Otmar Steinbicker
Ministerin von der Leyen gibt auf die Sinnkrise der Bundeswehr keine überzeugende Antwort
Aachener Nachrichten, 06.08.2016

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
Es vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen nicht die Notwendigkeit betont, die Bundeswehr auch im Inland einzusetzen. Aktuell begründet sie ihr Anliegen mit den jüngsten Anschlägen von Einzeltätern. Doch ihr Vorstoß ist sehr viel älter, als dass die Anschläge dafür ausschlaggebend sein könnten. Schon in der Vorbereitungsphase des jüngsten Weißbuches der Bundeswehr gab es heftigen Streit zwischen ihr und den SPD-Ministern über eine von ihr gewünschte Grundgesetzänderung, die solche Einsätze ermöglichen sollte.
Der Ministerin geht es mit ihrem Anliegen vor allem darum, der Sinnkrise der Bundeswehr zu begegnen, auf die auch das Weißbuch 2016, das die Aufgabenstellung der Armee für die nächsten Jahre beschreibt, keine wirkliche Antwort geben kann. Das Dilemma ist existenziell.
Ihren ursprünglichen Auftrag zur Landesverteidigung kann die Bundeswehr nicht mehr wahrnehmen, weil ein großer, raumgreifender Krieg in Europa, selbst wenn man ihn auf eine konventionelle Kriegführung beschränken wollte, unter den heutigen Bedingungen zur Vernichtung der Zivilisation führen würde. Einen solchen, vernichtenden Krieg zu verhindern, muss daher prioritäre Aufgabe der Politik sein.
Tiefes Trauma
Die Zielstellung des letzten Weißbuches von 2006, das auf verstärkte Auslandseinsätze orientierte, scheiterte krachend im Desaster des verlorenen Afghanistankrieges. Von diesem Trauma hat sich die Bundeswehr bisher noch nicht erholt. Im neuen Weißbuch wird Afghanistan daher vorsichtshalber so gut wie nicht erwähnt. Auslandseinsätze sollen weiter stattfinden, aber „Einsätze werden nicht mehr zwingend in großen Kontingenten durchgeführt“, heißt es. Wie aber Eskalationen wie in Afghanistan, die den Einsatz von mehr und mehr Soldaten erfordern, künftig vermieden werden sollen, dazu findet sich kein Wort.
Auch die von der Ministerin vor Monaten groß angekündigte Aufstellung einer eigenen Bundeswehreinheit für den Cyberwar bleibt problematisch. Eine Beteiligung der Bundeswehr an dieser Art von Kriegführung würde deren Legitimierung bedeuten und eine internationale Ächtung erschweren.
Unter diesen Aspekten mag vielleicht manchen Bürgern auf den ersten Blick ein Einsatz der Bundeswehr im Inland ungefährlicher erscheinen als ein Einsatz in neuen Kriegsdimensionen. Wer allerdings dabei an die Übernahme von Aufgaben der Polizei denkt, sollte berücksichtigen, dass Armee und Polizei eine prinzipiell unterschiedliche Ausbildung, Ausrüstung und Aufgabenstellung haben.
Das heißt in der Konsequenz, dass die Armee für Polizeiaufgaben nicht taugt. Wenn also mehr Sicherheit im Inland gewünscht wird, dann ist es sinnvoller, die seit Jahren personell ausgedünnte Polizei wieder aufzustocken. Zu diesem Zweck sollte man auch darüber nachdenken, die Bundeswehr zu reduzieren und freigesetzte Soldaten zu Polizisten umzuschulen.
Vage Bedrohungen
Das Argument, dass äußere Bedrohungen so massiv sind, dass eine Reduzierung der Bundeswehr zugunsten der Polizei nicht infrage kommt, widerlegt letztlich die Ministerin überzeugend. Würde sie an entsprechende Dimensionen äußerer Bedrohungen glauben, wäre sie mit Sicherheit nicht bereit, auch nur einen einzigen Mann von anderen Fronten für den Einsatz im Inland abzuziehen.
Nein, im Weißbuch der Bundeswehr 2016 tut sich die Bundesregierung außerordentlich schwer damit, Bedrohungen konkret zu analysieren. Wenn es dort heißt: „Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global. Dieser umfasst ausdrücklich auch den Cyber-, Informations- und Weltraum“, dann mag sich die Bundeswehr in diesen Raumdimensionen schnell verlieren.
Herausforderungen für die deutsche Sicherheitspolitik sieht das Weißbuch nicht nur in klassischen Bereichen wie zwischenstaatliche Konflikte, weltweite Aufrüstung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, sondern auch in „Migration, Pandemien und Seuchen“.
Wie angesichts dieser komplexen Problemstellung die Bundeswehr eingesetzt werden kann, vermag die Regierung im Weißbuch nicht exakt zu definieren.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier