Otmar Steinbicker
Um Konflikte lösen zu können, muss Europa den KSZE-Gedanken endlich wiederbeleben
Aachener Nachrichten, 03.08.2015
Vor 40 Jahren, am 1. August 1975, wurde die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki unterschrieben. Dieses Ereignis war einer der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zur Überwindung des Kalten Krieges. Die Teilnehmerstaaten UdSSR, USA, Kanada und alle europäischen Staaten mit Ausnahme von Albanien und Andorra vereinbarten nach mehrjährigen Verhandlungen die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen in Europa, das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, die Wahrung der Menschenrechte sowie eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt.
Damit wurde über die damals in Europa bestehenden Militärblöcke Nato und Warschauer Vertrag hinaus eine Institution geschaffen, in der gemeinsame Interessen verfolgt und Konflikte zivil gelöst werden konnten. Zwei Grundvoraussetzungen waren dabei gegeben, zum einen die Erkenntnis, dass Krieg für Europa keine Lösung mehr sein konnte, ein Atomkrieg sogar die Existenz des Kontinents gefährdete, zum anderen die Erkenntnis, dass Probleme und Konflikte nur miteinander gelöst werden können und nicht gegeneinander. Diese Erkenntnisse wurden zwar von den USA bereits zu Beginn der 1980er Jahre wieder infrage gestellt, dennoch blieb die KSZE als Institution erhalten.
Russland gehört zu Europa
Als mit den Umbrüchen in Osteuropa 1989/90 der Kalte Krieg endgültig endete, übernahm die KSZE eine zentrale Rolle bei der Neugestaltung der gesamteuropäischen Sicherheit. Der Warschauer Vertrag löste sich 1991 auf, die Nato blieb bestehen und dehnte sich in den Folgejahren immer weiter nach Osten aus. Die KSZE wurde 1994 von einer „Konferenz“ zur Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) umgewandelt. Während die KSZE ein wichtiges Forum für Verhandlungen darstellte, verlor die OSZE mehr und mehr an Bedeutung. Die EU und die Nato beanspruchten zunehmend die Gestaltungshoheit für Europa, Russland wurde de facto mehr und mehr aus Europa hinausgedrängt.
Angesichts des aktuellen Ukraine-Konfliktes und zunehmender Probleme und Konfliktfelder in Europa macht sich das Fehlen des KSZE-Rahmens deutlich bemerkbar. Europa ist und bleibt mehr als die EU. Und Russland gehört unweigerlich dazu – unabhängig davon, ob uns die dort aktuell betriebene Politik gerade gefällt oder nicht.
Signale der Vernunft
Es war vor allem das Prinzip des „gemeinsamen Hauses Europa“, zu dem eben alle Staaten des Kontinents dazugehörten, welches die KSZE stark machte und damit Konsenslösungen ermöglichte. Dass auch die nichteuropäischen Nato-Staaten USA und Kanada mit zur KSZE gehörten, war ein pragmatisches Signal, dass es nicht darum ging, Europa gegen die USA zu richten.
Die seit 1990 betriebene Nato-Osterweiterung und das Herausdrängen Russlands aus dem Gestaltungsprozess Europas führte zum absehbaren Ergebnis, dass die östliche Großmacht nach neuen Bündnispartnern im Osten sucht. Sollte das über den ökonomischen Bereich hinaus auch militärisch gelingen, dürfte eine neue Blockkonfrontation drohen, die niemandem nutzten, sondern neue Gefährdungen mit sich bringt. Ob allerdings russische Träume von einem militärischen Bündnis mit China in Erfüllung gehen, ist zweifelhaft. China setzt sehr erfolgreich auf wirtschaftliche Expansion. Da könnte ein militärisches Bündnis mit Russland eher stören.
Signale der Vernunft kamen zuletzt eher von den USA und Russland nach dem erfolgreichen Abschluss des Iran-Abkommens. Schließlich gibt es mit dem Bürgerkrieg in Syrien und dem ungebrochen stark auftretenden „Islamischen Staat“ (IS) Aufgaben, zu deren Lösung die beiden wichtigen Mächte im UNO-Sicherheitsrat gemeinsam beitragen müssen. In diesem Zusammenhang wurden auch Stimmen in der Ukraine laut, dass womöglich eine Einigung der beiden Großen die Regierung zum Einlenken zwingen könnte.
Wenn Europa bei Konfliktlösungen auf dem eigenen Kontinent und im internationalen Maßstab wieder stärker mitreden möchte, wäre eine Neubelebung des KSZE-Konferenzgedankens sicherlich hilfreich.