Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Verlogenes des Monats Oktober 2014

Memo Şahin

Von den Kemalisten gebrochenes Versprechen führt zu 90 Jahren Kampf der Türken gegen die Kurden

Das osmanische Reich hatte mit seinen Alliierten den ersten Weltkrieg verloren. Im Vertrag von Sèvres (1920) wurde das Osmanische Reich zerteilt. Der heutige Irak wurde Mandatsgebiet von England, das heutige Syrien wurde zum Mandatsgebiet von Frankreich. Damit wurde das kurdische Siedlungsgebiet auf mehrere Staaten aufgeteilt Der Iran hatte sich nicht am ersten Weltkrieg beteiligt, so dass in Sèvres nicht über den Status der iranischen Kurden verhandelt wurde. Das große kurdische Siedlungsgebiet in der Türkei sollte einen Autonomie-Status erhalten mit der Option, sich bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen als selbstständiger Staat zu etablieren. Der Vertrag von Sèvres wurde von der osmanischen Regierung unterzeichnet, jedoch nicht von der neuen nationalen kemalistischen Bewegung akzeptiert.

Als der „Vater der Türken“, Mustafa Kemal „Atatürk“, gegen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, die weite Teile der osmanischen Gebiete besetzt hatten, militärisch vorging, brauchte er nicht nur die Unterstützung der Kurden im militärischen Bereich, sondern wollte auch die Sympathie der Kurden gewinnen, damit diese nicht einen eigenen Staat gründen würden.. Deshalb organisierte er in Erzurum, Amasya und Sivas Kongresse mit Vertretern der kurdischen Bevölkerung und versprach ihnen die Gleichberechtigung mit den Türken. Um dies zu besiegeln, deklarierte er das im April 1920 gegründete Parlament als eines der Türken und Kurden. Ihm gehörten auf Wunsch Atatürks auch kurdische Vertreter als Abgeordnete an.

Die Kurden, deren Siedlungsbereiche weite Teile des Osmanischen Reiches umfassten, griffen unter den verkündeten Perspektiven zu den Waffen und unterstützten Atatürks Kampf gegen die alliierten Besatzungsmächte. So wurden die Franzosen aus den kurdischen Provinzen um Maras, Antep und Urfa binnen kürzester Zeit vertrieben. Diese Provinzen wurden sogar mit Zusatznamen geehrt. Maras wurde zu Kahramanmaras (Heldenhafte Maras), Antep zu Gaziantep (Frontkämpfer Antep) und Urfa zu Sanliurfa (Ruhmreiche Urfa) umbenannt. Noch im Januar 1923 versprach Kemal Atatürk in Izmit den Kurden während einer Pressekonferenz volle Autonomierechte und bezeichnete die Kurden als Brudervolk in dem neuen türkischen Nationalstaat.

Bald stellte sich jedoch heraus, Atatürk hatte die Kurden bewusst belogen. Nachdem er sich mit den Westmächten im Sommer 1923 auf der Konferenz in Lausanne arrangiert hatte, vergaß er sein Versprechen und wandte sich brutal gegen das kurdische Volk. Die Kemalisten in Ankara setzten auf Zwangsassimilation und wollten aus dem osmanischen Vielvölkerstaat einen homogenen Türkenstaat formen. Der Schulunterricht in kurdischer Sprache wurde verboten und selbst die Wörter Kurde und Kurdistan. Später sagte der türkische Präsident Demirel, es gäbe gar keine Kurden, sondern nur rückständige Bergtürken. Viele kurdische Aktivisten, darunter auch von Kemal Atatürk ins Parlament geholte „Abgeordnete Kurdistans“ wurden verhaftet, einige von ihnen sogar gehängt. Alle kurdischen Organisationen und Vereine wurden geschlossen. In der Folge flohen viele der kurdischen Intellektuellen und bei den Osmanen gediente kurdische Offiziere.

Im kurdischen Amed (Diyarbakir) wurde ein Kriegsgericht (Istiklal Mahkemesi) installiert, obwohl kein Krieg bevorstand. Pläne zur Deportation von Kurden in die türkischen Regionen wurden ausgearbeitet. So wurde zum Beispiel die Führung der 1923 im Untergrund gegründeten kurdischen Organisation Azadi (Freiheit) durch Spitzel ausgeforscht und schließlich unter dem Vorwurf des Separatismus verhaftet. Das Ziel von Azadi war jedoch die Kurden zu organisieren, um später mit der kemalistischen Führung über die zugesagten Autonomierechte verhandeln zu können.

Zur Durchsetzung der Pläne nutzte man auch Provokationen, um die kurdische Bevölkerung zu gewaltsamen Reaktionen herauszufordern, wie etwa die schweren öffentlichen Demütigungen des bei den Kurden in der Türkei hoch angesehenen Scheich Said. Dadurch sollte die Legitimation für die Kurdenverfolgung geschaffen und Empörung in der türkisch-stämmigen Bevölkerung gegen die Kurden hervorgerufen werden.

Scheich Said war der geistige und religiöse Führer von hunderttausenden Kurden. Sein Einfluss reichte von Erzurum im Norden über Bingöl, Mus, Elazig bis nach Diyarbakir. Seine Äußerungen galten den Gemeindemitgliedern als Gesetz. Probleme und Streitigkeiten in seiner Gemeinde wurden nicht vor Gerichten, sondern durch ihn geschlichtet. Er war die größte Autorität in Kurdistan.

Das wussten auch die Kemalisten. Um ihn auszuschalten, haben sie ihm vorgeworfen, einen Aufstand vorzubereiten. Er wurde nach Amed gebracht und vor ein Kriegsgericht gestellt.

Scheich Said wurde am 29. Juni 1925 mit weiteren 46 Personen in Amed gehängt. Sie alle wurden in einem Graben beerdigt, auf dem später ein Kino errichtet wurde. Eine besondere Demütigung für die Kurden! Nach der Niederschlagung des „Aufstandes“ wurden Hunderte kurdischer Dörfer entvölkert und ihre Anwohner an die Ägäis deportiert, wo sie bis Mitte der 1960iger Jahre bleiben mussten. Seitdem hat es 28 kurdische Aufstände gegen die Türkisierung der Kurden gegeben. Seit 1984 bis heute kämpft die PKK gegen Ankaras Assimilationspolitik. Der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, wurde aus Kenia in die Türkei verschleppt und am Tag der Hinrichtung Scheich Saids vor 74 Jahren am 29. Juni 1999 zum Tode verurteilt, dann allerdings zu lebenslänglicher Haft begnadigt.

Das von den Kemalisten gebrochene Versprechen, die Kurden als gleichberechtigtes Brudervolk der Türken im neu gegründeten Nationalstaat Türkei anzunehmen, führte zu etwa 90 Jahren Gewalt und Gegengewalt. Ein Ende ist nicht abzusehen.


World Wide Web aixpaix.de

Weitere Lügengeschichten
Projekt Münchhausen

Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?

Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.