Otmar Steinbicker
Gefährliche Blocklogik der Nato: Russland darf nicht aus dem Haus Europa ausgegrenzt werden
Aachener Nachrichten, 11.05.2015
Eine der entscheidendsten Fragen, die sich vor 70 Jahren am 8. Mai 1945 stellte, lautete: Wie lassen sich künftig Kriege verhindern? Dass es Konflikte zwischen Staaten sowie innerhalb von Staaten aufgrund unterschiedlicher Interessen gibt, lässt sich nicht vermeiden, aber können solche Konflikte nicht auch ohne Krieg gelöst werden?
Die internationale Staatengemeinschaft schuf damals die Vereinten Nationen vor allem mit dem Ziel, Konflikte politisch zu lösen. Als Haupthindernis erwies sich dabei schon bald die Schaffung großer Militärblöcke in West und Ost. Die Logik der Blockkonfrontation schlug sich nicht zuletzt in zahlreichen Stellvertreterkriegen nieder. Dass es nicht zum großen Krieg zwischen West und Ost kam, verdanken wir vor allem der Erkenntnis, einen Atomkrieg kaum überleben zu können, hin und wieder aber auch einem Quentchen Glück, dass Fehlalarme früh genug als solche erkannt wurden.
Das Problem, Kriege zu beenden und neue zu verhindern, stellt sich heute in neuer Schärfe. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass frühere Weltmächte wie Großbritannien und Frankreich erheblich an Bedeutung verloren. Auch die USA sind vor allem durch mehr als ein Jahrzehnt Kriegführung im Irak und in Afghanistan deutlich geschwächt. China und Indien gewinnen ökonomisch an Gewicht. Der Kampf um eine Neuaufteilung der Welt und um Einflussgebiete ist in vollem Gange. Regionalmächte wie Iran und Saudi-Arabien scheuen sich nicht, Stellvertreterkriege zu führen. Auch der kriegerische Konflikt um die Ukraine ist unter dem Aspekt zu betrachten. Dabei geht es um militärische und wirtschaftliche Interessen, die auch zwischen den USA und der EU nicht deckungsgleich sind.
Nicht militärisch
Die Erfahrung der letzten Kriege im Irak, Afghanistan und Libyen hat deutlich gezeigt: Politische Konflikte lassen sich nicht militärisch lösen! Die Kriege führen letztlich nur zu neuem Chaos und zu neuen Problemen. Es war nicht zielführend, einen Diktator wie Saddam Hussein zuerst als Verbündeten gegen den Iran aufzurüsten, um ihn später mit militärischer Gewalt aus dem Amt zu jagen und in Folge anderen Kräfte von Al Kaida bis zum IS Raum zu bieten. Aktuell kämpfen von den USA unterstützte Gruppierungen im syrischen Bürgerkrieg unter Führung der zu Al Kaida gehörigen Al Nusra-Front gegen den IS. Da ist das Chaos perfekt.
Wer politische Konflikte politisch lösen will, benötigt politische Konzepte und diplomatisches Geschick, um Kontrahenten in gemeinsame Lösungen einzubinden. Wenn heute darauf verwiesen wird, dass die EU dazu beigetragen hat, einen Krieg zwischen den EU-Staaten unvorstellbar zu machen, dann muss man sehen, dass politische Konflikte zwischen den EU-Staaten, die es gibt und geben wird, durch Kompromisse innerhalb der EU gelöst werden. Das ist für alle Beteiligten ein Geben und Nehmen.
Uralte Ängste
Ein Grundfehler des Westens nach 1990 bestand darin, Russland nicht in ein gleichberechtigtes Miteinander auf der Grundlage der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa einzubinden, sondern weiter auf der Blocklogik der Nato zu bestehen und Russland aus dem gemeinsamen Haus Europa ausgrenzen zu wollen. Das musste spätestens dann schief gehen, als das Nato-Bündnis bis an die russischen Grenzen ausgedehnt und damit uralte russische Einkreisungsängste geweckt wurden. Dass Russland in einer solchen Situation nach neuen Bündnispartnern im Osten sucht und dabei in Richtung China und Indien schielt, entspricht der Blocklogik.
Wer politische Lösungen sucht, muss die Blocklogik überwinden und erneut dort ansetzen, wo die internationale Staatengemeinschaft vor 70 Jahren ansetzte: Nur eine starke UNO und starke regionale Gliederungen wie die OSZE, in die alle Akteure gemeinsam eingebunden sind, können tragfähige Lösungen finden, die angesichts der ausufernden und sich verselbständigenden Dauerkonflikte dringend gefordert sind.
Wer weiter auf Blocklogik und Kriegseinsätzen beharrt, darf sich über Folgen wie massive Flüchtlingswellen nicht wundern.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier