Otmar Steinbicker
Ökonomie entscheidet, nicht mehr das Militär
Aachener Nachrichten, 22.01.2021

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
„Aber es muss Ihnen doch vollkommen klar sein, wohin das geostrategisch führt. Sie treiben Russland und China immer mehr zusammen, und Sie schaffen damit den größten wirtschaftlichen und militärischen Verbund, den es gibt. Und ich finde nicht, dass das die Strategie des Westens in dieser Auseinandersetzung sein sollte.“ Außenminister Heiko Maas, der diese Worte am Mittwoch im Bundestag an die Gegner des Nord-Stream2-Projektes richtete, wies damit auf eine strategische Ebene der internationalen Politik jenseits der tagesaktuellen Zwistigkeiten hin.
Seit Jahren ist ein neuer, langfristig angelegter Kampf um die Vorherrschaft in der Welt entbrannt. Die USA, die 1990 als alleinige und unumstrittene Führungsmacht aus dem Kalten Krieg hervorgegangen waren, schwächten sich vor allem selbst in den Kriegen ab 2001 gegen Afghanistan und Irak, die die Staatsfinanzen ruinierten, aber keinerlei Kriegsgewinne abwarfen. Russland als Nachfolgestaat der einst zweiten Supermacht ist nur noch ein Schatten der UdSSR, die sich in den 1980er Jahren im Afghanistankrieg aufgerieben hatte. Russland ist heute zwar noch immer als Atommacht militärisch stark, rohstoffreich und erzielt seine Einkünfte vor allem aus dem Export fossiler Brennstoffe. Ansonsten rangiert das Land aber ökonomisch eher auf einem Niveau von Italien. Einen längeren und größeren konventionell geführten Krieg gegen wen auch immer dürfte Russland ökonomisch nicht durchhalten und wird ihn tunlichst vermeiden.
Zur stärksten aufstrebenden Macht ist China geworden. Auch wenn das Land seit einiger Zeit militärisch aufrüstet, so beruht Chinas Machtgewinn eher auf geschicktem, mitunter auch brutalem, ökonomischem Agieren. China hat anders als viele andere Staaten keine besondere Militärtradition. Den letzten Krieg führte China vom 17. Februar bis 16. März 1979 gegen Vietnam. Er endete in einem Patt. Erfolgreich und durchaus problematisch besetzt China fremde Länder nicht mit Militär, sondern durch Aufkauf.
Für die USA ist China zum entscheidenden Herausforderer geworden. Das formuliert der neue US-Präsident Joe Biden ebenso deutlich wie sein Vorgänger Donald Trump. Ein besseres Konzept hat der Neue aber bisher nicht zu bieten. Er will die Strafzölle gegen China beibehalten, die Trump eingeführt hatte. Die Rolle des Vorreiters und Verteidigers des Freihandels haben die USA damit an China abgegeben. Die USA, die nach dem Ersten Weltkrieg die europäischen Kolonialmächte auf die Plätze verwiesen, befinden sich heute in einer gefährdeten Lage. Durch den Niedergang traditioneller Industriezweige bedingte innenpolitische Verwerfungen, die 2016 zum Wahlsieg Trumps führten, stellen heute das größte Problem für die neue US-Administration dar. Die EU sieht China als ökonomische Herausforderung und zugleich als wichtigen Markt, den man nicht durch eine konfrontative Politik gefährden will und kann. Die große Chance von 1990, Russland in Europa einzubinden und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok zu eröffnen, wurde binnen 30 Jahren leichtfertig verspielt. Russland wird, gleich von wem regiert, seine ökonomische Perspektive im Ausbau der chinesischen Neuen Seidenstraße auf dem sicheren, von Kriegsflotten nicht bedrohten, Landweg sehen.
Das Militär ist damit als entscheidender Machtfaktor von der Ökonomie abgelöst worden. Das wird in der EU noch nicht in der nötigen Schärfe wahrgenommen. Der Ausbau der Rüstungsindustrie hilft da nicht weiter.
Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "FriedensForum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier