Andreas Buro

Was geschieht eigentlich mit Europa?

22.07.2015

Über die schwierige Situation Griechenlands ist sehr viel für und wider und kreuz und quer gesagt und geschrieben worden. Mich bewegt die Frage, was geschieht eigentlich mit Europa und woraufhin steuert möglicherweise die deutsche Politik und die EU. Dazu die folgenden Thesen:

• Die EU setzt sich aus sehr unterschiedlich potenten Staaten zusammen. Das gilt für die EU als Ganzes, wie auch für die EU-Eurogruppe. Diese Heterogenität zu überwinden, erfordert nicht nur eine Wirtschafts- und Finanzunion, sondern auch die vielen nationalen Sonderinteressen in Einklang zu bringen und dazu zu bewegen, auch erhebliche Einbußen hinzunehmen. Dabei ginge es keineswegs darum, die kulturellen Besonderheiten der EU-Länder einzuebnen. Ihre Vielfalt kann ein wichtiger Lernansatz für Toleranz sein.

• Die vermutlich noch wachsende Heterogenität zwischen den EU-Staaten führt schon jetzt zu Tendenzen der Entdemokratisierung. Nationalistische Strömungen entstehen verbunden mit Feindbildern und einer Verklärung von Vergangenheit mit autoritären Herrschaftsstrukturen. Auch innerhalb der EU-Staaten ist die Solidarität zwischen reicheren und ärmeren Teilen oft in Gefahr ( z.B. Nord-Italien, Baskenland, Katalonien).

• Eine Politik der inneren Integration benötigt geradezu protektionistische Maßnahmen für einzelne wenig konkurrenzfähige Länder. Das steht jedoch im Gegensatz zu dem Credo der EU als einem Freihandelsgebiet. Es steht auch im Gegensatz zu den vehementen Bestrebungen der USA, globalen Freihandel überall in der Welt durchzusetzen. Die gegenwärtigen Geheimverhandlungen über TTIP, TISA und ??? für den atlantischen Raum und die analogen Verhandlungen im pazifischen Bereich belegen dies. Gerade lese ich ein endrucksvolles Zitat von dem wichtigen Pentagon Berater Thomas P.M. Barnett: "Es gibt viele Nationen, die innerhalb der Globalisierung funktionieren. Das sind Staaten, die die Regeln akzeptieren. Wer die Globalisierung bekämpft, wer die Regeln zurückweist wird möglicherweise das Interesse des amerikanischen Verteidigungsministeriums auf sich ziehen." Es geht also nicht um Murmelspiele.

• Die Gefahr, die EU nicht als Einheit erhalten zu können, erachte ich deshalb für groß. Auswege aus diesem Dilemma sind immer wieder diskutiert worden. Man solle doch eine Integration mit zwei Geschwindigkeiten betreiben. Ob damit auch der Austritt aus der Eurozone der nicht konkurrenzfähigen Länder gemeint ist? Würden diese dann in eine halb-koloniale Position gegenüber den Eurozone-Ländern geraten - Zulieferer an Menschen und wo vorhanden von Rohstoffen?

• Geschähe dies, so wäre dem Traum von der regionalen Integration heterogener Länder in anderen Teilen der Welt ein schwerer Schlag versetzt. Ob sie es in Südostasien oder Lateinamerika besser machen könnten?

• In jedem Falle wäre die von einigen erwartete Groß- oder gar Imperialmachtrolle EU-Europas unrealistisch. Dieses Resteuropa müsste sich dem militärischen Schutz der USA unterordnen und versuchen, auf dem Weltmarkt weitgehend über Teilhabe an internationalen Konzernen seine Position zu behaupten. Dabei hängt die Warnung von Karl Marx, das Kapital sei ein vaterlandsloser Geselle, wie ein Damoklesschwert auch über den bisher mächtigen EU-Staaten.

• Gegen eine solche Entwicklung spricht keineswegs die Aktivität unserer Bundeswehr-Renoviererin van der Leyen. Da wurde vorher von allen Verteidigungsministern geschlampt. Das soll nun mit Hilfe einer tüchtigen Staatssekretärin ausgebügelt werden. Für eine Weltmachtinterventionsrolle reicht dies jedoch nicht.

• Die Haltung der Bundesregierung in Berlin in der Griechenlandkrise interpretiere ich als den Versuch, die bestehende Situation innerhalb der EU noch zu erhalten, wohl wissend, dass dies möglicherweise auf Dauer nicht durchzuhalten ist und dann die andere beschriebene Entwicklung zwingend werden könnte. Mir fällt das früh gelesene und höchst umstrittene Buch von Oswald Spengler mit dem Titel: ‚Der Untergang des Abendlandes’ ein.

• Doch ist eine Alternative zu den hier skizzierten Szenarien denkbar? Denkbar ist eine vorsichtige Entfernung von der aggressiven Politik der USA zugunsten einer Politik der Vermittlung. Im Ukraine Konflikt ist dis bereits versucht worden. Auch im Iran-Konflikt hat Berlin zu seiner Lösung gut beigetragen. Vermittlung zu den aufsteigenden Staaten kann nicht heißen, ihnen open-door-policy aufzuzwingen. Vielmehr muss auf die nachholende entwicklungspolitische Situation dieser Länder Rücksicht genommen werden. Das bedeutet auch, protektionistische Bedürfnisse zu berücksichtigen. Das gilt für viele Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Eine solche sensibel vorgetragene Vermittlung würde das Ansehen Deutschlands, vielleicht auch der EU in dieser aufsteigenden Welt fördern. Es würde Methoden Ziviler Konfliktbearbeitung voran bringen und Gewalt zurückdrängen. Das würde auch einer klugen Politik der USA beim Abstieg aus ihrer unipolaren Position in die sich anbahnende multipolare Weltgesellschaft nützlich sein und der Überwindung der riesigen gemeinsamen Weltprobleme (Klima, Hunger, Gesundheit usw.) helfen können. Bisher ist nicht erkennbar, ob Deutschland und die wohlhabenderen Länder der EU eine solche Politik mittragen würden, doch in dieser Richtung zu drängen, Vorschläge zu machen und Forderungen zu erheben ist allemal richtig.

Andreas Buro ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Seine Beiträge sehen Sie hier


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