Otmar Steinbicker
Der Welt droht ein neues atomares Wettrüsten
Aachener Nachrichten, 22.12.2018

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
Der Rücktritt von US-Verteidigungsminister James Mattis kam wie ein Paukenschlag. So wie schon der im März von Präsident Donald Trump gefeuerte Außenminister Rex Tillerson warnt Mattis vor der chaotischen Außenpolitik Trumps. Für Mattis brachten die von Trump ohne Absprache angekündigten Truppenrückzüge aus Syrien und Afghanistan das Fass zum Überlaufen.
Auch, wer militärische Interventionen als für die Lösung internationaler Konflikte kontraproduktiv ansieht, muss das Chaos durch jähe Truppenrückzüge als Gefahrenpotenzial fürchten. In Syrien dürfte der Rückzug als Einladung an die Türkei zu einem Einmarsch in die syrischen Kurdengebiete verstanden werden. In Afghanistan hilft die Rückzugsankündigung auch nicht zu einer dringend notwendigen politischen Lösung. Dort liegen seit rund zehn Jahren die Versatzstücke für eine erfolgreiche Friedenslösung auf den Verhandlungstischen.
Da bedarf es einer Übereinkunft der afghanischen Konfliktparteien über eine gemeinsame Übergangsregierung, die die Stabilität des Landes garantiert, wenn die Truppen abgezogen werden. Ernsthafte Friedensverhandlungen wird es ohne eine vereinbarte, gesicherte Perspektive für einen Rückzug der internationalen Truppen nicht geben, aber ohne eine vereinbarte, gesicherte politische Perspektive wird es auch keine Stabilität für Afghanistan geben.
So wie im Hinblick auf Syrien und Afghanistan zeigt sich Trump auch im Hinblick auf die Weltgemeinschaft völlig verantwortungslos. Anfang Dezember ließ er seinen Außenminister Mike Pompeo auf einer Tagung in Brüssel verkünden, Trump plane eine „neue Weltordnung“, die nach der Prämisse „America First“ (Amerika zuerst) funktionieren soll. Internationale Institutionen müssten darauf hin geprüft werden, ob sie diesem Kriterium gerecht werden. Täten sie dies nicht, „müssen sie reformiert oder eliminiert werden“. „Institutionen wie die Vereinten Nationen, der Internationale Strafgerichtshof oder die EU sollten nur überleben, wenn sie die Interessen und Werte der ‚freien Welt‘ vertreten. Und das sind in erster Linie die Interessen der USA, so Pompeos kaum verhüllte Botschaft“, berichtete „Spiegel online“.
Der Rücktritt von Verteidigungsminister Mattis traf die Nato offenbar völlig unvorbereitet. Noch am 4. Dezember, nur wenige Stunden nach Pompeos Rede, schloss sich das Bündnis den Vorwürfen der USA an, wonach Russland den INF-Vertrag verletze, der seit 1987 landgestützte atomare Mittelstreckenraketen verbietet. Dass die USA ihrerseits bereits seit 2010 mit ihrer „Modernisierung“ ihres Atomwaffenpotenzials die Herstellung einer nuklearen Erstschlagfähigkeit gegenüber Russland und China anstreben und in diesem Zusammenhang bereits auch an durch den INF-Vertrag verbotenen atomaren Mittelstreckenwaffen in einer Projektphase arbeiten, ließ die Nato unerwähnt.
Angesichts der chaotischen Politik des US-Präsidenten und der äußerst gefährlichen Tendenzen dürfte das neue Jahr 2019 überaus spannend werden. Sollten die USA bereits am 2. Februar den INF-Vertrag kündigen, so wird es überaus schwierig werden, dem sich abzeichnenden neuen atomaren Wettrüsten noch Einhalt zu gebieten. Dann steht auch eine Verlängerung des 2021 auslaufenden New-Start-Abkommens von 2010 über die Begrenzung strategischer Atomwaffen von USA und Russland in den Sternen.
Bei einem solchen derzeit wahrscheinlichen Szenario stünde die Welt erstmals seit der Kubakrise im Jahr 1962 wieder vor einem völlig neuen atomaren Rüstungswettlauf ohne jegliche Begrenzungen. Es war der Schock, angesichts des damals in letzter Minute verhinderten Atomkrieges, der USA und UdSSR an den Verhandlungstisch brachte und Abkommen zuerst über Begrenzungen und später über Abrüstung von Atomwaffen ermöglichte.
Die Bundesregierung kennt die drohenden Gefahren für die Sicherheit Deutschlands, Europas und der Welt. Sie ist jetzt dringend gefordert, gemeinsam mit anderen den absehbaren Schaden abzuwenden. Daran sollte sie wie Anfang der 1980er Jahre öffentlich und demonstrativ erinnert werden.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier