Otmar Steinbicker
Thema Abrüstung erscheint in neuer Schärfe
Aachener Nachrichten, 17.04.2020

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
Noch immer beherrscht die Corona-Pandemie die Schlagzeilen. Noch immer ist weder die Dauer noch das gesamte Ausmaß der weltweit grassierenden Krankheit abzusehen. Eines aber ist schon jetzt gewiss: Die Kosten und der volkswirtschaftliche Schaden werden immens sein! Das wird heftige Auswirkungen auf den Bundeshaushalt 2021 zur Folge haben und da wird auch nach Einsparpotenzialen zu suchen sein.
Ein Punkt, der ins Auge sticht: Für den Wehretat sind im Haushaltsentwurf von Mitte März für das kommende Jahr 45,6 Milliarden Euro vorgesehen, knapp 600 Millionen mehr als für 2020. Während das Bundesfinanzministerium angesichts der Pandemie für alle Zahlen des Haushalts zur Vorsicht riet, plädierte Außenminister Heiko Maas noch am 2. April dafür, trotz der finanziellen Belastungen des Staatshaushalts durch die Corona-Krise weiterhin am „Zwei-Prozent-Ziel“ der Nato festzuhalten.
Erinnern wir uns: Das Ziel der Nato heißt zwei Prozent vom Brutto-Inlandsprodukt jedes Staates. Es ist damit an die wirtschaftliche Leistung gebunden und nicht an eine wie auch immer geartete und zu hinterfragende Bedrohung durch wen auch immer. Das unterscheidet das Nato-Ziel von der realen Bedrohung durch die aktuelle Pandemie.
Wer die Bedrohung durch Corona und eventuelle Nachfolger ernst nimmt, wird über den aktuell absehbaren Zeitraum hinaus auf eine bessere Ausstattung der Krankenhäuser drängen und über einen Umbau des Gesundheitswesens dahingehend nachdenken, dass wieder das Wohl der Patienten im Vordergrund steht und nicht die betriebswirtschaftliche Gewinnerwartung.
Wer militärische Bedrohungen erkennt und ernst nimmt, der sollte jetzt allerdings nicht für weitere Aufrüstungsschritte plädieren, sondern über realistische Schritte in Richtung auf Rüstungsbegrenzung und Abrüstung nachdenken.
Heiko Maas sollte sich daher, statt voreilige Treueschwüre gegenüber der Nato zu publizieren, besser im Archiv des Auswärtigen Amtes das Grundsatzpapier zu einem „Neustart der Rüstungskontrolle“ seines Amtsvorgängers Frank-Walter Steinmeier vom 26. August 2016 ansehen. Steinmeier forderte damals eine neue Debatte über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa und schrieb: „Keiner gewinnt, alle verlieren, wenn wir uns in einem neuen Rüstungswettlauf gegeneinander erschöpften.“ Dieser Satz erhält angesichts der Pandemie, die nicht nur Europa, sondern die ganze Welt bedroht, noch einmal eine besonders aktuelle Bedeutung.
Russland, das von Steinmeier 2016 explizit angesprochen worden war, reagierte damals übrigens konstruktiv, fragte jedoch, ob der deutsche Außenminister sicher sei, dass auch die anderen Nato-Staaten zu einem Neustart der Rüstungskontrolle bereit sei. Genau das war damals nicht der Fall.
Heute stellt sich jedoch für alle Staaten dieser Welt angesichts der Corona-Gefahr das Thema Rüstungsbegrenzung und Abrüstung in neuer Schärfe und nicht nur für Europa und nicht nur beim Thema konventionelle Waffen. Die laufenden Modernisierungsprogramme der USA und Russlands für Atomwaffen verschlingen Milliardensummen, die beide Länder jetzt für unmittelbare medizinische Betreuung und zur wirtschaftlichen Schadensbegrenzung sowie in Zukunft für den Um- und Ausbau ihrer Gesundheitssysteme benötigen. Hier wäre ein sofortiges Moratorium, also ein unmittelbar wirksamer Stopp der Modernisierungsprogramme, ein erster realistischer und hilfreicher Schritt, dem weitere Verhandlungen und zu erarbeitende Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsabkommen folgen könnten. Konkrete Anregungen würde auch hier ein Blick in die Archive früherer Abkommen bieten, die in den letzten Jahren nach und nach gekündigt wurden. Die Welt würde obendrein sofort von einer geringeren Atomkriegsgefahr profitieren.
Die Bundesregierung müsste beim Thema Atomwaffen nicht einmal auf der Zuschauerbank verharren, sondern könnte der Einfachheit halber den einmütigen Bundestagsbeschluss vom 26. März 2010 zum Abzug der US-Atomwaffen aus dem rheinland-pfälzischen Büchel realisieren und damit Zeichen setzen!
Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "FriedensForum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier