Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.
Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Lügengeschichte des Monats Februar 2014
Andreas Buro
Münchhausen in Mali
Ganz im Sinne der sich einschleichenden Beteiligung der EU-Staaten an der militärischen Kontrolle West- und Nordafrikas wird aktuell von der Bundesregierung die Verlegung von Bundeswehreinheiten nach Mali vorbereitet. Das Motto: Mehr Verantwortung übernehmen. Der Grund hierfür ist angeblich die Entlastung des französischen Militärs, das im Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik interveniert. Gleichzeitig dehnt sich die deutsche logistische Hilfe weiter bis zu diesem Konfliktherd aus. Weshalb soll die Bundeswehr in Mali eingreifen?
Tuareg-Stämme nomadisieren in vielen Ländern der Sahel-Zone. Im Norden von Mali stellen sie rund ein Drittel der etwa 1,2 Millionen Einwohner. Sie verteilen sich auf viele Clans mit differierenden Interessen. Diese wünschen eine stärkere Beteiligung an den Reichtümern des südlichen Teils von Mali sowie mehr Autonomie. Es gibt eine lange Geschichte der Aufstände und Verhandlungen zwischen Nord und Süd. Doch eine befriedigende Lösung wurde nicht erreicht.
Am 6. April 2012 wurde im Norden Malis – weitgehend Wüste und Steppe – der unabhängige Staat Azawad durch Tuareg-Gruppierungen ausgerufen. Einige von ihnen verbündeten sich mit islamistischen Gruppen1. Städte im Norden wurden von ihnen erobert. Dabei gab es Gräueltaten, wie auch später durch südmalische Truppen. Erhebliche Flüchtlingsströme in Nachbarländer waren die Folge. Einen Anspruch auf die Beherrschung des Südens von Mali haben die Tuareg nicht erhoben.
In den Medien wurde die Gefahr beschworen, Süd-Mali und die Hauptstadt Bamako, weit im Süden gelegen, könne von terroristischen Islamisten und Tuareg überrannt und eine Gefahr für andere westafrikanische Länder entstehen. Das dürfe nicht zugelassen werden. Ein militärisches Eingreifen sei geboten.
Am 10. Januar 2013 bat der amtierende Präsident Malis Frankreichs Präsidenten Hollande um militärische Hilfe. Frankreich intervenierte sofort mit Kampfflugzeugen und Bodentruppen. Logistische Unterstützung erfolgte durch die USA, Großbritannien, Belgien, Dänemark und Deutschland.
Der UN-Sicherheitsrat stimmte nachträglich der französischen Intervention in verklausulierter Form zu. Am 25. April 2013 etablierte er mit der Resolution 2100 die United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA).
Die Städte im Norden konnten aufgrund der Überlegenheit der französischen Kriegstechnik bald zurück erobert werden.Doch punktuelle Guerilla-Aktionen halten noch an. Der erfolgreiche französische Militäreinsatz wurde als Intervention aus humanitären Gründen gefeiert. Soweit etwa die eingängige mediale westliche Sichtweise der Vorgänge.
Worum ging und geht es wirklich?
Mali, im nord-westlichen Teil Afrikas gelegen, wurde häufig als eine Modell-Demokratie gepriesen. Im fruchtbareren Süden von Mali besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen Reichen und Armen. Die Eliten in Politik und Militär sind äußerst korrupt. Sie partizipieren am Drogenschmuggel aus Lateinamerika nach Europa mit unvorstellbaren Gewinnmargen. Sie bereichern sich auch an Entwicklungshilfegeldern, zum Beispiel des Internationalen Währungsfonds (IWF), während bei der Bevölkerung kaum Mittel ankommen. Infrastruktur, Bildung und Gesundheit werden vernachlässigt. Diese Eliten sind Teil des neokolonialen Systems Francafrique und damit die engen Kooperationspartner Frankreichs und des Westens.
Nun putschte in dieser doch nicht so vorbildlichen Demokratie im März 2012 das malische Militär unter Führung niederer Ränge erfolgreich gegen den langjährigen Präsidenten Amadou Tourmani Traoré. Das gefährdete die Herrschaft der Eliten, zumal der Putsch viel Zustimmung in der verarmten Bevölkerung fand. Der Westen sperrte sofort alle Rüstungslieferungen und auch alle Gelder aus der Entwicklungshilfe, was im Süden zu schweren Notsituationen noch im gleichen Jahr führte.
Im Dezember 2012 drängte das putschende Militär den Ministerpräsidenten Cheik Modibo Diarra wegen Bereicherung aus dem Amt. Auch die Position des Übergangspräsidenten und damit des ganzen Establishments war in Gefahr. Das wurde durch die französische Militärintervention verhindert.2 Wer wollte schon angesichts der beschworenen Gefahr aus dem Norden die Regierung im Süden in Frage stellen!
Bereits am 29. Januar 2013 verabschiedete das Parlament einen Übergangsfahrplan (Feuille de Route). Dadurch wurden die geplanten concertations nationales, eine Art Volksversammlung aller gesellschaftlichen Gruppen, die auf einer breiten gesellschaftlichen Basis, über die alten Eliten von Präsident und Parlament hinaus, grundsätzliche politische Entschlüsse diskutieren und verabschieden sollten, verhindert. Dazu sollte auch ein Fahrplan für den politischen Übergang und für die Lösung der Krise im Norden sowie eine friedliche institutionalisierte Diskussion über die bestehenden Herrschafts- und Bereicherungsverhältnissen gehören. Dies alles fand nun nicht statt. Die sehr früh angesetzten Präsidentschaftswahlen wie auch die hoch korrupten folgenden Parlamentswahlen sicherten die alten Machtstrukturen weiter ab.
Um dies alles zu legitimieren, diente die Behauptung eines Angriffs von Tuareg und Islamisten auf Bamako. Doch diese Behauptung steht auf wackeligen Füßen. Islamisten und Tuareg verfügten nach Schätzung westlicher Geheimdienste höchstens über etwa 3.000 Kämpfer, womit sie niemals das riesige Gebiet Malis – etwa so groß wie Spanien, Frankreich und Polen zusammen – bevölkert mit etwa 12 Millionen Menschen – hätten kontrollieren können. Die Rebellen wollten vor allem den Flughafen im nahen Sevaré nicht weit von Goa, etwa an der Linie zwischen Süd- und Nord-Mali, besetzen, um dort die Landung von malischen und ausländischen Truppen zu verhindern. 3 Eine Bedrohung Bamakos war nie realistisch.
Doch warum sind Frankreich, Staaten der EU und die USA an dieser Politik der Verhinderung von Demokratisierung interessiert? Mali und die es umgebenden Länder sind sehr reich an Bodenschätzen. Zum Beispiel wird Uran in Niger durch den französischen Großkonzern Areva für die französischen Atomkraftwerke in großen Mengen abgebaut. Die Zusammenarbeit mit den korrupten Eliten ermöglicht günstige Konzessionen und Transportrouten. Diese müssen notfalls militärisch gesichert werden. Dazu unterhält Frankreich in seinen ehemaligen Kolonien militärische Stützpunkte in Niger, Mauretanien, Senegal, der Zentralafrikanischen Republik und Burkina Faso.
Frankreich versucht, die EU in diese Politik einzubinden. Anfang 2011 formulierte die EU bereits eine Strategie für Sicherheit und Entwicklung im Sahel. Gestützt auf diese Strategie, führten die USA, Frankreich, Deutschland u. a. Programme zur Ausbildung von Sicherheitskräften und zur Aufrüstung der Region durch. Die EU finanzierte umfangreich den Aufbau polizeilicher und militärischer Infrastruktur auch im Norden Malis. Das Mandat für die EU-Vorhaben in Mali umfasst auch das Hoheitsgebiet anderer Staaten in der Region. Das Mandatsgebiet für Lufttransport und Betankung für Truppenstellerstaaten der AFISMA (African-led International Support Mission to Mali) sowie das von Transit- und Anrainerstaaten bezieht sich sogar auf mehr als ein Drittel des gesamten afrikanischen Kontinents. 4
Auch die USA sind kräftig beteiligt. Seit 2004 fanden jährlich im ganzen Sahel-Gebiet unter dem Namen Flintlock umfangreiche Manöver fast aller Sahel-Staaten unter Führung von US-Truppen statt. Die USA haben 2007 ein eigenes Regionalkommando der US-Streitkräfte für Afrika (Africom) gebildet. In Niger – einem Nachbarstaat von Mali – ist eine Drohnen-Station eingerichtet. Mit Aufklärungsflügen von Burkina Faso und Sizilien aus hatten die US-Streitkräfte den französischen Mali-Krieg bereits vorbereitet und unterstützt.5
Die offizielle Legitimation für die militärischen Aktivitäten lautete Bekämpfung des Terrorismus. Doch die Tuareg-Gruppe MNLA, die bei ihrem Vormarsch am terroristischsten auftrat,6 stand in Nord-Mali unter speziellem französischem Schutz, durfte Kidal im Norden weiter kontrollieren und galt in Paris als die Vertretung der Tuareg aus Mali. So wurden unter dem Vorwand der Terrorismus-Bekämpfung die korrupten und geldgierigen Eliten des Südens an der Macht gehalten, denn sie sind fest mit den westlichen Interessen verbunden, von ihnen abhängig und so leicht zu dirigieren.
Entsprechend werden nun Räume definiert, die mehr oder weniger zum militärischen Hinterhof der EU erklärt werden, oder, um es in den Worten des stellvertretenden Unionsfraktionschefs Schockenhoff zu sagen: wir müssen in Afrika im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union Schwerpunkte setzen. Wir müssen nicht nur überlegen, wie wir enger zusammenarbeiten können, sondern wir müssen uns auch fragen, in welchen geografischen Regionen denn die Sicherheit Europas gefährdet ist. Eine solche Region sei laut Schockenhoff der Sahara-Gürtel.7
Dies ist der Marsch des Westens in die Wüsten und Dschungel Afrikas, um wirtschaftliche Interessen militärisch abzusichern. Dies geschieht unter der Legitimationsideologie einer humanitären Intervention. So werden wir belogen.
Ausführlicher zum Thema Mali:
Buro, Andreas und Ronnefeldt, Clemens: Der Mali-Konflikt oder: Der Kampf um die Kontrolle von Nord- und Westafrika. Hg. Kooperation für den Frieden. Monitoring-Projekt: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt und Kriegsprävention, Dossier VI, Bonn 2013
Wiedemann, Charlotte: Kriegsziel Restauration? Über Nationbuilding und Erneuerung in Mali, Heinrich Böll Stiftung (Hg.) Berlin, 3/2013
1 Ausführlich zu den Tuareg und anderen Rebellengruppierungen s. Ruf, Werner : Mali: Interessen, Intrigen, Interventionen, in: IMI-Standpunkte, Ausdruck 2/2013.
2 Frankreich intervenierte militärisch etwa 30 Mal seit der Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonien und unterhält in Niger, Mauretanien, Senegal, der Zentralafrikanischen Republik und in Burkina Faso militärische Stützpunkte.
3 Wiedemann, Charlotte: In zweifelhafter Mission, taz 21. 1.2013.
4 Marischka, Christoph: Wie der Terrorismus nach Westafrika kam, in: Friedensforum 2/2013.
5 FR 15.2.2013 und SZ 23./24.2.2013.
6 Wiedemann, Charlotte : Gao, Nordmali,, Le Monde diplomatique, 1/2014, 14-15
7 Marischka, Christoph, Akteur werden in Afrika, IMI-Analysen 3/2014
Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.
Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.
Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?
Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.