Otmar Steinbicker

Auch die Bundesregierung muss Farbe bekennen

Aachener Nachrichten, 23.12.2020

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Dass die Nato derzeit eine Neuausrichtung für die Zeit bis 2030 plant, überrascht nicht. Die jetzt in einem Arbeitspapier umrissene Planung zeigt eine massive Krise der Allianz, die nicht einfach zu überwinden ist. Sie wurde in letzter Zeit überdeutlich in den abfälligen Äußerungen des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump und dem Vorwurf des französischen Präsidenten Emanuel Macron, die Nato sei „hirntot“. Darin zeigen sich die tiefen Widersprüche zwischen den USA und den europäischen Nato-Staaten.

Bestand die Aufgabe der Nato bei ihrer Gründung 1949 noch klar umrissen in einer Frontstellung gegen die UdSSR, so galt es spätestens nach der Auflösung des Warschauer Pakts 1991, entweder auch die Nato aufzulösen oder ihr eine neue Aufgabe zu geben. Schon bald setzte das Bündnis auf eine weltweite Interventionsfähigkeit zur Durchsetzung westlicher Interessen, ohne dabei eine militärische Konfrontation mit Russland anzusteuern.

Dem kalten Krieg des Ost-West-Konflikts folgten die heißen Kriege in Afghanistan, im Irak und in Libyen. Diese Kriege mündeten nach kurzen Anfangserfolgen – dem Sturz der zuvor Herrschenden – ins Chaos von Bürgerkriegen. Vor allem der verlustreiche Afghanistankrieg erschütterte das Fundament der Allianz. Mit der 2013 getroffenen Entscheidung zum Abzug des Großteils der Nato-Kampftruppen vom Hindukusch stand erneut eine Grundsatzentscheidung an.

Als sich im Februar 2014 ein schon länger schwelender Ost-West-Konflikt um die Ukraine zuspitzte, die russlandfreundliche Regierung von Demonstranten hinweggefegt wurde und Russland völkerrechtswidrig die Krim besetzte, um seinen wichtigsten Marinestützpunkt zu sichern, waren die alten Fronten wiederbelebt. Russland wurde von den Nato-Mitgliedern Polen und den baltischen Staaten als potenzieller Aggressor auch gegen ihre Staatsgebiete angesehen und die Militärallianz bekam wieder ihre alte Aufgabe. Internationale Konflikte ließen sich mit diesem Strategiewechsel nicht lösen, wohl aber Rüstungsetats deutlich erhöhen.

Dass Russland bei der Neuausrichtung der Nato bis 2030 jetzt auch offiziell als Hauptgegner definiert wird, war abzusehen. Allerdings gerät jetzt auch noch China ins Blickfeld. Kann die Nato im Konflikt mit Russland noch darauf setzen, gegebenenfalls Russland „totzurüsten“ wie in der Schlussphase des Kalten Krieges, so dürfte eine solches Vorgehen gegen das wirtschaftlich immer mächtiger werdende China nicht funktionieren. Zumal China bisher weniger auf militärische Konfrontation mit anderen Staaten setzt, sondern bisweilen auch brutal seine ökonomische Macht ausspielt. Dagegen sieht die Nato bislang kein Mittel. Die vagen Formulierungen zu China, das erstmals in einem Strategiekonzept der Nato Erwähnung findet, zeugen eher von Ratlosigkeit.

Die sicherheitspolitische Alternative zur Nato war und bleibt die OSZE, die Nachfolgeorganisation der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE), die in den 1970er Jahren entscheidend dazu beitrug, den Kalten Krieg zu beenden. Der prinzipielle Unterschied zwischen Nato und OSZE besteht darin, dass die Nato als Verteidigungsbündnis für den inneren Zusammenhalt einen „Feind“ benötigt, gegen den sie sich „verteidigen“ muss. Die OSZE ist dagegen definitionsgemäß auf Konfliktlösungen per Dialog angelegt. In Zeiten, in denen ein großer weiträumiger Krieg nicht mehr führbar, weil nicht mehr gewinnbar ist, bleibt dieser Ansatz der einzig realistische.

Zur neuen OSZE-Generalsekretärin wurde vor kurzem die deutsche Spitzendiplomatin Helga Schmid gewählt. Sie gilt als Architektin des Atomabkommens mit dem Iran, an dessen Aushandlung sie jahrelang maßgeblich mitwirkte. Ihre Wahl schafft gute Voraussetzungen zur Lösung vielfältiger Konflikte in und um Europa. Voraussetzung dafür ist allerdings die Bereitschaft der Regierungen der unterschiedlichen Konfliktparteien, sich auf diplomatische Lösungsversuche ernsthaft einzulassen. Da muss jetzt auch die Bundesregierung Farbe bekennen und einen Politikwechsel einleiten.

Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "FriedensForum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


World Wide Web aixpaix.de

Beiträge von Otmar Steinbicker
2020

Auch die Bundesregierung muss Farbe bekennen

Biden muss sich für eine Richtung entscheiden

Der Atomkrieg gilt wieder als führbar

Globale Kooperation ohne Führungsmacht

Zwei-Staaten-Lösung ist nicht mehr realistisch

Die neue Atomkriegsstrategie der Nato

Ein weltweites Verbot von Atomwaffen

Thema Abrüstung erscheint in neuer Schärfe

Afghanistan – Die Waffen verstummen, aber Perspektiven fehlen

In der Corona-Krise ist neues Denken gefragt

Der Nahost-Plan wird keinen Frieden bringen

Kriegsgefahr in Nahost ist noch nicht gebannt

2019

Wir können uns die Rüstung nicht mehr leisten

Mehr Prävention statt Kräftemessen

Abrüsten! Oder die Atomwaffen schaffen uns ab.

Drei Faktoren, die das Ende der DDR bewirkten

Es geht nicht um Verteidigung. Es geht ums Geschäft!

Die Nato in der Krise: Konflikte müssen anders gelöst werden

Fridays for Future: Endlich haben wir eine „Generation Hoffnung“!

Atomare Rüstungskontrolle hängt an seidenem Faden

Ein Frieden in Afghanistan ist möglich

2018

Der Welt droht ein neues atomares Wettrüsten

Macron, die europäische Armee und die französische Rüstungsindustrie

Das Ende des INF-Vertrags wäre ein Spiel mit dem atomaren Feuer

Bundesregierung behält sich doppelten Verfassungsbruch vor

Ein Atomkrieg gefährdet die Menschheit! Haben wir das vergessen?

Wir brauchen eine neue Grundsatzdebatte über Sicherheitspolitik

Neue Weltordnung? Es gibt keine sinnvolle Alternative zur UNO!

Iranabkommen: keine realistische Alternative zu einem weiteren Verhandlungsweg

In Syrien verfolgen alle ausländischen Mächte eigene Interessen. Und was macht Deutschland?

Konfliktprävention? Außenminister Maas setzt auf militärische Faktoren!

Statt einer Debatte über Konfliktlösung nur Schuldzuweisungen

Deutschland und die EU sollten den Staat Palästina anerkennen

2017

Wie in Europa mit alten Methoden für eine neue Aufrüstung Stimmung gemacht wird

Es ist höchste Zeit, Misstrauen abzubauen und den Dialog mit Russland wieder aufzunehmen

Waffen wie aus einem schlechten Science-Fiction-Film

Die Modernisierung der Atomwaffenpotenziale bedroht das Gleichgewicht des Schreckens

Die Nato sollte am Hindukusch nicht wieder in die altbekannte Sackgasse stolpern

Neue Herausforderungen an den Pazifismus

Sicherheit kann nicht mehr militärisch, sondern nur noch politisch gewährleistet werden

Rede zum Ostermarsch in Kaiserslautern am 15.04.2017

Es droht eine neue Debatte über die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa

Für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben gibt es keine überzeugenden Begründungen

Die jüngsten Forderungen nach einer atomaren Supermacht Europa sind hochgefährlich

Wie Donald Trumps Plan, die Europäer gegeneinander auszuspielen, durchkreuzt werden kann

2016

Außer Spesen nichts gewesen? Das OSZE-Treffen fördert den Dialog und öffnet vorsichtig Türen!

Friedensbewegung darf den Begriff der Verantwortung nicht allein der Regierung überlassen

Mit der Wahl Trumps zum Präsidenten haben sich die USA als Führungsmacht verabschiedet

Die Wiederkehr der Atomkriegsdebatte

Pazifismus vor neuen Herausforderungen – Wir brauchen eine ernsthafte Zukunftsdebatte

Die völlig verfahrene Situation in Syrien erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland

Steinmeiers Vorstoß für eine Kontrolle der konventionellen Rüstung kommt zur richtigen Zeit

Ist die NATO im großen Luftkrieg noch angriffsfähig?

Ministerin von der Leyen gibt auf die Sinnkrise der Bundeswehr keine überzeugende Antwort

Die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern spiegelt die Sinnkrise der Bundeswehr

Ankündigung einer sicherheitspolitischen Zeitenwende

Die Nato sendet ein martialisches Signal nach Moskau

Wie kommt die Friedensbewegung aus der Krise?

Die NATO als Sicherheitsrisiko

Unsere Zivilisation ist kriegsuntauglich geworden

Brauchen wir noch die Bundeswehr?

Nach dem Anschlag auf den Talibanführer droht der Konflikt außer Kontrolle zu geraten

Cyberwar klingt nach sauberem Krieg, ist aber hochgefährlich

Weißbuch 2016 – die Bundeswehr vor einer Neuorientierung?

Der Gedanke, dass Trump Herr über die Atomwaffen der USA werden könnte, ist unerträglich

PEGIDA, nicht die Friedensbewegung ist heute Adressat russischer Propaganda

Die Gefahr der Eskalation ist groß: Der komplexe Konflikt in Syrien muss endlich gelöst werden!

Friedenslogik: Konflikte in ihrer ganzen Komplexität betrachten

2015

Die Abgeordneten, die heute dem neuen Krieg zustimmen, handeln unverantwortlich

Ein gefährlicher Weg in einen neuen Krieg

Den IS zu bekämpfen ist eine politische Aufgabe, die nicht militärisch gelöst werden kann

Nach Jahren des Zögerns muss von der Bundesregierung eine ernsthafte Friedensinitiative ausgehen

Gedanken zur Geschichte der Friedensbewegung und zu deren aktuellen Fragestellungen

Warum Menschen fliehen

OSZE: Möglichkeiten und Grenzen des Konfliktmanagements

Von der „Charta von Paris“ zur NATO-Osterweiterung

Um Konflikte lösen zu können, muss Europa den KSZE-Gedanken endlich wiederbeleben

Zäh, schwierig, aber letztlich erfolgreich: Zusammenarbeit im UNO-Sicherheitsrat zahlt sich aus

Kubakrise – Nahe am Abgrund

Israel muss sich entscheiden

Die Karten im Nahostkonflikt werden neu gemischt

Gefährliche Blocklogik der Nato: Russland darf nicht aus dem Haus Europa ausgegrenzt werden

Die Mahnwachen – eine rechtsoffene Bewegung

Die Gefahr eines Atomkrieges ist in jüngerer Vergangenheit wieder deutlich gestiegen

Die Friedensbewegung hat keinen Grund zu verzagen, sie hat im Gegenteil gerade jetzt riesige Chancen!

Ergebnis von Minsk kann nur die grobe Richtung für eine Lösung des Ukraine-Konflikts vorgeben

„Friedenswinter“

2014

Die Lüge von der „Nachrüstung“

Leipzig 1989: „Wir sind das Volk – Montag sind wie wieder da“

Mein Zeitzeugenbericht vom 19.8.1989 an der ungarisch-österreichischen Grenze

Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Geht es beim Marineeinsatz im Mittelmeer um den Schutz des Abtransportes syrischer Chemiewaffen?

System kollektiver Sicherheit löst Konflikte und verhindert Krieg

2013

Sicherheitspolitik im Koalitionsvertrag: Viele Sprüche, die von der Realität längst überholt sind

Vor 25 Jahren: Yüksel Seleks schwierige Heimkehr in die Türkei

Friedensbewegung kann und muss an die Erfahrungen der 1980er Jahre anknüpfen!

Was soll eine Armee tun, die unser Land nicht mehr verteidigen kann und muss?

Wann der nächste deutsche Soldat in Afghanistan sinnlos stirbt, ist lediglich eine Frage der Zeit

Kampfdrohnen setzen die Hemmschwelle zur militärischen Gewaltanwendung deutlich herab

2012

Ist ein Ende der Gewalt in Syrien mit nichtmilitärischen Mitteln denkbar?

Eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ist eingeläutet

2010

Warum die NATO im 21. Jahrhundert keinen Sinn mehr macht (Aachener Nachrichten, 26.11.2010)

2009

Die erste Bresche im Eisernen Vorhang, Reportage vom 19.08.1989 in Ungarn

Krieg ist „ultima irratio“: Sicherheit gemeinsam gestalten