Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Lügengeschichte des Monats Mai 2014

Andreas Buro

Der Kampf gegen Irans nicht vorhandene Atomraketen

mit Zuarbeit von Clemens Ronnefeldt

In den westlichen Staaten wird seit vielen Jahren behauptet, Iran strebe nach Atomwaffen und wolle damit Israel oder sogar Staaten in Europa angreifen. Deshalb sei es auch erforderlich, Raketenabwehrsysteme zu installieren. Wie glaubhaft ist diese Anklage?

Der Grundstein des iranischen Atomprogramms wurde zu Zeiten der Schah-Herrschaft mit US-amerikanischer Hilfe gelegt. 1959 schenkte US-Präsident Dwight D. Eisenhower der Universität Teheran einen Forschungsreaktor, dem 1967 ein Leichtwasserreaktor folgte. Am 1. Juli 1968 unterzeichnete der Iran den Atomwaffensperrvertrag (NVV). Der Vertrag sichert seinen Mitgliedern das unveräußerliche Recht zu, die Kernenergie für friedliche Zwecke zu nutzen. Alle Vertragsunterzeichner verpflichten sich, den weitest möglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern (s. Artikel IV). Alle Vertragsmitglieder haben das Recht, den NVV mit einer Drei-Monats-Frist zu kündigen. Dies hat der Iran nie getan. Er hat also auch das uneingeschränkte Recht zur Uran-Anreicherung im eigenen Lande für friedliche Zwecke. Jede militärische Nutzung ist untersagt und mit Sanktionen bedroht.

Zum Ausbau der Kernenergie wurden bis in die 1970er Jahre zwischen den USA und dem Iran mehrere Abkommen getroffen. 1976 wurde dem Iran angeboten, eine Anlage zur Extraktion von Plutonium von den USA zu kaufen und zu betreiben. Die Vereinbarung bezog sich auf einen kompletten Nuklearkreislauf.

Nach der Machtübernahme der Ayatollahs 1979 unterstützten die USA und ihre Verbündeten in Europa den außerordentlich blutigen Angriffskrieg Iraks unter Führung von Saddam Hussein (1980-88) gegen Iran mit mehreren Hunderttausend Toten. Dabei hat Iran schlechte Erfahrungen mit den UN gemacht. 64 Giftgasangriffe Saddam Husseins – damals Freund des Westens – führten zu keiner einzigen UN-Resolution und Verurteilung der irakischen Kriegsführung.

Der Iran hat in historischer Hinsicht geradezu traumatische Erfahrungen mit der Intervention imperialer Mächte erlebt, die ihre speziellen Interessen auf Kosten des Landes durchzusetzen versuchten( vgl. Monitoring-Projekt Iran-Dossier Ib, hg. von der Kooperation für den Frieden)

Erst nach der Beendigung des Krieges mit dem Irak und einer Konsolidierungsphase wurde das Vorhaben Nukleartechnologie in den 90er Jahren wieder aufgegriffen und mit russischer Hilfe der Reaktor in Buschir fertig gestellt. Iran war und ist bis heute – anders als die Atomwaffenstaaten Israel, Indien und Pakistan - Mitglied des NVV.

Seit dem Sturz des Schah-Regimes und der Geiselnahme von US-Diplomaten durch iranische Studierende 1979 haben die USA Sanktionen gegen den Iran verhängt. 1995 und 1997 verschärften sie ihr Handels- und Finanzembargo mit der Begründung, Iran unterstütze den internationalen Terrorismus. Diese Sanktionen gründeten also nicht auf dem Vorwurf des Verstoßes gegen den NVV. Unter der Regierung von US-Präsident Bush jr. wurde der Iran 2002 auf der Achse des Bösen verortet. Erst im neuen Jahrtausend wurde Iran vorgeworfen, nach Atomwaffen zu streben und dabei gegen den NVV zu verstoßen.

Auf Druck der US-Regierung und der EU-3 (Deutschland, England, Frankreich) stellte der Gouverneursrat der International Atomic Energy Agency (IAEA) am 24. September 2005 fest, dass die bereits seit einem bis zwei Jahren bekannten Fehler und Tatbestände der Nichteinhaltung des Safeguards-Abkommens durch Iran als Verstoß im Sinne von Artikel XII.C des IAEA-Status zu werten seien. Das Safeguards-Abkommen wurde 1974 zwischen Iran und der IAEA abgeschlossen und soll verhindern, dass aus zivilen Atomprogrammen atomwaffentaugliches Material abgezweigt wird.

Zeitweilige Verletzungen dieses Abkommens sah auch Professor Martin B. Kalinowski, der sieben Jahre für die Teststoppvertragsorganisation in Wien tätig war: "Es gibt keine Beweise für die Existenz eines Kernwaffenprogramms im Iran. Allerdings hat der Iran vor Oktober 2003 seine Verpflichtungen aus dem Safeguards-Abkommen verletzt und zahlreiche verdächtige Aktivitäten betrieben, ohne sie zu melden und überwachen zu lassen. (...) Nach dem Aufdecken dieser Fehler bemüht sich der Iran seit Oktober 2003, mit reiner Weste zu erscheinen. Die Kooperation mit den IAEA-Inspekteuren wurde verbessert und mehr Transparenz hergestellt, wenngleich Hinhaltemanöver und widersprüchliche Angaben zu weiterer Skepsis Anlass geben".

Bei nüchterner Betrachtung fällt rückblickend auf, dass trotz berechtigter Kritikpunkte der EU-3 an der Atom-Politik Teherans die EU-3 durch ihre provokativen Maximalforderungen vom 5.8.2005 die Hauptverantwortung für das Abbrechen der Gespräche und die andauernde Eskalation tragen. "Zu den Gründen zählen die unrealistischen Annahmen über Teherans Verhalten und überzogene Forderungen" (SZ, 3.1.2006)..

Im Vergleich etwa zur Hochanreicherung von Uran im deutschen Forschungsreaktor Garching bei München, der Anreicherungspraxis von Brasilien oder zum Verhalten der US- Regierung, die sogar Indien, das den NVV nicht unterzeichnet hat, Nuklearmaterial lieferte, stellen die Vertragsverletzungen Irans bezüglich des Safeguards-Abkommens ein weit weniger starkes Vergehen dar. Sie werden nicht wie Iran von den USA militärisch bedroht.

In einem Spiegel-TV Interview vom April 2011 sagte der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) und Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei: Wir waren tatsächlich mehrmals kurz vor einer Lösung. Die Iraner waren 2003 bereit, aber die Administration des damaligen US-Präsidenten George W. Bush war es nicht (...) Ich halte mich strikt an die Tatsachen. Ein Teil davon ist, dass die Amerikaner und die Europäer uns wichtige Dokumente und Informationen vorenthalten haben. Sie waren an einem Kompromiss mit der Regierung in Teheran nicht interessiert, aber an Regimewechsel – durch jegliche notwendigen Mittel.

Dazu passt, dass es keine Beweise gibt, dass Teheran den Bau von Atomwaffen betreibt. Das ehemals vorhandene Programm ist nach Auffassung aller US-Geheimdienste vor 2004 beendet und seitdem nicht wieder aufgegriffen worden. Auch die IAEA hat keine Beweise. Selbst Israel glaubt nicht, Teheran verfüge bereits über Atomwaffen. Die Regierung in Jerusalem möchte verhindern, dass Teheran die ‚Nuklearwaffenfähigkeit’ erreicht.

Es gilt eine einfache Überlegung anzustellen. Iran ist umstellt von US-Militär mit Atomwaffen von fast allen Seiten. Israel verfügt über Atomwaffen und hat dank deutscher U-Bootlieferungen eine Zweitschlagfähigkeit (Second Strike Capability). Dazu verfügen beide Staaten über hoch entwickelte Raketenabwehrsysteme. Würde Iran nur eine einzige Rakete auf Israel oder US-Einheiten in der Region abfeuern, würde das den Untergang des Iran zur Folge haben. Daran kann die Herrschaft der Ayatollahs kein Interesse haben; diese sind durchaus sehr machtbewusst.

Während der Verhandlungen wurden die Angriffe auf iranische Atomwissenschaftler, Cyberwar-Attacken auf iranische Nuklear- und Ölanlagen neben einer Verschärfung der Sanktionen fortgesetzt. Die militärische Bedrohung gegenüber Iran wurde ständig verstärkt und ethnische Gruppierungen im Iran gegen Teheran mobilisiert. Das hat die offiziell gewünschte Vertrauensbildung konterkariert und Misstrauen verstärkt, während in Wirklichkeit die in Europa zu installierenden Abwehrraketen nichts mit dem Iran sondern etwas mit der Aushebelung des Abschreckungssystem zwischen Russland und den USA zu tun haben.

Eine einzige logische Schlussfolgerung ist aus diesem Verhalten zu ziehen. Die Anschuldigungen gegen Iran, seit 2003 Atomwaffen bauen zu wollen, waren bisher haltlos. Sie dienten lediglich der Legitimation des Ziels, den Sturz des Ayatollah-Regimes im Iran herbeizuführen. Die USA, die die Vorgaben des NVV bei sich nicht umsetzen und Israel, das dem NVV überhaupt nicht beigetreten ist, versuchten unter dem Vorwand, eine Atombewaffnung des Iran verhindern zu wollen, die Machtverhältnisse in Mittelost zu ihren Gunsten durch den Sturz des Ayatollah-Regimes zu verschieben. So wurden die Menschen im Westen belogen.

Heute ist diese Strategie gescheitert. Seit 2013 sind die USA zunehmend bereit, Sanktionen gegen den Iran schrittweise abzubauen. In Washington wird darum gekämpft, ob man ein konstruktives und mehr kooperatives Verhältnis zu Iran einnehmen oder den Bedrohungs- und Sanktionskurs beibehalten will. Dabei spielen die veränderten Machtverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten, insbesonder auch der Syrien-Krieg, eine wichtige Rolle. Die USA haben ihre unipolare dominante Rolle verloren.

Weiterführende Literatur:

Monitoring-Projekt: Andreas Buro und Clemens Ronnefeldt, Dossier Ib, Iran-Verhandlungen, Hg. Kooperation für den Frieden, Bonn 2012.


World Wide Web aixpaix.de

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Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

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