Otmar Steinbicker
Cyberwar klingt nach sauberem Krieg, ist aber hochgefährlich
12.05.2016
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat ein neues Thema entdeckt: Cyberwar – Krieg im Internet. Das klingt nicht nach Tod wie in Afghanistan oder neuen gefährlichen Einsätzen wie in Mali. Cyberwar, das klingt chemisch sauber, modern, auf den ersten Blick sogar zivil, schließlich wird hier nicht mit todbringenden Waffen geschossen.
Obendrein gibt es in den Welten des Internets reale Bedrohungen. Jeder Nutzer weiß von Spam-Mails, von Berichten über die Abzocke vertrauensseliger Internet-Nutzer bis hin zu Hacker-Angriffen auf große Organisationen. Dass neben Internet-Kriminalität auch von interessierter Seite in unterschiedlichen Ländern Wirtschaftsspionage, staatliche Spionage und ebenfalls ein Eindringen in militärische Bereiche versucht wird, liegt auf der Hand. Dass solche Versuche abgewehrt werden müssen, versteht sich.
Aber kann diese Abwehr von Hackerangriffen eine sinnvolle Aufgabe für die Bundeswehr sein? Selbst Frau von der Leyen schwebt wohl kaum vor, die Computerkrieger mit militärischen Waffen auszurüsten, um andere Hacker zu bombardieren. Sie sollen ihre Abwehr-Aufgaben vielmehr an den Tastaturen ihrer Computer wahrnehmen, so wie ihre zivilen Kollegen in den Rechenzentralen großer Firmen oder Internet-Provider.
Nicht nur Abwehr, auch Angriff
Brauchen wir dann für diese Abwehraufgaben im Internet überhaupt eine spezielle Bundeswehr-Einheit? Wäre für diese Aufgabe nicht womöglich der Aufbau einer einheitlichen, hochkompetenten, zivilen Institution zum Schutz aller staatlichen Einrichtungen wesentlich sinnvoller und schlagkräftiger?
Solange es um die Abwehr von Angriffen aus dem Internet geht, spricht vieles für eine solche zentrale zivile Institution. Allerdings taugt diese nicht für eine andere Aufgabe: für eigene Angriffe via Internet auf die Strukturen und Institutionen anderer Länder. Und wie Frau von der Leyen deutlich erklärte, geht es bei der neuen Bundeswehr-Cyberwar-Truppe nicht nur um Abwehr, sondern auch um Angriff!
Eine solche Zielrichtung muss Besorgnis hervorrufen. Schließlich geht es bei dieser Art von Kriegführung nicht um virtuelle Ballerspiele. Der bisher bekannteste Kriegseinsatz eines Computerwurms namens Stuxnet bestand von 2005 bis 2011 in einem Angriff auf ein System zur Überwachung und Steuerung der Firma Siemens, das vor allem zur Steuerung von Industrieanlagen, Wasserwerken, Klimatechnik, Pipelines, also in überwiegend zivilen Bereichen eingesetzt wurde.
Als Ende der 1980er Jahre die Impulse der weltweiten Friedensbewegung auch Militärs über mögliche Folgen selbst konventioneller Kriege nachdenklich machten, trafen sich im Juni 1988 bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum Offiziere der Bundeswehr und der DDR-NVA zum Gedankenaustausch. Sie kamen damals gemeinsam zu dem Schluss, dass die veränderten gesellschaftlichen Realitäten, vor allem die Abhängigkeit von Elektroenergie, die Führung eines konventionellen Krieges gegenüber der Zeit des Zweiten Weltkrieges so erheblich ändern würde, dass bereits ein großer raumgreifender konventioneller Krieg die europäische Zivilisation existenziell gefährden würde. Das hieß in der Konsequenz: Auch aus militärischer Sicht musste ein solcher Krieg unbedingt verhindert werden! Heute gilt die internationale gesellschaftliche Abhängigkeit vom Internet als ein weiterer Beleg dafür, dass unsere Zivilisation „kriegsuntauglich“ geworden ist.
Atomkrieg ohne Atomwaffen
Cyberwar könnte dazu führen, über den Eingriff in Steuerungssysteme Atomkraftwerke zur Explosion zu bringen und damit einen Atomkrieg ohne Atomwaffen zu führen. Wenn eine solche Zerstörung unserer Zivilisation verhindert werden soll, dann muss diese Art der Kriegführung verhindert werden. Das bedeutet im Minimum, dass diese Art der Kriegführung international geächtet wird.
Die Bundesregierung kann aber nicht glaubwürdig für die Ächtung des Cyberwar eintreten, wenn sie selbst Streitkräfte zur Führung des Cyberwar unterhält.