Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.
Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Volker Matthies
Magdala – Der Krieg des britischen Empire gegen den Kaiser von Äthiopien (1867/68)
Im Jahre 1867/68 rückte in Gestalt einer indisch-britischen Armee eine gewaltige Streitmacht Großbritanniens gegen die Bergfestung Magdala des äthiopischen Kaisers Theodor vor, um eine Anzahl britischer und europäischer (auch deutscher) Gefangener zu befreien. Hintergrund der Geiselnahme durch Theodor war eine diplomatische Querele, die sich seit Herbst 1862 aus der Missachtung seines Briefes an die britische Königin Victoria entwickelt hatte. In diesem Brief hatte der Kaiser, der sein christlich geprägtes Reich zunehmend durch feindliche Kräfte des Islam (Türken, Ägypter, Sudanesen, muslimische Oromo-Stämme) bedroht sah, die „Christen-Königin“ Englands um Unterstützung gegen die „Türken“ gebeten. Doch entsprach ein solches Anliegen nicht den damaligen Interessen Großbritanniens. Dieses war an guten Beziehungen zum Osmanischen Reich interessiert, in dem man einen machtpolitischen Puffer gegen die Expansionspläne Russlands in Zentralasien sah. Zudem war die britische Textilindustrie in zunehmendem Maße auf die ägyptisch-sudanesische Baumwolle angewiesen, da infolge des US-amerikanischen Bürgerkrieges die Baumwoll-Lieferungen aus den Südstaaten zurückgingen. Angesichts dieser Interessenlage blieb der Brief des Kaisers unbeantwortet, der hierüber in wachsendem Maße erbost war und mit der Festsetzung von sich in Äthiopien aufhaltenden britischen und anderen europäischen Staatsangehörigen (Diplomaten, Missionare, Handwerker) seinem Unmut Ausdruck gab. Mit dieser Geiselnahme versuchte er, diplomatischen Druck auf Großbritannien auszuüben.
Aus dem Schicksal der Geiseln ergab sich in England eine wachsende bellizistische Stimmung, die auf eine „humanitäre Intervention“ zur Befreiung der Geiseln drängte, wie eine zeitgenössische Stimme deutlich macht: „Die an die englische Regierung brieflich gerichteten Bitten und Bestürmungen der Gefangenen, welche bereits seit … Jahren in täglicher, ja stündlicher Todesgefahr schwebten, wurden immer dringender…“. So kam es schließlich zum Sturm auf Magdala, zur Selbsttötung des äthiopischen Kaisers, der angesichts des aussichtslosen Widerstandes nicht lebend in die Hände der Engländer geraten und zu deren Gefangenem werden wollte, sowie zur Befreiung der Geiseln. Doch von einigen Ausnahmen abgesehen war aber deren Behandlung weit weniger schlimm, als es in England zuvor zu kriegspropagandistischen Zwecken dargestellt wurde. Der Zustand der befreiten Geiseln war viel besser, als es die Befreier nach vielen Berichten über Auspeitschungen, Fesselungen und Gräueltaten erwartet hatten. Sie waren gesund, gut ernährt und gut gekleidet und hatten auch noch immer ihre äthiopischen Bediensteten zur Verfügung.
Wenn auch die Befreiung der Geiseln das vordergründige Hauptziel der Strafexpedition war, so ging es letztlich hauptsächlich um andere Beweggründe und Interessen. Großbritannien wollte offensichtlich keinen Prestigeverlust in Ostafrika und in der Rotmeer-Region erleiden, zumal dieses Gebiet durch den Bau des Suezkanals eine wachsende geo-politische Bedeutung gewann. So wurde von einflussreichen Persönlichkeiten auf die Notwendigkeit hingewiesen, „durch eine exemplarische Züchtigung eines solchen, jedem Menschen- und Völkerrechte Hohn sprechenden Benehmens die Autorität und Würde des britischen Namens und der britischen Nationalehre aufrecht zu erhalten.“ Die Strafexpedition gegen Kaiser Theodor diente also vor allem der Bekräftigung des Vormachtanspruchs Großbritanniens gegenüber den Anrainerstaaten des Roten Meeres und des Indischen Ozeans, also entlang der Route nach Indien. Die sog. „Magdala Campaign“ gehörte kriegsgeschichtlich zu „Queen Victorias Little Wars“, die das viktorianische England in seinem imperialen Interesse gegen unbotmäßige Potentaten und Volksstämme hauptsächlich in Afrika und Asien führte.
Wenn die britische Diplomatie etwas klüger und geschickter mit dem Brief des äthiopischen Kaisers umgegangen wäre und eine umsichtige „Krisen-Prävention“ betrieben hätte, so wäre womöglich „kein Grund vorhanden gewesen sein, die Expedition überhaupt zu unternehmen, 6 Millionen Pfund Sterling zu opfern und einige Tausend schlecht bewaffneter Abessinier mit Armstrongkanonen und Hinterladern niederzuschießen“, wie ein zeitgenössischer deutscher Äthiopien-Kenner (Richard Andree) schrieb. Dieser Einschätzung ist auch aus heutiger Sicht nichts hinzuzufügen.
Quelle: Volker Matthies: Unternehmen Magdala. Strafexpedition in Äthiopien, Berlin 2010; überarbeitete und ergänzte Auflage: The Siege of Magdala. The British Empire against the Emperor of Ethiopia, Princeton, N.J. 2012
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Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.
Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.
Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?
Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.