Otmar Steinbicker

Die Abgeordneten, die heute dem neuen Krieg zustimmen, handeln unverantwortlich

Aachener Nachrichten, 04.12.2015

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Dass Vertreter der Friedensbewegung ernsthaft mit Militärs diskutieren, kommt eher selten vor. Wenn es vorkommt, dann gibt es sehr schnell in einer wichtigen Frage Konsens: Politische Konflikte können nur politisch gelöst werden.

Über den Dissens, ob im Rahmen einer politischen Lösung auch militärische Mittel eingesetzt werden sollen oder nicht, kann sinnvoll dann diskutiert werden, wenn zumindest über die Grundzüge einer politischen Lösung Klarheit besteht. Dann sind auch beide Seiten gefordert, ihre jeweiligen Lösungsvorschläge in der Debatte detailliert auf den Prüfstand zu stellen. Schlagworte helfen niemandem.

Es war vor allem die Erfahrung des Afghanistan-Desasters, die Militärs nachdenklich gemacht und Zweifel an den politischen Entscheidungen geweckt hat, die dem Kriegseintritt zugrunde lagen. Die Nachdenklichkeit und die Zweifel halten an, weil der Krieg in Afghanistan bereits seit 14 Jahren anhält und nach wie vor keinerlei politische Lösung am Horizont sichtbar ist.

Heute fordert die Bundesregierung die Abgeordneten des Bundestages auf, einen zweiten, zusätzlichen Kriegseinsatz zu beschließen. Von einem Ansatz zu einer politischen Lösung, in die dieser Militäreinsatz eingebettet werden soll, ist bisher keine Rede. „Wir arbeiten daran“, verspricht Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Das klingt ganz nach dem Motto: „Schießt schon mal los, wir sagen Euch demnächst, in welche Richtung.“

André Wüstner, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, weiß um die Pro-blematik des angekündigten Krieges. Er rechnet bereits mit einer Dauer von mehr als zehn Jahren. Auf die Frage von „Spiegel online“, ob der Bundestag über etwas entscheiden soll, dessen Folgen niemand absehen kann, antwortete Wüstner: „Absolut, die Zukunft ist völlig ungewiss. Keiner kann sagen, ob es gelingt, ein Ordnungsziel zu definieren – und wie sich die Luftschläge auswirken. Trotzdem müssen wir versuchen, klare und realistische Ziele zu erarbeiten. In Afghanistan hat die Politik das über Jahre hinweg versäumt. Wenn wir ziellos umherirren, ist dieser Einsatz auf Dauer mit Sicherheit nicht zu verantworten.“ Das sind für einen zur Loyalität verpflichteten Bundeswehroffizier, der zudem als Verbandsvertreter und nicht als Privatperson spricht, klare Worte!

Viel komplexer als in Afghanistan

Eine politische und militärische Zielsetzung, wie sie Wüstner fordert, gibt es aber nicht, zumal die Realität in Syrien und der Region ungleich komplexer ist als im vergleichsweise einfach strukturierten Afghanistan.

So bleibt schlichte Hilflosigkeit. Man könne mit dem IS nicht verhandeln, klagt die Kanzlerin. Wenn das so ist, dann ist Krieg ein problematisches Mittel zur Bekämpfung des IS. Ein Krieg endet durch Sieg, Verhandlungen oder Kapitulation. Dass der neue Krieg zu gewinnen ist, glaubt niemand.

Zu Beginn des Afghanistan-Krieges glaubten die Bundeswehroffiziere, es ginge ausschließlich um Terrorismusbekämpfung. Wenn man Bin Laden als mutmaßlichen Drahtzieher gefasst habe, dann könne man siegreich nach Hause zurückkehren. Schon im Dezember 2001 wurde deutlich, dass Bin Laden nicht gefasst wurde und es in Afghanistan um vielschichtige Probleme ging, die den verantwortlichen deutschen Generälen nicht bekannt waren und zu deren Lösung sie mit militärischen Mitteln nichts beitragen konnten. Schon zu diesem Zeitpunkt war der Einsatz gescheitert, was im kleinen Kreis offen zugegeben wird. Der Unterschied zum Afghanistan-Krieg besteht heute darin, dass sich niemand wie damals anfängliche Illusionen machen kann. In der Bundeswehr weiß man das.

Die Abgeordneten, die heute dem neuen, chaotischen Krieg zustimmen, kennen die kritischen Einwände der militärischen Fachleute. Sie wissen, dass sie damit eine von Anbeginn an politisch und militärisch unverantwortliche Entscheidung treffen.

Die Soldaten und Offiziere der Bundeswehr müssen sich jetzt individuell die Gewissensfrage stellen, ob sie diesen Krieg, dessen Problematik sie auf dem Hintergrund ihrer eigenen Afghanistan-Erfahrungen kennen, mittragen können.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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