Gershon Baskin

Es gibt einen Ausweg

24. September 2012

Da sowohl der Iran als auch Israel hohe Bereitschaft zum Angriff zur Schau stellen, muss die Öffentlichkeit in beiden Gesellschaften unbedingt erfahren, dass es Alternativen zu Angriff und gegenseitiger Zerstörung gibt!

Ich nehme an einem Workshop des Wiener Zentrums für Abrüstung und Non-Proliferation (VCDNP) teil. Die Versammlung findet einige Tage nach der jährlichen Versammlung der Internationalen Atomenergiebehörde (International Atomic Energy Agency, IAEA) statt. Im Raum sind einige Personen, die an den Verhandlungen über Rüstungskontrolle und Abrüstungsverträge zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion beteiligt waren. Einige arabische Botschafter sind da, die ihre Regierungen bei der IAEA vertreten und die an der jährlichen Versammlung teilnahmen, in der der israelische Leiter der Israelischen Atomenergiebehörde Shaul Horev eine Ansprache hielt.

Der Zweck der Versammlung ist zu sehen, ob aus dem, was einmal der während des Kalten Krieges in Gang gesetzte sogenannte Helsinki-Prozess war, etwas gelernt und auf die Situation im Nahen Osten 2012 angewendet werden kann. Im Hintergrund steht der Aufruf, eine Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten einzuberufen. Sie ist für Dezember 2012 in Helsinki geplant. Diese Konferenz wird natürlich nur dann stattfinden, wenn sowohl der Iran als auch Israel ihre Teilnahme zusagen.

Da sowohl der Iran als auch Israel hohe Bereitschaft zum Angriff zur Schau stellen, indem beide Seiten täglich ihre Möglichkeit, der anderen Seite schweren Schaden zuzufügen, beschwören, muss die Öffentlichkeit in beiden Gesellschaften unbedingt erfahren, dass es Alternativen zu Angriff und gegenseitiger Zerstörung gibt! Israel muss sicher sein können, dass der Iran keine Atombombe entwickeln wird. Der Iran ist überzeugt, dass Israels Atomwaffenarsenal jetzt schon auf den Iran gerichtet ist. Die Konferenz im Dezember soll unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stattfinden. Man geht nicht im Vornherein davon aus, dass Israel den Atomwaffensperrvertrag unterschreiben oder auch nur seinen Stand der Atombewaffnung darstellen wird.

Der Iran ist im Unterschied zu Israel Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages (Nuclear Non-Proliferation Treaty , NPT). Er hat jedoch seine Vertragsverpflichtungen ständig verletzt und die internationale Gemeinschaft über das Ziel seines Atomprogramms belogen. In diesem Punkt wie in anderen Punkten akuter Konflikte und hier noch stärker, unterschreiten Erklärungen bei Weitem das, was für die Sicherung der Einhaltung von Vertragsverpflichtungen notwendig ist.

Die internationale Gemeinschaft hat jahrzehntelange Erfahrung bei der Entwicklung von Überprüfungen von Regimen hinsichtlich Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen. Die internationale Gemeinschaft versagt allerdings bei der Durchsetzung. Die Wurzeln der gegenwärtigen Krise mit dem Iran liegen darin, dass der Iran dazu gebracht werden muss, das, was er selbst hinsichtlich der Urananreicherung erklärt hat, zu befolgen. Der Iran betrügt die internationale Gemeinschaft weiterhin. Allerdings sind sich die Fachleute in Israel und in aller Welt einig, dass der Iran sich noch nicht dafür entschieden hat, eine Atombombe zu bauen.

EIN KRIEG zwischen Israel und Iran wäre für die Sicherheit der Region und der Welt verheerend. Zurzeit können wir uns den Schaden an Eigentum und Infrastruktur, die beide Seiten einander zufügen würden, dazu den Tod so vieler unschuldiger Menschen überhaupt nicht vorstellen! Die israelische Armee ist sehr gut ausgerüstet und könnte riesige Mengen an Feuerkraft auf den Iran richten. Die Frage ist, ob Israel ebenso gut dafür gerüstet ist, seine Einwohner gegen Zehntausende von Raketen zu schützen, die auf uns gerichtet sind! Ist Israel wohl dafür gerüstet, mit dem weltweiten Zorn fertigzuwerden, wenn die Ölpreise steigen und Amerikaner und Europäer und andere, die ihr Auto betanken, doppelt so viel zahlen wie jetzt, während die internationale Gemeinschaft darum kämpft, die globale Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu retten?

Wird der Westen Israel vergeben, wenn es ihn in einen weiteren Krieg im Nahen Osten hineinzieht, einen Krieg, den er überhaupt nicht führen will? Wird das iranische Volk, von dem wir denken, dass die Mehrheit in Opposition zum Regime der Ayatollahs steht, diesen weiterhin Widerstand leisten, wenn der Iran von Israel angegriffen wird? Die Welt wird sicherlich sagen: „Die Pest über euch beide!“ Das Regime der Ayatollahs wird noch mehr befestigt und nur Gott weiß, wie lange Israel gezwungen sein wird, sich gegen den Iran und seine Kunden in der Region und in der Welt zu verteidigen.

An diesem Yom Kippur, wenn wir alle unser heshbon nefesh durchführen, die individuelle und nationale Suche nach unserer Seele, müssen wir uns fragen, ob ein israelischer Angriff auf den Iran die einzige Möglichkeit ist, eine iranische Atombombe zu verhindern. Vielleicht haben viele von uns nicht die Möglichkeit, die Frage kompetent zu beantworten, deshalb müssen wir sie wohl unseren Führern stellen. Angesichts so vieler ehemaliger Sicherheitsbeamter in Israel, die sich gegen den Angriff aussprechen, müssen wir annehmen, dass es Alternativen gibt, denn wir können davon ausgehen, dass keiner von ihnen möchte, dass der Iran eine Bombe hat.

Eine der Möglichkeiten, die auf dem Tisch liegen, ist die Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten. Dieser Mechanismus hätte vielleicht die Kraft, eine iranische Bombe zu verhindern, aber es ist eine weltweite internationale Bemühung, das zu erreichen, was ein israelisches Ziel für Sicherheit an sich und der Region sein sollte: eine massenvernichtungswaffenfreie Zone. Die wird nicht über Nacht eingerichtet und wird auch nicht das Ergebnis einer Konferenz im Dezember 2012 sein, aber sie gehört zu dem Prozess, an dem Israel beteiligt ist.

Dieses Thema steht nicht auf der Tagesordnung des öffentlichen Diskurses in Israel, das muss es jedoch! Wie können wir akzeptieren, dass unsere Regierung sich weigert, an einer internationalen Konferenz teilzunehmen, die von den Vereinigten Staaten vorgeschlagen, zu der die finnische Regierung unter der Schirmherrschaft der UN, darunter fünf ständige Mitglieder des Sicherheitsrates, einlädt und die darauf zielt, eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten zu schaffen? Können wir uns den Luxus leisten, nicht daran teilzunehmen? Gestehen wir uns die Möglichkeit zu, dass der Iran dort sein wird, wir aber nicht dort sein könnten? Können wir uns leisten, die Gelegenheit zu verpassen, direkt mit den Iranern zu sprechen, wenn sie dort sein werden und wir nicht dort sein werden? Schließlich sagen wir den Palästinensern ständig: Ihr könnt den Konflikt nicht beenden, wenn ihr nicht mit uns redet.

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Druckfassung

Gershon Baskin ist Autor des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


World Wide Web aixpaix.de

Beiträge von Gershon Baskin
2017

The inevitability of peace

From Washington to Jerusalem

Eight pieces of advice to Trump envoy Jason Greenblatt

Becoming a real, effective democracy requires a real, effective opposition

Only two states – nothing else

The fatal Israeli-Gaza mistake (2)

The fatal Israeli-Gaza mistakes

The wisdom to limit our rights

Where to, Israel?

Get out of our lives already!

The authority of the Authority

2016

The state of denial

Settlements, annexation and the death of Zionism

It’s not just the economy

Encountering peace?

Building a shared society

Excuse me for asking

Secret back channels

Anti-anti-normalization

The Left is right

A moment of opportunity

The worst negotiations, the best negotiations

Palestinian suffering makes no sense for Israel

Creating a compelling vision for peace

It is also in our hands

There is no partner

2015

The partnership challenge

A new intifada?

After Abbas

A bad agreement is better than no agreement

Israel’s strategic choices regarding Gaza

2014

Jerusalem of peace, Jerusalem of war

The Gaza challenge

Is Hamas prepared to end this war with a long-term ceasefire?

Some thoughts this morning

Regional forum for security and stability – Gaza first

After a long phone conversation with a Hamas leader in Gaza

Don’t destroy Gaza, build it!

Framework document for the establishment of permanent peace (part 3 of 3)

Framework document for the establishment of permanent peace (part 2 of 3)

Framework document for the establishment of permanent peace

2013

My Conversation With Hamas

Keine Fortsetzung des Unilateralismus!

Diesen Weg müssen wir einschlagen!

2012

Eine Ein-Staat-Realität ist nicht durchführbar

Mord an der Chance für Ruhe

Das Ende des Raketenbeschusses aus Gaza

Es gibt einen Ausweg

Atomwaffen raus aus dem Arsenal

Was Abbas Israel sagen sollte

Ist mein zionistischer Traum gestorben?