Otmar Steinbicker
Ankündigung einer sicherheitspolitischen Zeitenwende
Anmerkungen zum Weißbuch der Bundeswehr 2016, 21.07.2016
Innerhalb der Friedensbewegung hat das neue Weißbuch 2016 unterschiedliche, ja fast gegensätzliche Einschätzungen gefunden. Viele sehen darin ein Dokument massiver Aufrüstung und neuer Kriege (womöglich gar mit Russland), andere halten es eher für einen PR-Gag, also Großtuerei ohne ernsthafte Konsequenzen. Wer hat da Recht? Die einen oder die anderen? Beide oder womöglich keiner von beiden?
Das Weißbuch 2016 ist in sich ein Dokument voller Widersprüche und so dürfen die unterschiedlichen Einschätzungen nicht verwundern. Wer Hinweise auf Aufrüstung und neue Kriege sucht, wird reichlich fündig. Wer allerdings Konkretes sucht, wird vergeblich suchen. Nicht einmal Umfang und Richtung der weiteren materiellen Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr werden konkret benannt. Es finden sich neben einer Vielzahl von Allgemeinplätzen nur wolkige Andeutungen über Mehrausgaben, wenn sie denn bezahlbar sind. Dass dabei das NATO-Ziel von Militärausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschworen wird, was fast eine Verdopplung bedeutet, sollte dabei nicht verwundern. Alle NATO-Staaten einschließlich Deutschlands haben sich seit vielen Jahren zu diesem Ziel bekannt, es aber nicht eingehalten. Die deutschen Ausgaben lagen zuletzt bei 1,2 Prozent. Jetzt wird eine deutliche Erhöhung angekündigt, wie hoch sie am Ende ausfällt und was mit dem Geld angeschafft wird, bleibt jedoch vorerst offen. „Deutschland bleibt diesem Ziel im Rahmen seiner finanzpolitischen Rahmenbedingungen und Ressourcen verpflichtet“, heißt es lapidar.
Schlüsselbegriff „Verantwortung“
Die wohl entscheidenden Schlüsselsätze zur Beurteilung des Weißbuches 2016 finden sich im Eingangskapitel „Deutschlands Rolle in der Welt und sicherheitspolitisches Selbstverständnis“. Dort heißt es unmissverständlich: „Deutschland wird zunehmend als zentraler Akteur in Europa wahrgenommen. Diese Wahrnehmung schafft ihre eigene Realität – im Sinne wachsender Handlungsmöglichkeiten, aber auch mit Blick auf die daraus resultierende Verantwortung.“ Als Konsequenz aus dieser Realitätsbeschreibung wird formuliert: „Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen. Unsere gewachsene Rolle in der internationalen Sicherheitspolitik führt weder zu Automatismen noch zu Handlungszwängen, die unseren Werten und Interessen zuwiderlaufen oder unsere Möglichkeiten überdehnen.“
Deutscher Führungsanspruch in Europa
Es ist ein neuer, offen formulierter deutscher Führungsanspruch in Europa, der künftig die Sicherheitspolitik mit all ihren Aspekten in Europa, in der NATO, im NATO-Russland-Konflikt und auch im Hinblick auf andere Kontinente „out of aerea“, also weit abseits des NATO-Gebietes bestimmen. Das hat es in dieser Klarheit und Offenheit bisher noch nicht gegeben! Allerdings kommt diese Standortbeschreibung nicht völlig überraschend. Schon zu Zeiten der Regierung Schröder/Fischer zeigte sich Deutschland interessiert an einem ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat und versuchte seinen Anspruch darauf, durch eine Beteiligung an Kriegen wie im Kosovo und in Afghanistan zu untermauern. Zugleich verloren frühere Großmächte wie England und Frankreich im Vergleich zu Deutschland mehr und mehr an ökonomischem Gewicht und damit auch an politischem Einfluss in der EU. Diese über einen längeren Zeitraum gewachsene Bedeutung Deutschlands innerhalb der EU und der NATO dürfte unumkehrbar sein. Dass sich daraus auch Verantwortung ableitet, ist unvermeidlich.
Internationale Ordnung im Umbruch
Die Bundesregierung tut sich schwer mit ihrer Analyse der derzeitigen sicherheitspolitischen Lage in der Welt. Sie sieht die „internationale Ordnung, wie sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen wurde … im Umbruch“ und macht für diesen Umbruch unterschiedliche treibende Faktoren aus: „Das internationale System entwickelt sich zu einer politisch, wirtschaftlich und militärisch multipolaren Ordnung. Die globalen Machtverhältnisse verändern sich – Macht verschiebt sich innerhalb der Staatengemeinschaft, aber auch zwischen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren. Als Folge des technologischen Fortschritts gewinnen vor allem transnationale nichtstaatliche Netzwerke an Bedeutung und verfügen zunehmend über Einflussmöglichkeiten auch in der internationalen Sicherheitspolitik.“
Neues Feindbild Russland
Werden im globalen Maßstab Veränderungsprozesse vage und ohne konkrete Feindbilder beschrieben, so ändert sich das mit Blick auf Europa und den Konflikt mit Russland. Da heißt es sehr klar: „Durch seine auf der Krim und im Osten der Ukraine zutage getretene Bereitschaft, die eigenen Interessen auch gewaltsam durchzusetzen und völkerrechtlich garantierte Grenzen einseitig zu verschieben, stellt Russland die europäische Friedensordnung offen in Frage.“ So berechtigt der Hinweis auf die Völkerrechtswidrigkeit der Krim-Annexion durch Russland ist, so bleiben zugleich eigene Verletzungen des Völkerrechts wie der Kosovokrieg und eigene Anteile an der Konfrontation in der Vorgeschichte der Krim-Annexion ausgeblendet. Diese Sichtweise trägt zugleich dazu bei, mögliche diplomatische Aktionsfelder zur Konfliktlösung außer Acht zu lassen und stattdessen zur alten, massiv gescheiterten Abschreckungslogik des Kalten Krieges zurückzukehren.
Komplexe Herausforderungen für die deutsche Sicherheitspolitik
Herausforderungen für die deutsche Sicherheitspolitik sieht das Weißbuch 2016 in vielfältigster und unterschiedlichster Hinsicht. Transnationaler Terrorismus, Herausforderungen aus dem Cyber- und Informationsraum, zwischenstaatliche Konflikte, fragile Staatlichkeit und schlechte Regierungsführung, weltweite Aufrüstung und Proliferation von Massenvernichtungswaffen, stehen dort ebenso im Katalog wie „Gefährdung der Informations-, Kommunikations-, Versorgungs-, Transport- und Handelslinien und der Sicherheit der Rohstoff- und Energieversorgung“. Auch der Klimawandel, „unkontrollierte und irreguläre“ Migration, Pandemien und Seuchen werden zu den sicherheitspolitischen Herausforderungen gezählt. Eine solche Auflistung in einem Buch, das in letzter Konsequenz die Ausrichtung der Bundeswehr für die nächsten Jahre definieren soll, unterstreicht die Komplexität der Problemstellung.
Je komplexer aber die Ursachenanalyse für die sicherheitspolitischen Problemstellungen ausfällt, um so weniger können einfache Lösungswege benannt werden. Dass die Bundeswehr nicht gegen den Klimawandel ins Gefecht geschickt werden kann, versteht sich auch für die Autoren des Weißbuches 2016. Doch darüber, wo die Autoren gegebenenfalls Bundeswehreinsätze als sinnvoll oder womöglich als kontraproduktiv ansehen, lassen sie die Leser im Unklaren. Dieses bewusst vage Offenhalten von militärischen Einsatzmöglichkeiten erschwert eine präzise Kritik.
Vage Empfehlungen für die Ausrichtung der Bundeswehr
Vage Definitionen bestimmen auch das Kapitel „Sicherheitspolitische Gestaltungsfelder Deutschlands“. Wenn es heißt: „Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global. Dieser umfasst ausdrücklich auch den Cyber-, Informations- und Weltraum“, dann mag sich die Bundeswehr in diesen Raumdimensionen schnell verlieren. Entsprechend vage und mit jeder Menge Allgemeinplätze angereichert, lesen sich dann auch die Empfehlungen für die Ausrichtung der Bundeswehr.
Ebenso vage bleibt der Passus zur Krisenprävention. Dort ist zwar davon die Rede, Deutschland wirke „darauf hin, Konfliktursachen zu beseitigen sowie den Aufbau von tragfähigen Institutionen und Strukturen zur friedlichen Konfliktaustragung zu fördern.“ Doch wie erforderliche „maßgeschneiderte Instrumente“ aussehen sollen, bleibt offen. Stattdessen werden erneut „militärische Mittel im gesamten Aufgaben- und Intensitätsspektrum“ benannt.
Konkreter liest sich dagegen die Ankündigung, dass im Rahmen der UNO „ das deutsche Engagement, unter anderem durch Stärkung materieller und personeller Beiträge zu und Übernahme von Führungsverantwortung in VN-Missionen (zivil, polizeilich, militärisch) und im VN-Sekretariat, ausgebaut wird“.
Absage an den Bundestagsbeschluss zum Abzug der Atomwaffen
Im Kapitel zur NATO bekennt sich die Bundesregierung deutlich zu Atomwaffen und zur „nuklearen Teilhabe“, wonach Mitgliedsstaaten ohne eigene Atomwaffen in die Planung eines Atomwaffeneinsatzes und an dem Einsatz selbst einbezogen werden. Das ist eine Absage an den einmütigen Beschluss des Bundestages vom 26.3.2010, der den Abzug der letzten US-Waffen aus Deutschland fordert.
Der entsprechende Passus im Weißbuch ist zugleich ein Beispiel für die Widersprüchlichkeit, die das Weißbuch durchzieht: „Solange nukleare Waffen ein Mittel militärischer Auseinandersetzungen sein können, besteht die Notwendigkeit zu nuklearer Abschreckung fort. Die strategischen Nuklearfähigkeiten der Allianz, insbesondere die der USA, sind der ultimative Garant der Sicherheit ihrer Mitglieder. Die NATO ist weiterhin ein nukleares Bündnis. Deutschland bleibt über die nukleare Teilhabe in die Nuklearpolitik und die diesbezüglichen Planungen der Allianz eingebunden. Dies geht einher mit dem Bekenntnis Deutschlands zu dem Ziel, die Bedingungen für eine nuklearwaffenfreie Welt zu schaffen. Die Allianz hat sich dieses im Strategischen Konzept von 2010 zu eigen gemacht.“
Keine Aufarbeitung des Scheiterns in Afghanistan
Vergebens sucht man im Kapitel „Internationales Krisenmanagement“ eine Aufarbeitung des gründlich gescheiterten Afghanistankrieges. Nur zweimal taucht der Begriff Afghanistan auf. Zum einen heißt es: „Die Stabilisierungseinsätze der Allianz, zum Beispiel in Afghanistan und auf dem Balkan, zeigen, dass Eindämmung und Bewältigung von Konflikten in einem komplexen Sicherheitsumfeld ein langfristiges und verlässliches Engagement erfordern, um Stabilisierungsfortschritte zu erhalten und zu verstetigen.“ Im „Fazit“ heißt es: Die Einsätze, insbesondere in Afghanistan, wurden zunehmend robuster und verlangten eine Priorisierung der Aufwendungen für eine angemessene Ausstattung der eingesetzten Truppe. Die Bundeswehr wurde zur „Armee im Einsatz“.
Vorsichtige Distanz zu den USA?
Von besonderem Interesse ist das Verhältnis zu den USA. Selbstverständlich ist da von der „engen Sicherheitspartnerschaft mit den USA“ die Rede. „Nur gemeinsam mit den USA“ könne „sich Europa wirkungsvoll gegen die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts verteidigen und glaubwürdige Abschreckung gewährleisten“. Auch würden die USA die internationale Sicherheitspolitik in einer multipolaren Welt weiterhin prägen. Es wird aber auch konstatiert, dass die USA ihre Partner in Europa, „stärker in die Verantwortung“ nehmen. „Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in den USA dürfte sich dieser Trend auch künftig fortsetzen und somit von den europäischen Partnern ein noch stärkeres eigenes Engagement zu Gunsten gemeinsamer Ziele und Strategien erwartet werden.“ Diese Formulierungen lassen sich auch als vorsichtige Distanzierung von den USA lesen.
Stärkung der militärischen Fähigkeiten der EU
Konkret setzt die Bundesregierung jetzt vor allem auf eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten der EU, obwohl nicht alle EU-Staaten auch der NATO angehören: „Als Fernziel strebt Deutschland eine gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion an“. Dabei geht es dann auch zielgerichtet um eine „Stärkung der Verteidigungsindustrie in Europa“. Dazu betreibe die Bundesregierung eine „gezielte Industriepolitik; Exportunterstützung sowie die Auftragsvergabe durch das Bundesministerium der Verteidigung“.
Stärkung der OSZE
Positiv festzuhalten ist, dass im Weißbuch als Ziel eine Stärkung der OSZE festgeschrieben wird, darunter ausdrücklich die „Stärkung der institutionellen Grundlage der OSZE durch Schaffung einer Völkerrechtspersönlichkeit“. Genau das hatte der Westen der OSZE von Beginn an verweigert.
Unkonkret bleibt dagegen die erklärte Zielsetzung Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Hier gibt es nur Allgemeinplätze, keine spezifischen Vorschläge und schon gar keine eigenen Initiativen.
Landesverteidigung plus Auslandseinsätze
Der Lageanalyse und der allgemeinen Zielsetzung folgt die Konkretisierung für die Anforderungen an die Bundeswehr. Da wird erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges wieder stärker die „Landes- und Bündnisverteidigung“ in den Vordergrund gerückt, ohne zu untersuchen, ob eine Landesverteidigung im Rahmen eines atomar oder großräumig geführten konventionellen Krieg in Europa überhaupt noch möglich sein kann. Zugleich wird aber nicht an einen Ausgleich durch eine Reduzierung der Auslandseinsätze gedacht. Ohne das Reizwort „Afghanistan“ zu erwähnen, heißt es lapidar: „Einsätze werden nicht mehr zwingend in großen Kontingenten durchgeführt.“ Wie Eskalationen à la Afghanistan, die den Einsatz von mehr und mehr Soldaten erfordern, künftig vermieden werden sollen, wird nicht benannt. Um Auslandseinsätze schneller durchpauken zu können, soll allerdings der Parlamentsvorbehalt, die Zustimmungspflicht des Bundestages zu diesen Einsätzen, künftig eingeschränkt werden. Woran dabei genau gedacht ist, bleibt offen.
Zusätzlich zu diesen Aufgabenfeldern soll obendrein ein Einsatz der Bundeswehr im Innern erfolgen. Nach vorausgegangenen Streitigkeiten zwischen den Koalitionspartnern wird im Weißbuch keine Änderung des Grundgesetzes verlangt, das den Einsatz der Bundeswehr im Innern bis auf wenige Ausnahmefälle verbietet. Mit der Aufgabenstellung „Kampf gegen Terrorismus“ wird allerdings die bisherige Begrenzung auf Katastrophenschutz u.ä. deutlich aufgehoben.
Mit welchem Personal die erweiterten Aufgaben bewältigt werden sollen, bleibt wie so vieles andere ebenfalls offen. Sehr wolkig ist davon die Rede, „die Durchlässigkeit zwischen Bundeswehr und Wirtschaft zu erhöhen“ und Austauschmodelle zwischen Wirtschaft und Bundeswehr, die eine auf Zeit angelegte Kooperation mit externem Personal ermöglichen“ anzudenken. Der naheliegende Begriff des „outsourcing“ findet sich allerdings nicht im Text.
Welches Fazit ist am Ende zu ziehen?
Die angekündigte Bereitschaft der Bundesregierung „mehr Verantwortung“ und „mehr Führung“ zu übernehmen, stellt eine deutliche Zäsur, ja eine Zeitenwende dar. So etwas hat es in dieser Massivität bisher nicht gegeben und das lässt nach allen bisherigen Erfahrungen nichts Gutes ahnen.
Allerdings gibt es bisher eine auffallende strategische Unsicherheit und praktisch keine Vorstellungen darüber, was „Verantwortung“ konkret bedeuten und wie diese gegebenenfalls umgesetzt werden soll. Nach bisherigem Regierungssprachgebrauch und Regierungspraxis lässt sich da zurecht die Befürchtung herauslesen, dass künftig mit mehr militärischen Auslandseinsätzen zu rechnen ist. Diese Gefahr steht sehr real im Raum. Andererseits steckt der Armee noch das Trauma des verlorenen Afghanistankrieges in den Knochen. Nicht wenige Offiziere reden in dieser Hinsicht Klartext und machen falsche politische Vorgaben für das politische und letztlich auch militärische Scheitern am Hindukusch verantwortlich. Ihre Erkenntnis, dass politische Konflikte nur politisch gelöst werden können, ist im Weißbuch jedenfalls noch nicht angekommen. Überdies steht der Afghanistankrieg nicht allein für das Desaster. Auch die Kriege im Irak und in Libyen zeigen, dass auf militärischem Wege keine Konflikte gelöst, wohl aber verschärft werden können.
Ansonsten bleiben die bisherigen Kapazitäten für große Auslandseinsätze begrenzt. Wenn die Bundeswehr auch noch andere Aufgaben etwa an den Ostgrenzen der NATO wahrnehmen soll, ist die Belastungsgrenze schnell erreicht. Eine personelle Aufstockung der Bundeswehr ist zwar im Weißbuch angedeutet, aber noch nicht konkret benannt und ob sie in großem Umfang politisch durchsetzbar wäre, ist eine andere Frage. Ebenso vage und allgemein gibt man sich bei den Rüstungsprojekten. Hier würde bereits eine Spezifizierung eine Schwerpunktsetzung andeuten. Für den Konflikt mit Russland würde man auf Panzer setzen wollen, die wiederum in Kriegsszenerien wie in Afghanistan nicht taugen. Dort bräuchte man vor allem zusätzliche Transportkapazitäten für Truppen und Material.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich keines der sicherheitspolitischen Probleme Deutschlands mit Hilfe der Bundeswehr lösen lässt. Die „Landesverteidigung“ würde im Falle eines großen Krieges in Europa zur Landesvernichtung. Die Auslandseinsätze führen nicht zur Lösung der Konflikte in den betroffenen Ländern und Regionen. Der Einsatz im Cyberkrieg würde diese Art der Kriegführung nur legitimieren und eine erforderliche Ächtung erschweren. Auch im Einsatz gegen Terroristen taugt eine Armee nicht.
Veränderte Aufgabenstellung für die Friedensbewegung
Diese Erkenntnis wiederum stellt die Friedensbewegung vor eine veränderte Aufgabenstellung. Jetzt muss auch sie ihrerseits Verantwortung übernehmen und darf es nicht der Regierung überlassen, den Begriff der „Verantwortung“ durch eine Gleichsetzung mit einer unverantwortlichen Orientierung auf militärische Lösungsversuche zu füllen. Konkret heißt das für die Friedensbewegung, dass es nicht mehr ausreicht allein „Nein zum Krieg“ zu sagen, sondern dass ihr „Ja zum Frieden“ auch konkrete Vorschläge für zivile, nichtmilitärische Konfliktlösungen beinhalten muss. Diese friedenspolitischen Alternativen müssen zugleich wirkungsvoll in die öffentliche Debatte eingebracht werden, wenn Kriegspolitik ernsthaft gestoppt werden soll. Dass diese neue Aufgabenstellung für die Friedensbewegung nicht einfach ist, versteht sich. Da ist in vielen Köpfen ein Um- und Weiterdenken gefragt.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier