Andreas Buro
Für eine Neuausrichtung der kurdischen Strategie
Kommentar für den Europäischen Friedensrat

Die Schuld ist eindeutig. Das Fenster der Möglichkeit für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage in der Türkei ist nicht von der kurdischen Seite zugeschlagen worden, sondern von der türkischen. Die Fakten sind hinreichend bekannt und müssen hier nicht noch einmal dargelegt werden. Trotzdem muß die kurdische Seite auch für diese Situation eine Strategie entwickeln, die sie ihrem Ziel einer friedlichen politischen Lösung näher bringt. Es nützt nichts, mit dem Finger auf die türkische Seite zu zeigen und zu sagen, die müssen jetzt den Karren aus dem Dreck ziehen.
Die kurdische Seite hatte einen einseitigen Waffenstillstand verkündet und eingehalten, hatte Friedensdelegationen aus irakisch Kurdistan entsandt, Öcalan hatte Perspektiven für die Lösung der Kurdenfrage skizziert, die Ankara der Öffentlichkeit nie zugänglich gemacht hat, und hatte sich immer wieder Dialogbereitschaft signalisiert – sehr gute Schritte, aber nicht ausreichend angesichts der türkischen Verhältnisse. Auch nicht ausreichend, um endlich die EU und die EU-Staaten zu friedenspolitischer Vermittlung zu bewegen.
Statt jedoch an ihrer friedenspolitischen Linie festzuhalten, hat sich die kurdische Seite nach ihren von Ankara nicht beantworteten Schritten wieder dem militärischen Kampf zugewandt, ja schlimmer noch, sie hat das Kampfgebiet auf die ganze Türkei ausgeweitet. Sie demonstriert, dass sie überall im Lande durch punktuelle Angriffe und Attentate zuschlagen kann. Doch was will sie damit erreichen?
Vor Tod, Vertreibung und Zerstörung der kurdischen Ortschaften kann die PKK ihre Landsleute in der Türkei gegenwärtig ebenso wenig schützen wie früher. Siegen kann sie gegenüber der türkischen Armee ohnehin nicht. Die getöteten jungen türkischen Soldaten und Polizisten schwächen die türkische Streitmacht nicht. In einer solchen Situation der brutalen Reaktionen der türkischen Seite sind Vergeltungswünschen verständlich. Doch Rache ist keine geeignete Grundlage für eine politische Lösung, die ja doch auch auf einen Prozess der Aussöhnung angewiesen ist.
Die Kosten für die wieder aufgenommene kurdische Militärorientierung sind enorm: Statt Solidarität mit den von der Politik Ankaras vernachlässigten türkischen Schichten der Gesellschaft anzustreben, entsteht eine Steilvorlage für eine ethnische Verhetzung gegen die Kurden. Das gab es bislang nur vereinzelt. Die jüngsten Lynchattentate auf kurdische Bürger und Geschäfte müssen alarmieren. Hier tut sich eine Kluft auf, die von denen, die an der Anheizung des türkisch-kurdischen Konflikts interessiert sind, kräftig genutzt werden wird. Das ist Wasser auf die Mühlen der Generäle.
Aber auch die politischen Kosten im internationalen Umfeld sind immens. Wer kann in Europa nun noch die Forderung erheben, die PKK und ihre Guerilla von der Liste der terroristischen Organisationen zu streichen? Hämisch würde jenen begegnet werden, da seht ihr es ja! Wir haben es schon immer gesagt: die kurdische Guerilla ist eine terroristische Organisation. Wenn vielleicht noch ein paar Reisebusse mit ausländischen Touristen in die Luft fliegen, ist dies nicht mehr aus den Köpfen der Menschen herauszubringen. Es kann ihnen dann auch nicht vermittelt werden, dass es eigentlich die Kurden sind, die durch Zwangsassimilierung der staatlichen Repression ausgesetzt sind.
Alle Gründe sprechen dafür, dass die kurdische Seite so schnell und so öffentlich wie irgend möglich ihre militärischen Aktivitäten einstellt, militante Organisationen an ihrem Rande zur Ordnung ruft, ihre Bereitschaft zu einer friedlichen, politischen Lösung der Kurdenfrage unterstreicht und ein freundschaftliches Verhältnis zu den ansprechbaren türkischen Teilen der Gesellschaft herzustellen versucht. Wäre nicht auch eine Entschuldigung für die Tötung der türkischen Soldaten angebracht, zumindest ein Bedauern? Denn die einfachen türkischen Soldaten sind nicht diejenigen, die eine Lösung der türkischen-kurdischen Frage verhindern. Sie sind nur Opfer.
Ich gehe in meinen strategischen Vorschlägen noch über diese ersten Schritte hinaus. Die kurdische Seite sollte ohne Bedingungen ihre Bereitschaft erklären, auf den bewaffneten Kampf zu verzichten, ihre Waffen unter internationaler Kontrolle den Vereinten Nationen zu übergeben und die Verbände aufzulösen. Sie sollte sich ganz auf das konzentrieren, war von ihnen selbst immer wieder und zu Recht gefordert wurde, den Konflikt friedlich, politisch, demokratisch im Sinne ziviler Konfliktbearbeitung auszutragen. Das würde sie sehr glaubwürdig machen.
Bei einer Veranstaltung an der Universität in Giessen wurde mir neulich vorgeworfen, ich fordere die Kurden zur Kapitulation auf. Meine Antwort: Kapitulation keineswegs! Aber Verabschiedung von der militärischen Strategie, die keine Perspektive hat. Übergang zu einer neuen Strategie, die den schon seit langer Zeit von ihr vertretenen Prinzipien entspricht. Das wird noch schwer genug sein, Mut und Opferbereitschaft wird auch sie erfordern, aber sie wird gleichzeitig das Tor für Verständigung und Aussöhnung zwischen Kurden und Türken öffnen können.
Andreas Buro ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Seine Beiträge sehen Sie hier