Paul Schäfer

Friedensbewegung: Worüber wir nachdenken müssen

25.02.2015

Paul Schäfer

Es ist ein geflügeltes Wort geworden: Wir leben in einer aus den Fugen geratenden Welt. Als überholt geltende Konflikte, wie zwischen der westlichen Staatengemeinschaft (NATO/EU) und Russland, eskalieren auf gefährliche Weise; im Nahen und Mittleren Osten droht eine ganze Region zu implodieren, ein Ende schrecklicher Gewalt ist nicht in Sicht. Diese Lage verlangt gebieterisch nach einer wirksameren Friedensbewegung, da die Regierenden entweder weiter Öl ins Feuer gießen oder nicht geeignet erscheinen, um dauerhafte und gerechte Lösungen auf den Weg zu bringen.

Manche sagen auch, dass wir eine neue Friedensbewegung brauchen. Und daran ist viel Richtiges. Damit soll die Arbeit der bestehenden Friedensgruppen und Friedensengagierten nicht schlecht oder klein geredet werden. Aber dass die heutige Friedensbewegung (sofern wir überhaupt von einer Bewegung reden können) weit hinter dem zurückbleibt, was heute erforderlich wäre, ist nicht zu übersehen. Andererseits scheinen die Voraussetzungen für eine wieder stärker werdende Friedensbewegung so schlecht nicht.

Die vergangenen Monate haben zweierlei gezeigt:

• Die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber militärischen Antworten auf die heutigen regionalen Krisenprozesse sitzt tief. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der konzertierte Versuch auf der letzten Sicherheitskonferenz in München, die Bevölkerung für eine stärkere militärische Rolle Deutschlands zu gewinnen, gefruchtet hätte. Mehr noch: Auch solche Militärinterventionen wie in Mali oder Libyen werden nicht als große Erfolgsgeschichte wahrgenommen, eher ist das Gegenteil der Fall.

• Die Eskalation des Konflikts um die Ukraine hat dazu geführt, dass sich die Menschen vor einer neuen West/Ost-Konfrontation Sorgen machen. Ein Blick in die Leserbriefspalten der Tageszeitungen belegt, wie stark das Bedürfnis nach einem Interessenausgleich und der Kooperation mit Russland ist.

Gegen Eskalationsgefahren auf die Straße zu gehen und eine konsequente Friedens- und Entspannungspolitik einzufordern, ist eine wichtige Aufgabe der Friedensbewegung. Die Vergangenheit hat allerdings gezeigt, dass wir nicht bei dieser Alarmfunktion der Friedensbewegung stehen bleiben können. Einfache Antworten oder das nur Dagegen-Sein reichen nicht aus. Die Unübersichtlichkeit und Komplexität der heutigen Welt(un-)ordnung verlangt immer wieder neu nach konkreter Analyse und nach der Erarbeitung nachvollziehbarer Alternativen. Dabei werden wir uns auch kritisch damit auseinandersetzen müssen, dass – auch als Reaktion auf diese „neue Unübersichtlichkeit“ eine beträchtliche Zahl von Menschen für vereinfachende Slogans und neue Freund-, Feindzuschreibungen anfällig ist. Dem sollte nicht besserwisserisch, von oben herab begegnet werden, aber es verlangt uns schon eine möglichst differenzierte Positionsbestimmung ab, die in stetem Dialog zu vermitteln wäre.

Die drei großen Themen für die Friedensbewegung der nächsten Zeit liegen auf der Hand:
Erstens: Neue europäische Friedensordnung.

Natürlich brauchen wir unmittelbar eine De-Eskalation des Gewaltkonflikts in der Ukraine. Wenn die Waffen schweigen, muss über längerfristigen Interessenausgleich und Versöhnung geredet werden. Aber es geht um viel mehr: Eine Neue Europäische Friedensordnung wird benötigt, mit der an den Hoffnungen und Festlegungen der Charta von Paris 1991 angeknüpft wird. Der Grundsatz der OSZE, dass Sicherheit im euro/asiatischen Raum unteilbar ist, also für alle Beteiligten gilt, muss endlich umgesetzt werden. Eine neue Phase der Vertrauensbildung, die den Weg zu einer Absenkung der Rüstungslasten statt neuerlicher Aufrüstung öffnet, muss im Rahmen der OSZE und ohne Vorbedingungen eingeleitet werden. Der umfassende Kooperationsansatz des KSZE-Prozesses – Gemeinsame Sicherheit, Energiepartnerschaft, intensive Wirtschaftsbeziehungen, Menschenrechte – ist wiederzubeleben und auf verbindlicher Grundlage festzuschreiben. Dafür ergreifen wir Partei und nicht für die eine oder andere Seite des aktuellen Konflikts. Gerade weil sich hier ein neuer geopolitischer Großkonflikt aufgetan hat, an dem verschiedene Akteure, wenn auch mit sehr unterschiedlichem Gewicht beteiligt sind und ihre Interessen zum Teil mit bracchialer Gewalt durchsetzen wollen, sollte die Friedensbewegung darauf bestehen, dass die Macht des Stärkeren in der künftigen Weltordnung nicht obsiegen darf, sondern durch die strikte Wahrung des Völkerrechts ersetzt werden muss. Daher wenden wir uns gegen die Instrumentalisierung internationaler Institutionen wie UN oder OSZE durch die Großmächte und wollen dass diese Einrichtungen endlich ihrer Aufgabe der internationalen Friedenssicherung und Streitschlichtung nachkommen können. Die Friedensbewegung sollte sich also auf ihre originären Grundlagen, ihren klaren moralisch-politischen Kompass, besinnen: Für Gewaltverzicht, für eine regelbasierte internationale Ordnung, in der sich nicht die Macht des Stärkeren durchsetzen darf, für die Verwirklichung der universellen Menschenrechte.

Zweitens: Frieden in Nahost.

Auch dort muss man aus der Spirale der Gewalt endlich aussteigen. Gewalt erzeugt Hass und neue Gewalt. Als Friedensbewegung werden wir uns daher weiterhin Einsätzen militärischer Gewalt in den Weg stellen, die oft nicht einmal zu einer De-Eskalation der Gewalt, sondern eher zu mehr Hass und Gewalt führt; von wirklichen und dauerhaft stabilen Konfliktlösungen gar nicht zu reden: In Nahost etwa wird es keinen Frieden geben, wenn nicht die seit Jahrzehnten aufgestauten Konflikte einer gerechten Lösung zugeführt werden. Dazu gehört die Zwei-Staaten-Lösung für Palästina ebenso wie eine Vereinbarung das iranische Atomprogramm betreffend. Oder einen Waffenstillstand für Syrien, der einen friedlichen und demokratischen Wandel des Landes ermöglichen könnte. Oder die Hilfe beim Aufbau eines irakischen Staates, in dem sich alle Bevölkerungsgruppen repräsentiert sehen.

Für beide Konfliktfelder brauchen wir noch mehr „positive Antworten“. Die regionalen Studien, die das Monitoring-Projekt von Andreas Buro und anderen vorgelegt hat, können dafür als gutes Beispiel dienen. Wir müssen uns darum kümmern, dass wir mit diesen konstruktiven Vorschlägen eine größere Öffentlichkeit erreichen können.

Drittens: Gegenentwurf zum neuen Weißbuch „Deutsche Sicherheitspolitik“

Die Bundesregierung hat für Ende des Jahres die Verabschiedung eines neuen Weißbuchs über die künftigen Linien deutscher Sicherheitspolitik angekündigt. „Großzügigerweise“ hat man eine parlamentarische, d.h. auch öffentliche Debatte zu diesem Dokument eingeräumt. Das sollten wir als nachdrückliche Aufforderung verstehen, uns einzumischen. Diese Debatte könnte auch eine Chance sein, unsere Alternativpositionen einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Wer dabei meint, das dazu Nötige sei längst gesagt, ist allerdings auf dem Holzweg. Dass wir selber dabei einen großen Klärungsbedarf haben, ist weiter oben schon angedeutet worden. Daher sollten die dafür notwendigen konzeptionellen Arbeiten zügig begonnen werden. Dazu gehören solche Fragen wie:

Wie ist die deutsche Politik in der Ukraine-Krise exakt einzuschätzen? Was sollte eine Bundesregierung tun, was kann sie nur im europäischen Verbund bewirken? Wie ist das künftige Verhältnis zu Russland, aber auch den USA zu gestalten? Wie kann man sich konkret eine Europäische Friedens- und Sicherheitsordnung (nach den vollzogenen Grenzveränderungen) vorstellen, welchen Platz sollen NATO, EU, OSZE einnehmen (wenn überhaupt), wie soll mit den zahlreichen eingefrorenen Konflikten umgegangen werden? Oder: Wie wollen wir auch im EU-Rahmen die Kapazitäten friedlicher, ziviler Konfliktbearbeitung stärken?

Breite Bündnispolitik nötig

Wir werden diesen schwierigen Aufgabe nur nachkommen können, wenn wir mehr Mitstreiterinnen überzeugen und mehr Gesprächs- und Bündnispartner gewinnen können.

Mit anderen Worten: Um diesen neuen Anforderungen genügen zu können, ist eine Öffnung der Friedenbewegung unumgänglich. Was ist darunter zu verstehen?

Das fängt bei den „nächsten Freunden/Freundinnen“ an: In den vergangenen zwanzig Jahren haben sich aus der alten Friedensbewegung verschiedene Politikansätze herausgebildet. Eine Gruppe hat sich professionalisierter Friedensarbeit verschrieben und baut seitdem am Instrumentarium ziviler Konfliktbearbeitung. Die dort gesammelten Erfahrungen in der praktischen, aber auch theoretischen Arbeit (Ziviler Friedensdienst etc.) sind für die Formulierung friedenspolitischer Alternativen heute unverzichtbar. Und: Das Bewusstsein über die Notwendigkeit, sich wiederstärker in die Politik einmischen zu müssen, ist dort gewachsen.

Gerade in jüngster Zeit ist wieder Kritik an einer Friedensforschung laut geworden, die vielen in der Friedensbewegung als zu angepasst gilt, die viel zu sehr auf Regierungsberatung ausgerichtet ist usw. Nun kann darüber gestritten werden, was an dieser Einordnung richtig oder falsch ist, aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass auch in dieser Friedenswissenschaft Erkenntnisse zutage gefördert werden, auf die die Bewegung angewiesen ist. Wir sollten daher wieder stärker auf die Kolleginnen und Kollegen in den Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen zugehen und den kritischen Dialog suchen. Dialog heißt aber immer auch, die eigenen Auffassungen und Schlussfolgerungen zu prüfen, in Frage zu stellen und ggf. zu modifizieren. Vielleicht hat die Auseinanderentwicklung zwischen Friedensforschung und Friedensbewegung in der Vergangenheit auch etwas mit diesem Sachverhalt zu tun?

In der Friedensbewegung der achtziger Jahre waren Kenntnisse in Sachen Militärstrategie, der Waffentechnik, sicherheitspolitischer Doktrinen etc. gefragt. Damit allein kommt man heute nicht mehr allzu weit. Einsichten in die großen geopolitischen Grundlinien sind unverzichtbar – damals wie heute – können aber auch nicht Detailkenntnisse über die regionalen/lokalen Konfliktfelder ersetzen. Daraus folgt, dass die Verbindung zu den Netzwerken/Initiativen/Menschen, die in der Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik aktiv sind, heute von vordringlicher Bedeutung ist. Deren Vor-Ort-Einsichten und Erfahrungen werden gebraucht, um überhaupt Konzepte und Vorschläge zu internationalen und innergesellschaftlichen Konfliktlösungen formulieren zu können. Und: Allein der letzte Jahresbericht von amnesty international, der eine harte Kritik an der deutschen Rüstungsexportpolitik enthält, zeigt, welche Schnittmengen zwischen der Menschenrechts- und der Friedenspolitik heute bestehen. Leider ist der richtige Ansatz, Friedensbewegung und die bei VENRO organisierten Gruppen und Weitere zusammen zu führen, nach einem Konferenz-Versuch in Hannover 2011 nicht weiterverfolgt worden.

Die oben angerissenen Problemlagen führen unseres Erachtens auch zu einer wieder steigenden Sensibilität für die Friedenspolitik in den christlichen Kirchen – und auch in den Gewerkschaften. Gerade hier, wie jüngste Initiativen in NRW zeigen, ist etwas in Bewegung geraten. Wenn sich die Friedensbewegung wieder zur Mitte der Gesellschaft öffnen will (und das wird sie bei Strafe des Untergangs tun müssen!), dann wird sie an diesen gesellschaftlichen Großgruppen nicht vorbei kommen. Gerade im Punkt Rüstungswirtschaft, Rüstungsexporte gibt es dabei wichtige Berührungspunkte bzw. zu erschließende Kooperationsfelder.

Eine Friedensbewegung, die diese Kooperationen künftig besser organisiert, ist auch eher in der Lage, überzeugend auf die Menschen zuzugehen. Dazu gehören Veranstaltungen und Streitgespräche in Schulen, anderen Bildungseinrichtungen, den Akademien der Kirchen, Informationsstände auf den Marktplätzen wie Konferenzen zu den großen Tagesthemen.

Es reicht nicht, darüber Klage zu führen, dass sich die Friedensbewegung „in einer gesellschaftlichen Nische“ eingerichtet hätte. Es ist ja wahr. Aber nur mit dem Appell, diesen misslichen Zustand ändern zu wollen, ist es nicht getan. Vor allem wenn dieser Appell mit der Fortsetzung allzu selbstgewisser Verhaltensweisen verknüpft wird, wird die Forderung nach einer „Öffnung der Friedensbewegung“, die seit geraumer Zeit die Runde macht, zu einer hohlen Phrase. Bewegungen, die im Laufe der Jahre auf einen „harten Kern“ zusammengeschmolzen sind, neigen dazu, sich immer wieder als die einzig Wahren und Aufrechten zu bestätigen. Auch dies muss endlich selbstkritisch thematisiert werden. Wir müssen uns wieder auf Stärken der Friedensbewegung besinnen, die in den achtziger Jahren viele Menschen auch wegen ihrer moralischen Überzeugungskraft und ihrer Dialogfähigkeit geprägt hat.

Wir werden in naher Zukunft beides verknüpfen müssen, das öffentliche Engagement für unsere Forderungen und das Nachdenken über geeignete und wirksame Strategien, über unsere Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, und über uns selbst. Dieser Nachdenkprozess wird aber nur in Offenen Foren gelingen und nicht in „machttaktisch“ bestimmten Konferenzscharmützeln.


World Wide Web aixpaix.de