Otmar Steinbicker
Die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern spiegelt die Sinnkrise der Bundeswehr
30.07.2016

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
In den letzten Tagen wurde von Seiten der Kanzlerin, der Verteidigungsministerin und anderen mal wieder der Einsatz der Bundeswehr im Innern in die Debatte geworfen. Macht ein solcher Einsatz Sinn?
Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist aus guten historischen Gründen im Grundgesetz strikt verboten. Die Gründe dafür waren den Vätern und Müttern des Grundgesetzes natürlich zeitnaher präsent als uns Nachfahren.
Als ich 1978 meine Staatsarbeit im Fach Geschichte über „Kommunalpolitik in Bottrop 1945-1948“ schrieb, führte ich u.a. ein Interview mit einem ehemaligen KPD-Stadtrat, der sich daran erinnerte, als Jugendlicher gesehen zu haben, dass die Reichswehr, die dort 1920 nach der Niederschlagung des gegen den Kapp-Putsch gerichteten Ruhr-Aufstandes siegreich einmarschierte, „Gehirngirlanden“ der getöteten Aufständischen Ruhr-Arbeiter über die Straßen spannte. Dass solche Erfahrungen sich auch auf eine Feindlichkeit gegenüber der Weimarer Republik auswirkten, kann man sich ohne Zuhilfenahme der Finger ausrechnen. Das entschuldigt nichts, sollte aber als ein Faktor bei der Beurteilung der Geschichte mit gesehen werden.
Armee und Polizei haben sehr unterschiedliche Aufgaben und von daher unterschiedliche Zielsetzungen und Ausrüstungen. Die sind aus meiner Sicht überhaupt miteinander nicht kompatibel.
Die Bundeswehr stand 2004 im Kosovo vor dem Problem, dass ein randalierender albanischer Mob gegen serbische Klöster vorging und diese zum Teil in Brand setzte. So etwas zu verhindern, wäre unter anderen Umständen Aufgabe von Polizei gewesen. Die Bundeswehr war dieser Lage nicht gewachsen und wurde anschließend dafür deutlich kritisiert.
Ich hatte vor Jahren Gelegenheit, den damaligen deutschen Kommandeur dazu zu befragen. Dieser sagte mir, dass sich in der randalierenden Menge auch Frauen und Kinder befunden hätten. Die Bundeswehrsoldaten seien militärisch bewaffnet gewesen. „Was hätten wir tun sollen? Auf Frauen und Kinder schießen oder sie gewähren lassen? Wir hatten keine andere Alternativen.“
Wir können die aktuelle Problematik von unterschiedlichen Perspektiven her angehen.
Wenn es stimmt, dass seit Jahren die Zahl der Polizeikräfte drastisch reduziert wurde, dann ließe sich diese entsprechend der Notwendigkeit wieder aufstocken. Wenn wir mehr Polizisten brauchen sollten, dann kann es auch sinnvoll sein, Bundeswehrsoldaten auszumustern, umzuschulen und an Polizeiausrüstung auszubilden.
Diese ganze Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern ist ja keineswegs nur tagesaktuell, sondern existiert schon länger. Sie hat vor allem mit einer Sinnkrise der Bundeswehr zu tun. Wofür taugt die Bundeswehr noch? Eine „Landesverteidigung“ ist unter den Bedingungen eines modernen, raumgreifenden großen Krieges in Europa nicht mehr möglich. Ihr Versuch würde selbst dann zur Landesvernichtung führen, wenn ein solcher Krieg wider Erwarten ohne Atomwaffen geführt würde. Das wissen Militärs in West und Ost aber seit Ende der 1980er Jahre. Die Kriege auf anderen Kontinenten mit dem vorgeblichen Ziel einer militärischen Lösung politischer Konflikte haben von Afghanistan über Irak und Libyen bis hin zu Syrien solche Konflikte nicht gelöst, sondern nur verschärft!
Das jüngste Weißbuch der Bundeswehr tappt, was die Orientierung der Truppe angeht, im Dunkeln. Mir scheint, da ist inzwischen jedes Mittel Recht, die Existenz der Bundeswehr auf Biegen und Brechen zu rechtfertigen. Wenn die in diesem Zusammenhang an die Wand gemalten Bedrohungsszenarien auch nur halbwegs zuträfen, würde man die Bundeswehr vervielfachen müssen und käme zugleich niemals auf den Gedanken, dass sie dann auch noch zusätzlich im Innern einsetzbar wäre. Nein diejenigen, die jetzt den Einsatz der Bundeswehr im Innern fordern, wissen um die Krise des militärischen Faktors.
Dann sollten wir allerdings ehrlicherweise auch über diese Krise und die nötigen Konsequenzen reden. Die Problematik der Polizeiarbeit hat damit wirklich nichts zu tun!
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier