Otmar Steinbicker
Biden muss sich für eine Richtung entscheiden
Aachener Nachrichten, 21.11.2020
Wenn der frisch gewählte nächste US-Präsident Joe Biden am 20. Januar ins Weiße Haus einzieht, warten eine Menge dringender Aufgaben auf ihn. Sicherlich wird Biden zu Beginn ein Hauptaugenmerk auf die Innenpolitik und die in sich zerrissene Gesellschaft der USA richten, doch auch international stehen drängende Probleme, Entscheidungen und Weichenstellungen an.
Einen positiven Aspekt gibt es bereits: Biden hat seine Bereitschaft erklärt, den Anfang Februar auslaufenden New-Start-Vertrag, den letzten atomaren Rüstungsbegrenzungsvertrag zu verlängern. Auch Russland ist dazu bereit. Das schafft Zeit, ernsthaft zu verhandeln mit dem Ziel, einen neuen Vertrag abzuschließen. Die Gefahr eines jähen, unkontrollierten atomaren Rüstungswettlauf bei Interkontinentalraketen wäre damit fürs Erste gebannt. Offen bleibt, wie mit den atomaren Mittelstreckenwaffen nach der Kündigung des INF-Vertrages verfahren wird. Ein russischer Vorschlag liegt auf dem Tisch, auch hier ein Moratorium zu beschließen und erst einmal keine neuen Waffen zu stationieren. Damit sind aber Grundsatzfragen nach der Orientierung der künftigen US-Außenpolitik noch nicht beantwortet. Zu Recht weisen Medien kritisch daraufhin, dass für Bidens außenpolitisches Team Männer und Frauen mit einschlägigen Erfahrungen aus den Kriegen gegen Irak und Afghanistan und mit bekannten Verbindungen zur Rüstungsindustrie auf dem Tableau stehen und er selbst in der Vergangenheit ein eifriger Befürworter von Kriegen war.
Das muss aber nicht heißen, dass Biden die nächsten Kriege vorbereitet, zumal es Aussagen von ihm gibt, solche Kriege vermeiden zu wollen. Womöglich haben auch seine Leute aus den Fehlern gelernt. Das Problem ist vielleicht eher, dass diejenigen, die bisher in Kriegskategorien dachten, sich schwer damit tun, für schwierige internationale Konflikte Lösungswege ohne Militäreinsätze zu entwickeln.
Als größtes außenpolitisches Problem der USA sieht Biden – wie Trump – das weitere Erstarken Chinas und den damit verbundenen Kampf um die Vormachtstellung in der Welt. Bereits Vorvorgänger Barack Obama hatte den militärischen Fokus deutlich in Richtung Pazifik und mit Frontstellung gegen China verschoben. Doch wie lässt sich mit Militäraufmärschen ein ökonomisches Erstarken des Konkurrenten verhindern? Trump hat es mit Strafzöllen und Sanktionen versucht, was aber nicht nur China, sondern auch der eigenen Wirtschaft schadete.
China hat dagegen ein nichtmilitärisches Zeichen ökonomischer Stärke gesetzt und vor einer Woche ein Freihandelsabkommen mit 14 anderen asiatischen Staaten, darunter auch Japan, Singapur und Indonesien, darüber hinaus aber auch mit Australien und Neuseeland, geschlossen. Dieses Abkommen betrifft ein Drittel des Welthandels. China geht es dabei weniger um hehre Ziele als um massive Eigeninteressen.
Die Durchsetzung des Freihandels war übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg eine Domäne der aufstrebenden USA und ein wichtiges Mittel, ihre Vorherrschaft durchzusetzen und die Machtbasis der ehemaligen Kolonialreiche Großbritannien und Frankreich entscheidend zu schwächen. Freihandel ist damit ein Mittel, dass vielen Vorteile bietet, besonders viele aber den oder dem ökonomisch Mächtigsten. Insofern sehen nicht wenige Beobachter in diesem Abkommen auch einen Fehdehandschuh in Richtung USA.
Sollte Biden sich künftig in Richtung mehr Militär orientieren, so mag er damit die Rüstungsindustrie fördern, müsste aber zugleich auf dringend benötigte Mittel für die Beherrschung des Klimawandels verzichten.
Gerade die US-Militärs wiederum sehen im Klimawandel eine gewaltige Bedrohung, da bei steigendem Meeresspiegel schon bald die wichtigsten Kriegshäfen verlorengehen und damit die vor allem auf Seekriegsführung ausgerichtete Militärmacht USA handlungsunfähig wird.
Der neue Präsident steht also zu Amtsbeginn vor einem Dilemma und muss jetzt Richtungsentscheidungen treffen, wenn er in seiner vierjährigen Amtszeit etwas bewegen will.
Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "FriedensForum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier