Otmar Steinbicker
Die Nato in der Krise: Konflikte müssen anders gelöst werden
Aachener Nachrichten, 25.04.2019
Hatte die Nato ihren 60. Geburtstag noch pompös mit einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Straßburg gefeiert, so trafen sich zum diesjährigen 70. Geburtstag lediglich die Außenminister für knapp zwei Tage in Washington. Die fehlende Feier ist lediglich ein deutliches Zeichen für die tiefe Krise im westlichen Militärbündnis.
Die Nato war ein Produkt des Kalten Krieges und sie wurde nach 1990, als sich ihre ursprüngliche Aufgabenstellung erledigt hatte, schlicht weitergeführt, als sei nichts geschehen. Das musste zwangsläufig zu Verwerfungen führen, die heute für alle sichtbar sind.
Der derzeitige Dissens liegt am wenigsten bei US-Präsident Donald Trump, auch wenn dieser sich alle Mühe gibt, wie ein Elefant durch den transatlantischen Porzellanladen zu stapfen. Auch wird der derzeitige Zusammenhalt nicht durch die Annexion der Krim und den Militäreinsatz des russischen Präsidenten Putin in der Ukraine garantiert. Die Problematik liegt sehr viel tiefer.
Die Nato braucht einen „Feind“
Die Nato benötigt als System der kollektiven Verteidigung einen „Feind“, gegen den sich das Bündnis „verteidigen“ muss. Gäbe es keinen „Feind“, bräuchte es kein „Bündnis“. Insofern wurde nach dem Ende des Kalten Krieges ein neuer „Feind“ gesucht und erst der serbische Präsident und Kriegsverbrecher Slobodan Milošević, später die Taliban gefunden.
Nach dem Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan musste schließlich wieder Russland als „Feind“ reaktiviert werden. Das entschuldigt dessen militärische Übergriffe nicht, eröffnet aber einen anderen Blick auf das Geschehen und erklärt, dass politische Lösungsalternativen für die jeweiligen Konflikte bewusst ausgeschlagen wurden, manchmal auch mit dem diskreten Hinweis: „Sonst zerbricht die Nato!“
Das deutlich tiefere Problem für die Zukunft des transatlantischen Bündnisses liegt in einem Auseinanderdriften der strategischen Interessen der USA und der europäischen Nato-Staaten. Die USA wenden seit einigen Jahren, und nicht erst seit Trump, ihren militärischen Blick auf den Pazifik und ihren ökonomischen Hauptkonkurrenten China. Das interessiert die Europäer eher nicht.
Die europäischen Nato-Staaten wiederum möchten sich auch militärisch gegen eine zunehmende Migration von südlich des Mittelmeeres wappnen. Das wiederum interessiert die USA eher nicht. Der derzeitige real existierende Konflikt mit Russland vor allem im Hinblick auf die Ukraine wird von vielen Experten als eher lösbar angesehen.
Konflikte anders lösen
Dass ein großer, weiträumig geführter Krieg gegen Russland für keine Seite zu gewinnen wäre, sollte trotz allem Säbelgerassel auf allen Seiten letztlich allen Beteiligten bekannt sein.
Wenn der Krieg keine Lösung bringen kann, dann müssen die vorhandenen Konflikte anders, mithin auf dem Verhandlungsweg etwa in der OSZE gelöst werden. Zu einer solchen Lösung kann die Nato nichts beitragen und wird nicht mehr benötigt.
Bemerkenswert ist, dass die EU ebenfalls seit Jahren versucht, einen militärischen Pfeiler aufzubauen, der nicht offen aber de facto im Kontrast zur von den USA dominierten Nato steht.
Dabei geht es zum einen um den Aufbau einer EU-eigenen militärischen Eingreiftruppe, die in den Nachfolgestaaten der ehemaligen französischen Kolonien Nordwestafrikas intervenieren soll, um den Zugriff auf dort vorhandene strategische Rohstoffe zu sichern und mögliche Migrationsrouten abzuschneiden. Zum anderen geht es, das wird offen zugegeben, um die Stärkung der Rüstungsindustrie in den EU-Staaten zu Lasten der US-Rüstungsindustrie. Dazu gehört auch ein Forcieren des Rüstungsexportes in alle Welt und eine Aufweichung bisheriger Exportrestriktionen mit der absehbaren Folge von mehr Kriegsfüchtlingen.
Um „Verteidigung“ geht es weder der Nato noch der EU. Es wird kein wie auch immer geartetes Bedrohungsszenario vorgestellt, das zur Begründung konkreter Rüstungsprojekte zu beachten und zu diskutieren wäre. Die abstrakte Forderung nach Rüstungsausgaben in Höhe von zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt dient lediglich dem Rüstungsgeschäft.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier