Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.
Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.
Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.
Lügengeschichte des Monats September 2014
Karl Grobe
Der Überfall auf den Sender Gleiwitz 1939
Die deutsche Nachrichtenagentur Europapreß meldete unter dem Datum des 1. September 1939: „Etwa um 20 Uhr am Donnerstag wurde der Sender Gleiwitz durch einen polnischen Überfall besetzt. Die Polen drangen mit Gewalt in den Senderaum ein. Es gelang ihnen, einen polnischen Aufruf in polnischer und zum Teil in deutscher Sprache zu verlesen. Sie wurden aber schon nach wenigen Minuten von der Polizei überwältigt, die von den Gleiwitzer Radiohörern alarmiert worden war. Die Polizei mußte von der Waffe Gebrauch machen, wobei es auf Seiten der Eindringlinge Tote gegeben hat.“ Das war das Stichwort für Hitler. Der sagte zwölf Stunden danach vor dem Reichstag: „Polen hat heute nacht zum erstenmal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt an wird Bombe mit Bombe vergolten!“
Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ formulierte in der Schlagzeile am Freitagabend: „Wie Deutschlands Gegenschlag nötig wurde“. Ihr Chefredakteur Karl Silex – er war später (1955-1963) Chefredakteur des Berliner „Tagesspiegel“ – leitartikelte über „Grenzzwischenfälle, bei denen durch den englisch-französischen Garantieschein aufgeputschte Polen glaubten deutschen Boden ungestraft betreten und sich auf ihm austoben zu können“. Der Krieg war dem Deutschen Reich demzufolge aufgezwungen worden.
Und alles war gelogen.
1. Der Krieg war Deutschland nicht aufgezwungen, sondern Hitler hatte ihn lange vorher geplant. Nach der Angliederung Österreichs (13. März 1938), der Zerschlagung der Tschechoslowakei (Münchner Abkommen vom 29. September 1938, Annexion des Sudetenlandes am 1. Oktober, Besetzung der „Resttschechei“ als „Protektorat Böhmen und Mähren“ und Abtrennung der Slowakei am 15. März 1939) konzentrierte sich die Propaganda bereits auf Polen. In einer Geheimrede vor der gleichgeschalteten deutschen Presse sagte Hitler am 10. November 1938, das deutsche Volk müsse ab sofort auf den Krieg psychologisch vorbereitet werden. „Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klar zu machen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. ...es war notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann.“ Der Generalstab war längst beauftragt, den Krieg zu planen.
Am 22. August 1939 sagte Hitler den Oberbefehlshabern: „Ich werde propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht.“ Am Tag danach schlossen Deutschland und die Sowjetunion einen Nichtangriffsvertrag (Hitler-Stalin-Pakt oder Ribbentrop-Molotow-Pakt genannt), der in Geheimklauseln unter anderem die Aufteilung Polens vorsah. Der Verweis auf polnische Grenzverletzungen diente dazu, den propagandistischen Anlass zu geben.
2. Der Sender Gleiwitz ist nie von Polen überfallen worden. Vielmehr waren es Deutsche, kommandiert von Sturmbannführer Alfred Naujocks. Dieser war am 10. August mit der Aktion beauftragt worden. Auf verschlüsselten Befehl aus Berlin („Großmutter gestorben“) ließ er am 31. August gegen 20 Uhr fünf oder sechs reguläre deutsche SS-Leute, verkleidet in polnischer Uniform, die Sendestation besetzen. Die den Sende bewachenden beiden Polizisten waren eingeweiht, der Pförtner abwesend. Die SS-Leute überwältigten und fesselten die vier Sendetechniker, sperrten sie in den Keller und mühten sich nun, das aus Breslau eingespeiste Programm zu unterbrechen. Die Sendestelle Gleiwitz hatte kein eigenes Studio. Sie war lediglich eingerichtet worden, um gegenüber dem nahen polnischen Sender Katowice ein ausreichend starkes Signal im Grenzgebiet zu erzeugen. Nur ein Mikrofon für Notfälle war vorhanden. Dieses wurde auf den Sender geschaltet. Darauf wurde der erwähnte Aufruf verlesen.
Beim Verlassen des Senders deponierten die SS-Leute den bewusstlosen Landmaschinenvertreter Franciszek (Franz) Honiok. Er war von einem SS-Arzt betäubt worden. Unbekannt ist, ob er an der Betäubungsspritze starb oder von Naujocks’ Leuten ermordet wurde. Sicher ist, dass er verhaftet worden war, um als Sprecher und möglicherweise auch als Verfasser des Aufrufs präsentiert zu werden.
Der üble Propagandatrick stellte die kleine Lügeinnerhalb der großen Kriegslüge dar. Übrigens hat Hitler in seiner Reichstagsrede Gleiwitz gar nicht erwähnt. Das taten die Zeitungen, getreu dem Auftrag vom November 1938 zur Genüge.
Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.
Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.
Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?
Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.