Otmar Steinbicker
Globale Kooperation ohne Führungsmacht
Aachener Nachrichten, 01.9.2020

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
Das amerikanische Jahrhundert geht zu Ende. Die USA, die nach dem Ersten Weltkrieg als Finanzmacht erblühten und nach dem Zweiten Weltkrieg als größte Militärmacht die Führung der Welt beanspruchten und zeitweise nach dem Zusammenbruch der UdSSR auch durchsetzen konnten, sind heute nur noch begrenzt handlungsfähig. Ja nicht einmal im eigenen Land in der Lage, mit den Folgen der Corona-Krise fertig zu werden. Sie können die Welt nicht mehr führen.
Es wäre zu kurz gegriffen, für diese Krisenszenarien allein die Unfähigkeit des amtierenden Präsidenten Donald Trump verantwortlich zu machen. Eher scheint es, dass die Wahl Trumps vor vier Jahren ein Ausdruck einer tieferen Krise der USA war, deren Ursachen schon länger bekannt sind.
Ökonomisch nehmen noch immer Hightech-Konzerne aus den USA Spitzenpositionen ein. Doch selbst deren Produkte werden zu großen Teilen nicht mehr in den USA gefertigt. Der wichtigste Herausforderer ist China, gefolgt von Indien. Die EU muss sich deutlich dahinter einordnen, und Russland spielt ökonomisch nur noch als Rohstofflieferant und Waffenexporteur eine bedeutende Rolle.
Welche Folgen wird diese Entwicklung für die Weltordnung haben? Wer wird die USA als Führungsmacht ablösen?
Dass China die USA ökonomisch überholen wird, erscheint möglich, aber nicht sicher. Dass China die USA als militärische Führungsmacht ablösen wird, erscheint unwahrscheinlich. Sicherlich rüstet China derzeit massiv auf, allerdings ist nicht erkennbar, dass China Militär zur Durchsetzung seiner Interessen gegen andere Staaten einzusetzen will. Bisher ist China erfolgreich dabei, seine eigenen Interessen ökonomisch auch auf Kosten anderer Staaten durchzusetzen. Die gescheiterten Kriege der USA gegen Irak und Afghanistan zeigen obendrein, dass militärische Macht allein nicht zwingend erfolgreich ist.
Wenn aber niemand fähig ist, die Welt zu führen, wohin wird sie gehen?
Die Welt steht vor existenzbedrohenden Herausforderungen, die jetzt angegangen werden müssen. Der Klimawandel zeigt für alle sichtbar Ausmaße, die von vielen noch vor Kurzem für unvorstellbar gehalten wurden. Die Prognosen der Forscher sind noch beunruhigender. Hier ist dringend koordiniertes weltweites Handeln erforderlich, aber noch nicht in Sicht. Die Brandrodungen des brasilianischen Urwaldes sind da nur ein besonders loderndes Fanal.
Die andere große Gefahr ist ein schon in naher Zukunft völlig außer Kontrolle geratendes Wettrüsten. Bei den atomaren Massenvernichtungswaffen gab es zwar in den 1980er Jahren noch größere Vernichtungskapazitäten, zugleich aber auch ein seit der Kubakrise 1962 einigermaßen funktionierendes System der Rüstungsbegrenzung zwischen den beiden entscheidenden Supermächten. Dieses System schwindet dahin. Zugleich tragen neue strategische Rüstungsprojekte der USA und Russlands sowie weitere Atommächte und solche, die es werden wollen, dazu bei, dass Krisenszenarien, die die Welt an den Rand eines Atomkrieges führen könnten, wieder denkbar werden.
Obendrein birgt die weitere Forschung und Entwicklung autonomer Waffensysteme, die ohne Zutun von Menschen selbständig über ihren Einsatz entscheiden, reale Gefahren, wie sie bislang allenfalls in Science-Fiktion-Filmen vorstellbar waren.
Wenn diese Herausforderungen gemeistert werden sollen, dann ist jetzt dringend internationale Zusammenarbeit auch ohne eine explizite Führungsmacht, wie sie die USA einmal waren, gefragt. Wenn bisherige Formen der Zusammenarbeit nicht mehr funktionieren, dann müssen andere gefunden werden. Dazu kann auf bestehenden Fundamenten aufgebaut werden.
Die Konsequenz aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts war die Gründung der Vereinten Nationen 1945, in der alle Staaten gemeinsam nach Lösungen auch zur Beendigung von Streitigkeiten untereinander suchen sollten. Dass die UNO diesen Ansatz bald darauf in der Blockkonfrontation des Kalten Krieges aus den Augen verlor, ist bekannt. Dieser Ansatz bleibt dennoch richtig und muss wieder aufgegriffen werden.
Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "FriedensForum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier