Otmar Steinbicker
Ein weltweites Verbot von Atomwaffen
Aachener Nachrichten, 13.05.2020

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
In der SPD wird um den Verbleib der letzten ca. 20 US-Atomwaffen auf deutschem Boden heftig gestritten. Fraktionschef Rolf Mützenich und die Parteispitze wollen, dass die USA die Bomben abziehen. Außenminister Heiko Maas möchte, dass sie bleiben. Auch die Union als stärkerer Koalitionspartner pocht auf den Verbleib. Immerhin: Dass zu diesem Thema eine öffentliche Debatte entfacht wurde, ist ein positives Zeichen. Letztlich geht es bei diesem Thema jedoch um sehr viel mehr als um die 20 Atombomben im Eifelörtchen Büchel, die schon vor zehn Jahren hätten entsorgt werden sollen und müssen, wie es 2010 der Bundestag einmütig forderte.
Die Vorstellung, einen Krieg zu führen und womöglich zu gewinnen, indem man aus Flugzeugen Atombomben abwirft, war in den 1950er Jahren durchaus gängig. Damals gab es auch noch Propagandafilmchen, die Schutz vor atomarer Strahlung versprachen, wenn man sich nur eine Aktentasche über den Kopf hielt. Heute dürften atomar bewaffnete Flugzeuge, die von Nörvenich aus Richtung Russland starten, mit höchster Wahrscheinlichkeit mitsamt ihrer tödlichen Fracht über Polen abgeschossen werden. Ein Krieg lässt sich so weder führen noch gewinnen.
Die Erkenntnis, dass ein Atomkrieg nicht gewinnbar ist, griff nach der Kubakrise 1962 Raum und führte in den 1960er und 1970er Jahren zu Rüstungskontrollvereinbarungen zwischen den USA und der UdSSR. 1987 wurde mit dem Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenraketen erstmals eine ganze Waffenkategorie verboten und auf beiden Seiten verschrottet.
Als Ende 2001 die USA den ABM-Vertrag aufkündigten, der mit geringen Ausnahmen eine Raketenabwehr verbot und damit die gegenseitige Schutzlosigkeit im Falle eines Atomkrieges festschrieb, stand dahinter die Überlegung, einen Atomkrieg doch wieder führbar – weil vielleicht gewinnbar – zu machen.
Das folgende Modernisierungsprogramm für US-Atomwaffen ging dann deutlich in diese Richtung. Hochpräzise Raketen sollten in einem Erstschlag Russland möglichst weitgehend entwaffnen und ein breit ausgebautes Raketenabwehrsystem doch noch gestartete russische Atomwaffen abfangen.
Das russische Modernisierungsprogramm für Atomwaffen setzt asymmetrisch auf ultraschnelle Hyperschallwaffen, gegen die ein Raketenabwehrsystem wirkungslos sein soll. Beide Rüstungsprogramme haben bei aller Unterschiedlichkeit einen gemeinsamen Nenner: Sie verkürzen drastisch auf beiden Seiten die Vorwarnzeit bei einem eventuellen oder auch nur aufgrund eines Fehlalarms vermuteten Angriffs. Ein beabsichtigter „Gegenschlag“ wäre so womöglich der die Katastrophe auslösende reale Angriff.
Militärs – auch der Bundeswehr-Universität in München – warnen seit Jahren mit drastischen Worten vor einem solch hochgefährlichen Wettrüsten, das alle Erkenntnisse seit der Kubakrise ad absurdum führt. Sie erwarten von der Bundesregierung, dass diese auf die USA und Russland einwirkt, um beide Seiten wieder auf einen Weg der Vernunft zu bringen. Doch die Bundesregierung blieb bislang zumindest in ihren Verlautbarungen tatenlos oder plapperte gar völlig verantwortungslos Propagandabehauptungen der USA nach.
Angesichts der drastisch gestiegenen Gefahren durch das neue atomare Wettrüsten kommt der grundlegenden Forderung nach einem weltweiten Verbot der Atomwaffen analog dem der Chemiewaffen eine steigende Bedeutung zu. Ein Verbotsvertrag wurde in der UNO mit 122 Stimmen angenommen, bis heute von 80 Staaten unterschrieben und von 53 ratifiziert.
Wenn Deutschland heute Verantwortung für die Bewahrung der Menschheit vor einer nuklearen Katastrophe übernehmen will, dann sollte die Bundesregierung schnellstens diesen Vertrag ebenfalls unterzeichnen und ratifizieren. Nach Umfragen dürfte sie sich dabei einer Unterstützung von mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sicher sein.
Die Entsorgung der 20 BüchelBomben wäre auf diesem Wege immerhin ein erster, wenn auch überwiegend symbolischer Schritt. Dass darüber derzeit noch gestritten wird, zeigt, dass es noch sehr viel zu tun gibt.
Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "FriedensForum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier