2003.

2 S. hierzu die Lügengeschichte vom August 2015 „Der Kalte Krieg, made in USA? Von Andreas Buro

3 Das Memo von McCollum kann auf S. 432 des Buchs von Robert B. Stinnett. Pearl Harbor, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt/M 2003 nachgelesen werden.


World Wide Web aixpaix.de

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Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

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