Aus der Autobiografie von Andreas Buro

Erinnerungen an Tage in Aachen

2011 erschien das Buch von Andreas Buro „Gewaltlos gegen Krieg, Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten“. Fünf Seiten widmete er darin seinen kurzen Aufenthalten in Aachen. Darin erläuterte er explizit die Grundzüge der von ihm entwickelten Zivilen Konfliktbearbeitung und Möglichkeiten ihrer Realisierung.

Hier sein Text:

Aachener Friedenspreis für Zivile Konfliktbearbeitung

Verleihung des Aachener Friedenspreises 2008, v.l.n.r.: Otmar Steinbicker, Mitri Raheb, Roni Hammermann, Andreas Buro

Ursula und ich waren schon zwei Tage früher nach Aachen gereist. Ich sollte dort am 1. September 2008 – dem Anti-Kriegstag – den nationalen Aachener Friedenspreis erhalten. Ich hatte etwas Angst davor, würde da doch viel Gutes über mich gesagt werden, und ich wusste, dass ich mit Belobigungen nicht gut umgehen kann.

Den internationalen Aachener Friedenspreis teilten sich die von Frauen gegründete und betriebene israelische Machsom Watch, vertreten durch Dr. Rahi-RoniHammermann und der palästinensische Pfarrer Mitri Raheb. Machsom Watch beobachtet die israelischen Kontrollpunkte im West-Jordanland und meldet alle Schikanen der israelischen Soldaten gegenüber Palästinensern der Öffentlichkeit. Dr. Mitri Raheb gründete das internationale Begegnungszentrum an seiner lutherischen Weihnachtskirche. Von dessen Erfolgen ermutigt, rief er 1998 die „Dar-Al-Kalima“-Schule, das „Haus des Wortes“, ins Leben. 2003 – da war die Zweite Intifada längst im Gange – gründete er das „Dar-Al-Kalima“-Gesundheitszentrum. Seit 2007 ist er dabei, die Fachhochschule für Kunst, Medien und Tourismus auszubauen.

Meine Töchter Josephine und Marie waren zu meiner Freude nach Aachen gekommen, wie auch viele Freunde und Freundinnen aus der Friedensbewegung. Der große Saal war brechend vol. Musik, Gesänge, Ansprachen. Der Verdi-Vorsitzende Bsirske hielt die Laudatio für uns drei Preisträger.

Ich bedankte mich für die Verleihung des Preises, und auch dafür, dass der Preis unter dem Kriterium der Zivilen Konfliktbearbeitung vergeben wurde, denn die Transformation von militärisch gewaltsamen zu zivilen Formen des Konfliktaustrags sei die große Aufgabe der Zukunft:

The Great Game, das einst die beiden großen Kolonialmächte England und Russland in Südasien spielten und dass gegenwärtig vom Kaukasus über Nahost bis Südasien wiederum inszeniert wird, kann die großen Weltprobleme – soziale Gerechtigkeit, Umweltsicherung, Rohstoff- und Energieverteilung sowie Kriegsverhinderung nicht lösen. Darüber hinaus produziert der „Krieg gegen den Terror“ Feind- und Freundbilder von angeblich Bösen und Guten, die Verständigung und konstruktive Kooperation blockieren. Die Bearbeitung der gewaltigen gegenwärtigen und zukünftigen Probleme erfordert dagegen Vertrauensbildung, Einfühlvermögen in die Situation der anderen sowie die Bereitschaft zum Dialog und zur Suche nach Lösungen, die für beide Seiten annehmbar sind. Jede Seite muß ihr Gesicht wahren können!

Dann wies ich auf die großen Hindernisse und auf die Notwendigkeit hin, sich auf einen langen Weg einzustellen. Ich versuchte Mut zu machen, wir könnten Stück für Stück Zivile Konfliktbearbeitung durchsetzen. Zum Schluss rief ich die Friedensbewegung auf, sich wie die Gänse auf dem Kapitol zu verhalten und bei allen Kriegsbedrohungen laut zu schnattern. Ich bin nicht sicher, ob dieser Hinweis auf das mythische Verhalten der Gänse im alten Rom verstanden wurde. Dennoch bekam ich stehende Ovationen, wohl aber nicht nur für meine Rede, sondern wegen der langjährigen Verbundenheit zu so vielen, mit denen ich gemeinsam für Friedenserhalt und -gewinnung gestritten hatte. Ich war gerührt und froh, ein Taschentuch zur Hand zu haben.

Die Preisverleihung geht auf die Strategiekonferenz der „Kooperation für den Frieden“ (KoFrie), einem Zusammenschluss von etwa 50 deutschen Friedensorganisationen, im Jahre 2005 zurück. Dort wurde auf meinen Vorschlag hin das Monitoring-Projekt Zivile Konfliktbearbeitung beschlossen,

um gewaltsamen, militärischen Konfliktaustrag überwinden zu helfen. Ein Monitor ist ein Mahner, ein Monitum eine Mahnung. In diesem Sinne soll an Hand konkreter, krisenhafter, eskalationsträchtiger Situationen im Einflussbereich von BRD und EU gemahnt werden, rechtzeitig mit zivilen Mitteln zur Deeskalation und – wo möglich – zur Lösung von Konflikten beizutragen. Neben der Situationsanalyse sollen deshalb Vorschläge für Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention unterbreitet und auf gelungene Bemühungen dieser Art hingewiesen werden.

Unser Montoring soll auch dazu dienen, in Politik, Medien und Öffentlichkeit Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention als Leitkonzepte zu verankern. Damit wollen wir die Möglichkeiten verbessern, über Druck aus der Gesellschaft die Schaffung und Stärkung der für unsere Alternativen erforderlichen Voraussetzungen (Institutionen, Strukturen, Ausbildungen und finanziellen Mittel) in der Politik durchzusetzen.

Zivile Konfliktbearbeitung und Kriegsprävention können Basisarbeit vor Ort sein, rechtzeitige Vermittlung, Schaffung von Institutionen und Kapazitäten zur zivilen Bearbeitung von Konflikten, Internationales Recht/Verträge und ihre Durchsetzung, regionale Integrationen, Bereitstellung von Mitteln zur Lösung von Konflikten sowie zum Abbau struktureller Gewalt, Ausbildung von geeignetem Personal, Abbau von Frühwarnsystemen, Abbau von Bedrohungspotentialen, Einrichtung von Dialogforen, Förderung der Akzeptanz eines gewaltfreien Interessensausgleiches in den Bevölkerungen, Maßnahmen der Friedenserziehung, die in vielen Konflikt- und Krisenregionen derzeit verstärkt Beachtung finden. (Aus der Gründungserklärung 2005).

Bis 2008 hat die „Kooperation für den Frieden“ eine BürgerInnen-Information zum Monitoring Projekt (2006) und Dossiers zu den Konflikten um den Iran (Dossier I, 2006), dem türkisch-kurdischen (Dossier II, 2007), dem israelisch-palästinenischen (Dossier III, 2007, Text: Buro/Ronnefeldt, die anderen Dossiers von mir) und dem afghanischen Konflikt (Dossier IV) herausgegeben. In diesen Dossiers werden Vorschläge dargeboten, wie die jeweiligen Konflikte mit zivilen, friedlichen Mitteln bearbeitet werden könnten. Dossier II ist im kurdischen Bereich immer wieder diskutiert worden. Dossier III musste in einer zweiten Auflage nachgedruckt werden, wie auch Dossier IV.

Immer wieder werde ich gefragt, wie groß denn die Chance sei, eine friedliche Lösung von Konflikten tatsächlich durchzusetzen. Man könne doch nicht erwarten, dass alle Menschen Gandhi-Qualitäten aufweisen! Nach den kritischen Erfahrungen hoffe ich auch nicht auf ein Verhalten größerer Gesellschaften bei Gefahr im Verzug, dass sie sich im Sinne „Sozialer Verteidigung“ gewaltfrei widerständig verhalten. Müssen wir nicht eine Friedenspolitik der zivilen, friedlichen Konfliktbearbeitung entwickeln, um die man sich sogleich bemühen kann? Das würde meine Hoffnung mit meinem Realitätssinn in Einklang bringen. Viele haben ähnlich gedacht und so hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ein breites Bemühen zugunsten Ziviler Konfliktbearbeitung (ZKB) ergeben. Der Wandel von militärischer zu Ziviler Konfliktbearbeitung und die entsprechende Abrüstung werden jedoch nicht schnell zu erreichen sein. Dazu sind die mit Rüstung und Militär verbundenen Interessen, die sie stützenden Gruppen und das traditionelle Denken in Gewalt und Gegengewalt zu stark. Dennoch ist sehr wohl vorstellbar, dass der gewaltsame militärische Konfliktaustrag zurückgedrängt wird; ihm durch internationales Recht und Gerichtsbarkeit immer mehr Handlungsfelder entzogen werden; die Potentiale in den Staaten und Gesellschaften, die sich um Zivile Konfliktbearbeitung bemühen, ausgebaut werden und dadurch auch in der öffentlichen Wahrnehmung an Gewicht gewinnen; dass frühzeitig kritische Informationen zu drohenden Konflikten vermittelt werden, eine öffentliche Debatte entzündet und eine energische Lobby- und Medienarbeit verbunden mit Vorschlägen zur Prävention betrieben wird, Dabei ist es eine wesentliche Aufgabe für zivilgesellschaftliche Gruppen, eine kritische Gegenöffentlichkeit zu schaffen und eine kultur des friedlichen, auch innenpolitischen Konfliktaustrages zu entwickeln und erfolgreiche Prävention und Zivile Konfliktbearbeitung mit ihrer großen Überlegenheit für Menschen und Wirtschaft in konkreten Fällen öffentlich sichtbar zu machen. So kann es gelingen, dass sich auch in den nationalstaatlichen, wie auch in den internationalen Organisationen MitarbeiterInnen zunehmend in diesem Sinne einsetzen, um ihre je spezifischen Aufgaben besser erfüllen zu können. Es gilt also, einen Prozess zu fördern, der in der Praxis zu verstärkter Kriegsprävention und Ziviler Konfliktbearbeitung führt und immer mehr Mittel und öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenkt und von daher eine Eigendynamik erhält. Daran können die auf Frieden orientierten Teile der Zivilgesellschaft einen erheblichen Anteil haben.

Das Monitoring-Projekt hat eine höchst erfreuliche Ausweitung erfahren. An der Universität Gießen hat Professorin Hanne-Margret Birckenbach, eine gute Freundin seit vielen Jahren, 2008 ein Seminar zu dieser Thematik angeboten. Dies fand ein so großes Interesse, dass nicht alle, die sich bewarben, aufgenommen werden konnten. Das Ziel lautete, eigenständige Dossiers auszuarbeiten. Ich wurde eingangs zu einer Gastvorlesung eingeladen. Später kamen Ursula und ich noch einmal zur Diskussion der Zwischenergebnisse. Ein Semester reichte nicht aus, weitere wurden angehängt. Dossiers wurden sogar für so schwierige Fälle wie Tibet, den Darfur-Konflikt und die ETA in Spanien ausgearbeitet. Ursula und ich waren ganz begeistert von dem Enthusiasmus der Studierenden. Auch an der Universität in Tübingen wurde das Thema aufgegriffen.

Die afghanische Friedens-Jirga kommt ins Spiel

Podiumsdiskussion zu Afghanistan, 30.8.2008, v.l.n.r.: Naqibullah Shorish, Otmar Steinbicker, Andreas Buro

Im Rahmen der mich bewegenden Preisverleihung und der großen freundschaftlichen Zuwendung gab es eine Podiumsdiskussion, an der auch der Außenrepräsentant der Nationalen Friedens-Jirga Afghanistans (nicht identisch mit der von der Karsai-Regierung in Kabul ebenso benannten Gruppierung) Naqibullah Shorish teilnahm. Der „Kooperation für den Frieden“ war es unter Federführung von Otmar Steinbicker, dem langjährigen Vorsitzenden des Aachener Friedenspreises gelungen, eine enge Beziehung zur Friedens-Jirga aufzubauen. Sie besteht aus religiösen Würdenträgern, Parlamentsabgeordneten, Stammesführern und Intellektuellen und hat Verbindungen in alle Teile der afghanischen Gesellschaft. Zu dem Afghanistan-Dossier äußerte sich der Vorsitzende der Jirga: „Das hätte jemand von uns geschrieben haben können“. Die Kooperation hat mit der Friedens-Jirga eine gemeinsame Erklärung verfasst. Der Bundesregierung wurde eine Kontaktvermittlung zum afghanischen Widerstand angeboten, die aber von ihr nicht aufgegriffen wurde.

Das Theater Aachen veranstaltete im Januar 2009 eine Themenwoche unter dem Titel „Nach dem Krieg. Individuelle und gesellschaftliche Folgen“. Sie sollte die Uraufführung des Stückes „Motortown“ über einen im Irakkrieg traumatisierten britischen Soldaten begleiten. Dazu wurde ich eingeladen, um mit dem mit Afghanistan Bundeswehrgeneral Egon Ramms und dem früheren israelischen Botschafter in der Bundesrepublik Avi Primor zu diskutieren. Aus den Unterhaltungen nach der Theaterdiskussion mit Herrn Ramms, der sich auch das Afghanistan-Dossier geben ließ, ergab sich, dass er auch an den Möglichkeiten zu Verhandlungen in Afghanistan interessiert war. Otmar Steinbicker hat in der Folgezeit General Ramms mit einem Vertreter der Friedens-Jirga im NATO Joint Force Command in Brunssum besucht. Dort wurde über den Vorschlag der „Kooperation für den Frieden“ und der Friedens-Jirga für einen regionalen Waffenstillstand in Kunduz gesprochen. Dieser könnte bei Erfolg nach und nach auf ganz Afghanistan ausgedehnt werden. Daraus entwickelten sich in Kabul Gespräche zwischen hohen Vertretern der Taliban und deutschen, englischen und amerikanischen ISAF-Offizieren, über die auch der US-Oberkommandierende Petraeus unterrichtet wurde. Die Friedens-Jirga hatte dabei die zentrale Vermittlerfunktion und koppelte sich ständig mit Otmar zurück, worüber er mich auf dem Laufenden hielt. Gegenwärtig ist nicht abzusehen, ob die US-Politik die Chance einer Verhandlungslösung tatsächlich ergreifen wird.

Andreas Buro, Gewaltlos gegen Krieg, Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main, 2011, S. 290-295.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlegers Volkhard Brandes.


World Wide Web aixpaix.de

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