Otmar Steinbicker
Außer Spesen nichts gewesen? Das OSZE-Treffen fördert den Dialog und öffnet vorsichtig Türen!
Aachener Nachrichten, 12.12.2016
Das Treffen der Außenminister der 57 Staaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der vergangenen Woche in Hamburg hat Millionensummen verschlungen und am Ende gab es nicht einmal eine gemeinsame Abschlusserklärung. Da liegt der Schluss nahe: Außer Spesen nichts gewesen.
Doch eine solche Sichtweise greift entschieden zu kurz. Wer aufmerksam und mit Sorge die Zuspitzung der militärischen Krise an der Grenze zwischen den baltischen Staaten, die der Nato angehören, und Russland, sowie den anhaltenden militärischen und politischen Konflikt in und um die Ukraine betrachtet, weiß, dass eine Lösung dieser über Jahre aufgetürmten Probleme nicht mit einem Fingerschnipp zu erreichen ist.
Allen Beteiligten sollte bewusst sein, dass ein großer, raumgreifender Krieg in Europa heute sowohl bei einem atomaren wie auch bei einem konventionellen Krieg zum Untergang der europäischen Zivilisation führen würde. Wer diesen Krieg verhindern will, muss einen Weg aus der Sackgasse der Konfrontation finden. Dazu bedarf es auf allen Seiten dringend einer Deeskalation – vom Abbau gegenseitiger Feindbilder bis zum Abbau der gegeneinander gerichteten Truppenkonzentrationen. Notwendig dazu ist ein gegenseitiges Erkennen von Interessen sowie ein ernsthafter Dialog zum Interessenausgleich.
Gespräch möglich machen
Ein solcher Dialog benötigt geeignete Foren. In den 1970er Jahren war die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) als Vorläuferin der OSZE das entscheidende Forum für einen solchen Interessenausgleich zwischen den verfeindeten Militärblöcken. Das Format einer „Konferenz“ bot dabei wichtige Vorteile, die unterschiedlich gelagerten Interessen in unterschiedlichen „Körben“ zu behandeln. Als 1995 die „Konferenz“ KSZE zur „Organisation“ OSZE formal aufgewertet, zugleich aber von Seiten der Nato-Mitgliedsstaaten in ihrer inhaltlichen Bedeutung abgewertet wurde, beschädigte das zugleich die unverzichtbare Funktion eines Dialogforums.
Nachdem man über Jahre hinweg immer tiefer in die Sackgasse der Konfrontation marschiert ist, scheinen die Beteiligten in Hamburg diese Problematik erkannt und die OSZE als „gesamteuropäisches Krisenreaktionszentrum“ wiederentdeckt zu haben, wie es der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier formulierte.
Gemeinsamkeiten
Dass es bei diesem OSZE-Treffen dann offen ausgetragene Kontroversen statt einer gemeinsamen Abschlusserklärung mit eher nichtssagenden Formelkompromissen gab, muss kein Nachteil sein. Immerhin schaffte man es, Erklärungen zu speziellen Themen wie Migration, Terrorismus, Cybersicherheit und wirtschaftlichen und technischen Austausch („Connectivity“) mit Zustimmung aller Staaten zu beschließen. Das erinnert deutlich an den mühsamen, aber am Ende erfolgreichen Dialogprozess der KSZE in den 1970er Jahren, als auch zuerst vorsichtig Gemeinsamkeiten in einzelnen Themenbereichen in entsprechende „Körbe“ abgelegt wurden, bevor man 1975 nach zweijährigen Verhandlungen feierlich die KSZE-Schlussakte unterzeichnen konnte.
Ob der jetzt in Hamburg eingeschlagene Weg ähnlich erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Da ist es noch bei weitem zu früh für positive oder negative Prognosen. Wichtig ist erst einmal, dass eine Tür geöffnet wurde, um einen Weg zu beschreiten, der zur dringend benötigten neuen und stabilen Sicherheitsarchitektur für Europa unter Einbeziehung Russlands führen kann.
Zuletzt hatte 2008 Russlands damaliger Präsident Dmitrij Medwedew vorgeschlagen, einen solchen neuen euro-atlantischen Sicherheitsvertrag auszuarbeiten.
Eine neue „Charta“
Außenminister Steinmeier sprach sich damals für eine ernsthafte Diskussion zu diesem Vorschlag aus: „Am Ende könnte die Verständigung auf eine neue Sicherheitspartnerschaft stehen. Ein verbindlicher Text, der den Rahmen liefert für gemeinsame Sicherheit und gemeinsames Handeln. Eine neue ‚Charta‘, die jene von Paris fortführt und für das 21. Jahrhundert erneuert.“ Diese Debatte fand damals nicht statt, sie muss trotz verlorener Zeit endlich begonnen werden.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier