Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Lügengeschichte des Monats Mai 2014

Karl Grobe

Die Nazi-Mai-Lüge und ihre Opfer

Den leitenden Funktionären des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) ging der Fortbestand der Organisation über alles, und so begrüßte der Leitartikel der Gewerkschaftszeitung das gerade gesetzlich festgelegte Volksfest der nationalen Arbeit. Denn gerade hatte die Reichsregierung den 1. Mai zum Feiertag erklärt. Wie es manch einem schien – auch manch einem ADGB-Repräsentanten – hatte die Hitler-Regierung damit eine alte, grundsätzliche Forderung der Arbeiterbewegung erfüllt. Das war eine Täuschung.

Seit am 1. Mai 1886 die beiden großen (und damals radikalen) Gewerkschaftsföderationen der USA mit großem Erfolg zum Streik für den Achtstundentag (üblich waren zwölf Stunden Arbeit an sechs Tagen in der Woche) aufgerufen hatten, worauf ein bis heute unbekannter Provokateur in Chicago eine Bombe warf, die Polizei mit scharfer Munition in die Menge der Demonstranten schoss und das Blutvergießen als Haymarket-Massaker in die Geschichte der Arbeiterbewegung eingegangen war – seit jenen blutigen Kämpfen war der 1.Mai der Kampf- und Feiertag derArbeiterbewegung. Es war kein freier Tag: Wer an den Demonstrationen und Kundgebungen des 1. Mai teilnahm, trat für diesenTag faktisch in den Streik, ohne Lohnfortzahlung und oft mit der Folge, dass die Fabrikherren Strafen verhängten. Auch nach dem Ende des Kaiserreichs, in der Weimarer Republik, hatte sich das nicht geändert. Nun aber: Die Regierung Hitler, seit wenigen Monaten an der Macht und bei der die Reichstagswahl vom 5. März 1933 dank der Koalition mit den Deutschnationalen bestätigt, machte diesen Kampftag zum arbeitsfreien Tag und dekretierte sogar, dass Kundgebungsteilnehmern ein Maigeld von drei Mark – über vier Stundenlöhne! – gegen Vorlage derArbeitspapiere gezahlt wurde.

So werden denn auch am 1.Mai die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen mit denen marschieren, die den Bannern der Vorkämpferschaft des Staates vom 5. März folgen, freute sich der Leitartikler des ADGB-Organs. Es lag in der Logik dieses Kommentars, wenn ein anderer Autor im selben Blatt schrieb: Vom Nationalsozialismus unterschied uns keine andere Rangordnung der Werte Nation und Sozialismus, sondern lediglich um eine andere Prioritätsordung. Dieser Satz erschien, als schon eine Reihe gewählter SPD-Abgeordneter und die meisten der 81 in den Reichstag gewählten Kommunisten in Schutzhaft genommen worden waren, viele von ihnen wiederum überzeugte Gewerkschafter.

Und Hitler versprach: Das Symbol des Klassenkampfes, des ewigen Streitens und Haders, es wird sich nunmehr verwandeln zum Symbol der Erhebung, zum Symbol der großen Einigung unseres Volkes.

Das war eine Lüge. Gelogen war alles, was da als neue Harmonie verkündet wurde, eine Zeit des Zusammenfindens des deutschen Menschen, verkündet von Hitler. Und verlogen war die Geste, dass er als erster Reichskanzler in dieser Funktion die zentrale Rede zum 1.Mai hielt.

Betrogen war der ADGB, wie auch die anderen Gewerkschaften, die christlichen, die Hirsch-Dunckerschen, die ungebundenen Fachverbände. Am 2. Mai besetzte der Staat die Gewerkschaftshäuser und konfiszierte den Besitz der Organisationen – in der Hauptstadt wie in jeder Landes- und Provinzhauptstadt, in jedem Ort, an dem Gewerkschafter aus den Beiträgen der Mitglieder Büros und Bildungsstätten, Zeitschriften, Zeitungen und Verlage geschaffen hatten. Die Gleichschaltung in einer anderen Organisation folgte eine knappe Woche später: Am 6. Mai wurde die Arbeitsfront gegründet, die Arbeiter der Stirn und der Faust, Lohnarbeiter, Angestellte, Manager und Kapitalbesitzer zusammenfasste und in den Dienst des Staates vom 5. März stellte, hierarchisch von oben nach unten durchstrukturiert, und es gab kein Ausweichen mehr. Josef Goebbels, der die Massendemonstrationen orchestriert und alle demagogischen Mittel eingesetzt hatte, hatte zwar gewisse Befürchtungen, es könnte noch einmal Arbeiterwiderstand geben; er notierte gleichwohl Tage vor dem Maitag, dass am 2. Mai die Gewerkschaften aufzulösen waren (selbst das Mittel des leisest denkbaren Protests, die Selbstliquidation der Organisationen, war den Arbeiterorganisationen damit weggenommen).

Ein Jahr später war unübersehbar, was die Täuschung der Funktionäre und die Konfiskation des Gewerkschaftseigentums erleichtern sollte: die Militarisierung der Deutschen. Auf dem Tempelhofer Feld, dem Platz der zentralen Maikundgebung in Berlin, standen in den ersten drei Reihen Soldaten mit Stahlhelm und aufgepflanzten Bajonett, hinter der Reichswehr die paramilitärische Technische Nothilfe, die vorher eher als Streikbrecherorganisation aufgefallen war, dazu Feuerwehr, Polizei, Braunhemden, Reichsarbeitsdienst. Die Militarisierung des Staates war augenscheinlich geworden, auch wenn an jenem 1. Mai 1934 die große Mehrheit der angeblich anderthalb Millionen hierhin beorderten Teilnehmer noch in Zivil gekommen waren.

Die ADGB-Spitze ist schändlich naiv auf die Einheits- und Harmonieklänge der NS-Propaganda hereingefallen. Die Gleichschaltung – verbunden mit energischem Aufbau der Rüstungsindustrie und solcher Infrastrukturarbeiten wie dem Straßen- und Autobahnbau – disziplinierte die traditionell linke Arbeiterschaft. Sie ermöglichte die Aufrüstung, damit den Krieg, den Adolf Hitler und seine Gefolgsleute lange gewollt hatten.

Zur Literatur:

Michael Ruck, Vom Demonstrations- und Festtag der Arbeiterbewegung zum nationalen Feiertag des deutschen Volkes. Der 1. Mai im Dritten Reich und die Arbeiter. In: 100 Jahre Zukunft. Zur Geschichte des 1. Mai. Hrsg.v. Inge Marßolek, Frankfurt / Wien (Büchergilde) 1990, S. 171 ff; Christiane Harzig: Die Haymarket-Tragödie in Chicago 1886, ebd. S.55ff


World Wide Web aixpaix.de

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Projekt Münchhausen

Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?

Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.