Otmar Steinbicker
Der Westen muss sich über seine Ziele klarwerden
Aachener Nachrichten, 21.02.2023
Die Münchner Sicherheitskonferenz ist ein Diskussionsforum mit prominenten Gästen, von denen nicht wenige Regierungsverantwortung tragen, sie ist aber kein Gipfeltreffen von Regierungschefs, das Entscheidungen zu fällen hat. Beide Aspekte sind zu berücksichtigen, wenn es darum geht, die dortigen Diskussionen einzuordnen. Auch gibt es möglicherweise Unterschiede zwischen den medialen Auftritten und internen Gesprächen.
Aus den öffentlichen Auftrittenvor allem von US-Außenminister Antony Blinken, seiner deutschen Kollegin Annalena Baerbock, der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen und anderen lässt sich deutlich das Interesse wichtiger Akteure heraushören, den Krieg in der Ukraine nicht zu beenden, sondern noch über Jahre – vielleicht über drei oder fünf – weiterzuführen mit dem Ziel, Russland in diesem Abnutzungskrieg weiter zu schwächen und international zu isolieren. Dazu werden Waffen geliefert, eine eigene Beteiligung am Krieg jedoch wird sorgfältig vermieden.Zweifel an einem militärischen Sieg einer der beiden Seiten, wie sie der französische Präsident Emmanuel Macron äußerte, der empfahl, Verhandlungen anstreben, waren in München in der Minderheit, und eine „Friedensinitiative“, die China ankündigte, klang gar exotisch.
Inwieweit sich die MünchnerAussagen in konkrete Regierungspolitik niederschlagen, bleibt offen. Die anwesenden Vertreter der wichtigsten Rüstungsfirmen hatten sicherlich ihre Auftragsbücher mitgebracht und zumindest Vorabsprachen über größere Rüstungsproduktion undWaffenlieferungen getroffen.
China konnte im Hinblick auf seine Friedensinitiative noch keine Details nennen. Außenpolitiker Wang Yi wollte darüber zuerst mit Moskau sprechen. Das muss kein Nachteil sein. China ist schon aus geschäftlichen Gründen an einem Ende des Krieges interessiert und auch wirtschaftlich stark genug, gegebenenfalls Druck auszuüben oder auch Angebote zu unterbreiten, die schwer zurückzuweisen sind. Da ist China in einer anderen Rolle als der UN-Generalsekretär, der letztlich nur erfolgreich vermitteln kann, wenn die Kriegführenden bereit sind, eine Vermittlung anzunehmen.
Auf die Ukraine einwirken
So wie China in der Lage ist, auf ein zunehmend von ihm abhängiges Russland einzuwirken, so wären auch die USA in der Lage, auf die Ukraine einzuwirken. Auch das wird nötig sein. In München fiel die Forderung der Ukraine nach Lieferung völkerrechtswidriger Streuwaffen und Phosphorbomben unangenehm auf. In der Zeitung „Ukrainska Prawda“ vom11. Februar schrieb Olexi Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine: „Der wahre Sieg der Ukraine ist der Zerfall Russlands, sein Verschwinden als kohärentes Subjekt der Geschichte und Politik.“ Das klingt nicht sonderlich anders als Putins Rhetorik, der Nichtanerkennung ukrainischer Staatlichkeit.
Der Westen muss sich über seine Ziele klarwerden. Ein Sieg der Ukraine um jeden Preis? Und was wäre der Preis? Eine 32-seitige Studie „Avoiding a long war“ (Einen langen Krieg vermeiden) der Rand Corporation, eines Thinktanks, der das US-Verteidigungsministerium berät, kam nach sorgfältigen Analysen Ende Januar zu dem Schluss, das keine Seite den Krieg gewinnen kann, weder Russland, noch die Ukraine. Betont wurde darin auch, dass die Interessen der USA nicht unbedingt die der Ukraine sein müssen. Die USA müssten daher einen langen Krieg vermeiden, um auf jeden Fall eine Eskalation hin zu einem Krieg der Nato gegen Russland und einen Atomkrieg zu vermeiden.
China kann, sollte es eine gute Friedensinitiative vorlegen, auch auf Zustimmung aus den Staaten des globalen Südens rechnen. Dort sind nicht wenige Staaten, vor allem aus Afrika, existenziell auf Getreidelieferungen aus der Ukraine und aus Russland angewiesen. Lateinamerika ist ebenfalls nicht bereit, eine der Kriegsparteien zu unterstützen. In dieser Hinsicht dürften in der nächsten UN-Generalversammlung im September neue Aspekte und Initiativen für eine Friedenslösung diskutiert werden.
Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "FriedensForum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier