Otmar Steinbicker
Gedanken zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine
24.02.2023

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
1. Wenn der Krieg nicht gestoppt wird, dann wird er weitergehen, womöglich noch sehr lange
Als Putin den Krieg begann, hatte er womöglich die Illusion, sehr schnell Kiew einnehmen und dort eine ihm genehme Regierung installieren zu können. Obendrein sollte zumindest der Donbass im Handstreich eingenommen werden. Putins Vokabel von der „Spezialoperation“, die den Begriff Krieg vermied und auch der militärische Vorstoß in den ersten Tagen deutete auf eine solche Zielstellung. Dass sich Putin damit verrechnet hatte, zeigte sich relativ schnell. Im Donbass konnte die russische Armee allerdings größere Gebiete erobern. Bis zum Sommer konnte dann die ukrainische Armee einige Gebiete zurückerobern
Inzwischen ist der Krieg seit Monaten in einen Stellungs- und Abnutzungskrieg übergegangen, in den beide Seiten tausende Soldaten als Kanonenfutter schicken und sterben lassen. Größere Geländegewinne kann keine Seite mehr vermelden. Womöglich kann sich der Krieg so mit hohen Opferzahlen auf beiden Seiten noch einige Jahre führen lassen. Siegen kann keine Seite, wie die Rand Corporation, ein Thinktank, der das Pentagon berät, in einer 32 Seiten langen Studie feststellte.
Diejenigen, die die Weiterführung des Krieges befürworten und mit Waffenlieferungen befeuern, hoffen darauf, dass der anderen Seite irgendwann Waffen und Munition ausgehen. Sie können sich aber nicht ausschließen, dass es am Ende womöglich der eigenen Seite so geht. Das wird sich erst klären, wenn der Nebel des Krieges sich lichtet. Dann wird zu sehen sein, was von der Ukraine und Russland oder bei einer nicht auszuschließenden atomaren Eskalation, vor der der UNO-Generalsekretär warnt, auch von Europa und der Welt übrig geblieben ist.
Einige hoffen auch auf ein Ende der Ära Putin. Ein solches Ende wird es irgendwann geben. Aber das mag womöglich dauern und dann weiß niemand, wer ihm nachfolgt. Da sind sicherlich die Diskussionen in Russland, soweit man von ihnen erfährt, aufmerksam zu verfolgen. Allerdings ist auch ein Ende der Ära Selenskyi nicht auszuschließen. Im Oktober sind in der Ukraine Parlamentswahlen und im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen angekündigt. Wie sich die Stimmung in der Ukraine entwickeln wird, wenn der versprochene Sieg ausbleibt, mag niemand vorherzusagen. Auch dieser Aspekt ist aufmerksam zu verfolgen.
Wenn man nicht solange warten möchte, bis die eine oder andere Ära irgendwann einmal endet, dann muss dieser Krieg jetzt gestoppt werden.
2. Wie lässt sicher Krieg stoppen?
Die Forderung nach einem Waffenstillstand ist richtig. Ein Waffenstillstand würde die Kampfhandlungen stoppen, nicht mehr und nicht weniger. Es wäre noch kein Frieden, aber es würde zumindest nicht mehr geschossen, jedenfalls dann nicht, wenn der Waffenstillstand eingehalten würde, was in der Vergangenheit bei vereinbarten Waffenstillständen nicht der Fall war.
Den Analysten der Rand Corporation erscheint eine Art langfristig zementierter Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinie die realistischste Lösung zu sein. Das gliche dann womöglich der Teilung der koreanischen Halbinsel. Eine sympathische Lösung ist das allerdings keineswegs.
3. Ist ein Verhandlungsfrieden möglich?
Die Forderung nach Verhandlungen ist ebenfalls richtig. Schon, um einen Waffenstillstand zu erreichen, müsste verhandelt werden, erst recht, dann wenn mehr und gar eine Friedenslösung erreicht werden soll.
Selbst Gegner von Verhandlungen, die die Position vertreten, zuerst müsse Russland alle besetzten Gebiete räumen, bevor verhandelt werden könne, müssten ihre Position insofern als illusionär einsehen, als selbst ein gewünschter Truppenabzug verhandelt werden müsste. Da wären dann Fragen zu klären, in welchem Zeitraum sollen/können die Truppen abgezogen werden und welche Rückzugsrouten sollten sie nehmen, auf denen sie dann kontrolliert und unbehelligt abziehen können. Ohne Verhandlungen bewegt sich also gar nichts!
Aber sind Verhandlungen derzeit realistisch vorstellbar?
Der ukrainische Präsident Selenskyi hat direkte Verhandlungen mit Russland per Dekret verboten. Der russische Präsident Putin bestreitet – zuletzt in seiner Rede vor wenigen Tagen – der Ukraine das Recht auf staatliche Existenz. Da kann er schlecht mit der Regierung dieses Staates verhandeln. Damit sind direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland derzeit kaum vorstellbar.
Wer Verhandlungen fordert, muss sich also Gedanken machen, wie Verhandlungen realisiert werden können.
Es bliebe immer noch der Weg moderierter Verhandlungen.
Dazu könnte zum Beispiel der UNO-Generalsekretär einladen, aber dann müsste er auch sicher sein, dass beide Seiten seiner Einladung folgen. Das scheint derzeit nicht der Fall zu sein, was auch erklären würde, dass es bisher keine öffentlich ausgesprochene Einladung gibt.
Womöglich müsste auch Druck auf beide Seiten ausgeübt werden, sich auf moderierte Verhandlungen einzulassen. Dazu müsste es aber neutrale Vermittler geben, die nicht nur einladen, sondern auch Druck beziehungsweise verlockende Angebote machen könnten.
4. Was kann die chinesische Initiative bewirken?
Da kommt jetzt die chinesische Initiative ins Spiel, die einige Essentials festschreibt, wie die territoriale Integrität der Ukraine und die Geltung der UNO-Charta, und auf dieser Basis Verhandlungen fordert. Russland ist nach Westen hin derzeit isoliert und damit stark von China abhängig. Diese Abhängigkeit könnte China nutzen, um Russland zu Verhandlungen und zu ernsthafter Verhandlungsbereitschaft (was nicht identisch sein muss) zu bewegen. Auf die Ukraine könnte China weniger mit Druck als mit verlockenden Angeboten einwirken.
Dass der ukrainische Präsident Selenskyi erst einmal positiv auf die chinesische Initiative reagiert hat, ist ein positives Zeichen. Ein solches Zeichen wurde von Putin bisher nicht vermeldet.
Wie Oberst a.D. Wolfgang Richter, ein deutscher Militär und erfahrener Diplomat in Verhandlungen über konventionelle Abrüstung bereits in einem im August 2022 erschienenen Aufsatz schrieb, hatte Ende März Präsident Selenskyj vier Punkte vorgeschlagen:
(1) Den Verzicht der Ukraine auf den NATO-Beitritt
(2) Die Verschiebung von Verhandlungen über den Status der Krim um 15 Jahre
(3) Die direkte Verhandlung zwischen den Präsidenten Russlands und der Ukraine über einen Sonderstatus des Donbass.
(4) Sicherheitsgarantien für die Ukraine
Sollte sich Präsident Selenskyj wieder auf diese Vorschläge besinnen, die er zwischenzeitlich zugunsten von Maximalzielen vom Tisch gewischt hatte, so müsste Russland darauf womöglich unter chinesischem Druck reagieren. Das könnte den Blick auf realistische, für beide Seiten akzeptable Verhandlungsziele öffnen und weiten.
Eine Zauberformel für ein schnelles Kriegsende gibt es nicht. Sollten sich aber beide Seiten zu Verhandlungen bereitfinden, wäre ein Waffenstillstand für ernsthafte Gespräche absolut hilfreich.
Dass es China bei seinem Wunsch nach Beendigung des Krieges in der Ukraine nicht zuletzt auch um eigene Geschäftsinteressen geht, muss kein Nachteil sein. Wie China im Weiteren agiert und ob es dabei Hoffnungen oder Befürchtungen nährt, wird ebenfalls sorgfältig zu beobachten sein.
Eines ist zumindest sicher: Sollte China Waffen an Russland liefern, dann taugt es für diplomatische Initiativen ebenso wenig wie die Bundesregierung mit ihren Waffenlieferungen an die Ukraine.