Otmar Steinbicker

Macron, die europäische Armee und die französische Rüstungsindustrie

Aachener Nachrichten, 30.11.2018

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron fordert eine „wahre europäische Armee“ und er stößt damit bei der Bundesregierung auf offene Ohren. Doch im Detail driften die damit verbundenen Vorstellungen mitunter auseinander.

Als Begründung für die Schaffung einer solchen Armee werden gerne die Unsicherheiten der Politik der USA unter Präsident Donald Trump sowie Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 genannt. Doch was eine solche Armee wirklich leisten soll, bleibt im Unklaren. Dass Russland es mit Militärausgaben von 66,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 auf einen Krieg mit der NATO ankommen lässt, ist mehr als unwahrscheinlich, gaben doch die USA allein im gleichen Zeitraum 610 Milliarden aus und Frankreich und Deutschland gemeinsam 102,1 Milliarden, Großbritannien weitere 47,2 Milliarden. Die Ausgaben im Westen steigen weiter an. Russland kann sich solche Erhöhungen wirtschaftlich nicht leisten. Gegenseitig vereinbarte Abrüstungsschritte in Europa dürften da eher im russischen Interesse liegen.

Aber Rüstung ist ein lukratives Geschäft und da geht es Macron vor allem um Aufträge für die im Flugzeugbau starken französischen Rüstungsbetriebe. Hier möchte er gerne, dass das Milliardenprojekt des bereits angedachten Hightech-Kampfflugzeuges „Future Combat Air Systems“ (FCAS) ein ausschließlich deutsch-französisches Projekt unter bereits vereinbarter französischer Führung wird und der Auftragssegen nicht noch mit Spanien oder anderen Interessenten geteilt werden muss. Das geht aus einer Risikoanalyse zur französischen Rüstung hervor, die der Abgeordnete von Macrons Regierungspartei „La République En Marche!“, Jean-Charles Larsonneur, jüngst für den Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung verfasste.

Deutschlands Interesse geht dieser Analyse zufolge dagegen eher in eine andere Richtung. Mit einem über die Nato lancierten „Framework Nations Concept“ soll die Bundeswehr so ausgerichtet werden, dass die Armeen der Partnerländer stärker in ein Gesamtkonzept eingebunden werden. Diese sollen dabei vor allem ihre Panzerwaffen modernisieren, was dem deutschen Panzerbauer Kraus-Maffei Wegmann einen enormen Auftragsschub bringen würde.

Macrons Sorge gilt dabei auch den Folgen des Brexit für die französische Rüstungsindustrie. Daher schlug er bereits im September 2017 eine europäische Interventionsinitiative vor, in die Großbritannien mit eingebunden ist. Über Details berieten Vertreter von zehn europäischen Staaten, darunter auch Deutschland, Anfang November in Paris. Offiziell soll diese Initiative schnelleres gemeinsames militärisches Agieren in Krisensituationen ermöglichen. Rüstungspolitisch dürfte diese Initiative auf einen Ausbau der Luftwaffe und der Lufttransportkapazitäten in den Teilnehmerländern zugunsten der französischen und britischen Rüstungsindustrie hinauslaufen.

Wie schon im Weißbuch der Bundeswehr 2016 zeigt sich auch hier, dass große Rüstungsprojekte vor allem industriepolitisch motiviert sind und man sich nicht mehr wie noch im Kalten Krieg die Mühe macht, sie aus einer definierten militärischen Bedrohungslage abzuleiten.

Wenn Frankreichs Staatspräsident allerdings eine „Interventionsinitiative“ vorschlägt, dann geht es ihm nicht nur um die Förderung der Rüstungsindustrie, dann geht es auch um geostrategische Interessen in den ehemaligen Kolonien in Westafrika. Zwölf Staaten in dieser Region sind durch Militärabkommen an Frankreich gebunden.

Seit der Unabhängigkeit der Kolonien führte Frankreich dort eine Vielzahl von Militärinterventionen durch, um Frankreich-freundliche Regierungen an der Macht zu halten, oder an die Macht zu bringen. Politik und Militäreinsätze in Afrika werden vom Präsidenten entschieden. Dem Parlament wird lediglich Bericht erstattet.

In Deutschland darf ein Einsatz der Bundeswehr nur mit Zustimmung des Bundestages geführt werden. Wer mit dem Ziel einer europäischen Armee für die Aufhebung dieser Einschränkung plädiert, riskiert unsere Verstrickung in weitere Kriege.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


World Wide Web aixpaix.de

Beiträge von Otmar Steinbicker
2018

Macron, die europäische Armee und die französische Rüstungsindustrie

Das Ende des INF-Vertrags wäre ein Spiel mit dem atomaren Feuer

Bundesregierung behält sich doppelten Verfassungsbruch vor

Ein Atomkrieg gefährdet die Menschheit! Haben wir das vergessen?

Wir brauchen eine neue Grundsatzdebatte über Sicherheitspolitik

Neue Weltordnung? Es gibt keine sinnvolle Alternative zur UNO!

Iranabkommen: keine realistische Alternative zu einem weiteren Verhandlungsweg

In Syrien verfolgen alle ausländischen Mächte eigene Interessen. Und was macht Deutschland?

Konfliktprävention? Außenminister Maas setzt auf militärische Faktoren!

Statt einer Debatte über Konfliktlösung nur Schuldzuweisungen

Deutschland und die EU sollten den Staat Palästina anerkennen

2017

Wie in Europa mit alten Methoden für eine neue Aufrüstung Stimmung gemacht wird

Es ist höchste Zeit, Misstrauen abzubauen und den Dialog mit Russland wieder aufzunehmen

Waffen wie aus einem schlechten Science-Fiction-Film

Die Modernisierung der Atomwaffenpotenziale bedroht das Gleichgewicht des Schreckens

Die Nato sollte am Hindukusch nicht wieder in die altbekannte Sackgasse stolpern

Neue Herausforderungen an den Pazifismus

Sicherheit kann nicht mehr militärisch, sondern nur noch politisch gewährleistet werden

Rede zum Ostermarsch in Kaiserslautern am 15.04.2017

Es droht eine neue Debatte über die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa

Für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben gibt es keine überzeugenden Begründungen

Die jüngsten Forderungen nach einer atomaren Supermacht Europa sind hochgefährlich

Wie Donald Trumps Plan, die Europäer gegeneinander auszuspielen, durchkreuzt werden kann

2016

Außer Spesen nichts gewesen? Das OSZE-Treffen fördert den Dialog und öffnet vorsichtig Türen!

Friedensbewegung darf den Begriff der Verantwortung nicht allein der Regierung überlassen

Mit der Wahl Trumps zum Präsidenten haben sich die USA als Führungsmacht verabschiedet

Die Wiederkehr der Atomkriegsdebatte

Pazifismus vor neuen Herausforderungen – Wir brauchen eine ernsthafte Zukunftsdebatte

Die völlig verfahrene Situation in Syrien erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland

Steinmeiers Vorstoß für eine Kontrolle der konventionellen Rüstung kommt zur richtigen Zeit

Ist die NATO im großen Luftkrieg noch angriffsfähig?

Ministerin von der Leyen gibt auf die Sinnkrise der Bundeswehr keine überzeugende Antwort

Die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern spiegelt die Sinnkrise der Bundeswehr

Ankündigung einer sicherheitspolitischen Zeitenwende

Die Nato sendet ein martialisches Signal nach Moskau

Wie kommt die Friedensbewegung aus der Krise?

Die NATO als Sicherheitsrisiko

Unsere Zivilisation ist kriegsuntauglich geworden

Brauchen wir noch die Bundeswehr?

Nach dem Anschlag auf den Talibanführer droht der Konflikt außer Kontrolle zu geraten

Cyberwar klingt nach sauberem Krieg, ist aber hochgefährlich

Weißbuch 2016 – die Bundeswehr vor einer Neuorientierung?

Der Gedanke, dass Trump Herr über die Atomwaffen der USA werden könnte, ist unerträglich

PEGIDA, nicht die Friedensbewegung ist heute Adressat russischer Propaganda

Die Gefahr der Eskalation ist groß: Der komplexe Konflikt in Syrien muss endlich gelöst werden!

Friedenslogik: Konflikte in ihrer ganzen Komplexität betrachten

2015

Die Abgeordneten, die heute dem neuen Krieg zustimmen, handeln unverantwortlich

Ein gefährlicher Weg in einen neuen Krieg

Den IS zu bekämpfen ist eine politische Aufgabe, die nicht militärisch gelöst werden kann

Nach Jahren des Zögerns muss von der Bundesregierung eine ernsthafte Friedensinitiative ausgehen

Gedanken zur Geschichte der Friedensbewegung und zu deren aktuellen Fragestellungen

Warum Menschen fliehen

OSZE: Möglichkeiten und Grenzen des Konfliktmanagements

Von der „Charta von Paris“ zur NATO-Osterweiterung

Um Konflikte lösen zu können, muss Europa den KSZE-Gedanken endlich wiederbeleben

Zäh, schwierig, aber letztlich erfolgreich: Zusammenarbeit im UNO-Sicherheitsrat zahlt sich aus

Kubakrise – Nahe am Abgrund

Israel muss sich entscheiden

Die Karten im Nahostkonflikt werden neu gemischt

Gefährliche Blocklogik der Nato: Russland darf nicht aus dem Haus Europa ausgegrenzt werden

Die Mahnwachen – eine rechtsoffene Bewegung

Die Gefahr eines Atomkrieges ist in jüngerer Vergangenheit wieder deutlich gestiegen

Die Friedensbewegung hat keinen Grund zu verzagen, sie hat im Gegenteil gerade jetzt riesige Chancen!

Ergebnis von Minsk kann nur die grobe Richtung für eine Lösung des Ukraine-Konflikts vorgeben

„Friedenswinter“

2014

Die Lüge von der „Nachrüstung“

Leipzig 1989: „Wir sind das Volk – Montag sind wie wieder da“

Mein Zeitzeugenbericht vom 19.8.1989 an der ungarisch-österreichischen Grenze

Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Geht es beim Marineeinsatz im Mittelmeer um den Schutz des Abtransportes syrischer Chemiewaffen?

System kollektiver Sicherheit löst Konflikte und verhindert Krieg

2013

Sicherheitspolitik im Koalitionsvertrag: Viele Sprüche, die von der Realität längst überholt sind

Vor 25 Jahren: Yüksel Seleks schwierige Heimkehr in die Türkei

Friedensbewegung kann und muss an die Erfahrungen der 1980er Jahre anknüpfen!

Was soll eine Armee tun, die unser Land nicht mehr verteidigen kann und muss?

Wann der nächste deutsche Soldat in Afghanistan sinnlos stirbt, ist lediglich eine Frage der Zeit

Kampfdrohnen setzen die Hemmschwelle zur militärischen Gewaltanwendung deutlich herab

2012

Ist ein Ende der Gewalt in Syrien mit nichtmilitärischen Mitteln denkbar?

Eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ist eingeläutet

2010

Warum die NATO im 21. Jahrhundert keinen Sinn mehr macht (Aachener Nachrichten, 26.11.2010)

2009

Die erste Bresche im Eisernen Vorhang, Reportage vom 19.08.1989 in Ungarn

Krieg ist „ultima irratio“: Sicherheit gemeinsam gestalten