Gershon Baskin

Atomwaffen raus aus dem Arsenal

03. September 2012

Die Auswirkungen eines israelischen Angriffs übersteigen die Voraussage-Fähigkeiten aller Experten!

Ein einseitiger Angriff Israels auf den Iran ist Wahnsinn: Er ist zu risikoreich, gefährlich unverantwortlich und strategisch schlecht durchdacht.

Dem Iran darf nicht gestattet werden, eine Atombombe zu besitzen. Ein nuklear gerüsteter Iran ist nicht nur eine Existenzbedrohung für Israel, sondern er ist eine Existenzbedrohung für die Welt. Ein nuklear gerüsteter Iran würde ein Wettrüsten in der Region in Gang setzen, und da es so viele terroristische Organisationen und so viel von Staaten unterstützten Terror gibt, kann die Welt es sich nicht leisten, dass so viel angereichertes Nuklear-Brennmaterial auf dem Marktplatz Naher Osten angeboten wird.

In Israel und bei seinen republikanischen Freunden in den USA ist die Meinung verbreitet, dass der Iran nur durch eine Militäraktion aufgehalten werden könne. Beim Streit derer, die einen Angriff befürworten, geht es nur noch darum, wann dieser stattfinden müsse. Diese Debatten drehen sich in erster Linie um voneinander abweichende Definitionen der „roten Linie“, des Punktes, von dem aus es kein Zurück mehr gibt. Diese Linie ist erreicht, wenn Iran Atomwaffen bauen kann, oder schon fast bauen kann. Zurzeit sind sich die Experten einig, dass der Iran sich noch nicht dazu entschlossen hat, eine Bombe zu bauen. Nicht einig ist man sich darüber, ob der Iran schon so weit ist, ob er also waffenfähiges Material besitzt oder nicht.

Die meisten ehemaligen führenden Köpfe des israelischen Sicherheit-Establishments haben sich eindeutig gegen einen einseitigen israelischen Militärschlag ausgesprochen. Sie sprechen über die Begrenztheit eines solchen Angriffs – wie viel Schaden könnte er dem iranischen Atom-Programm zufügen? Sie sprechen auch von den Konsequenzen: vor allem vom möglichen Schaden durch Vergeltungsschläge des Iran und der Hisbollah.

Im Lichte der Vergeltungsmöglichkeiten der Hisbollah, die ein Arsenal von Langstreckenraketen besitzt, spricht man im israelischen Sicherheits-Establishment davon, dass es notwendig sein werde, nicht nur Ziele im Iran zu treffen, sondern gleichzeitig auch einen präventiven Angriff gegen die Hisbollah durchzuführen. Das bedeutet: Israel plant einen Regional-Krieg.

Zum Kalkül dieser Planung gehört auch der israelische Glaube, dass die arabischen sunnitischen Staaten der Region von vornherein den israelischen Angriff absegnen würden und erleichtert wären, wenn das iranische Atom-Programm abgebaut würde. Ich behaupte, dass dies eine falsche Annahme sei, dass sie also nicht für selbstverständlich gehalten werden sollte.

ICH BEHAUPTE, dass die neuen Regierungen und die arabische und muslimische Gemeinschaft einen israelischen Angriff auf den Iran nicht unterstützen werden, sondern das genaue Gegenteil tun, selbst in dem Fall, dass auch sie sich vor einer iranischen Bombe und der Stärkung des Regimes der Ayatollahs fürchten.

Aber, was wichtiger ist: Die Auswirkungen eines israelischen Angriffs übersteigen die Voraussage-Fähigkeiten allerExperten! Die Risiken sind enorm. Der mögliche Schaden für unsere Wirtschaft und Infrastruktur und der mögliche Verlust an Menschenleben sind einfach zu groß, als dass man sie durch einen geplanten Angriff riskieren dürfte.

Es gibt keine Möglichkeit sicherzustellen, dass nicht Hunderte von Raketen aus dem Iran und dem Libanon auf die Zivilbevölkerung im Zentrum des Landes und auf die lebenswichtige und strategisch wichtige Infrastruktur im ganzen Land niedergehen würden.

Es stimmt: Dem Iran darf nicht gestattet werden, eine Atombombe fertigzustellen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu beklagt sich, dass die internationale Gemeinschaft nicht genug tue, um dem nuklearen Ehrgeiz des Iran entgegenzuwirken. Die internationale Gemeinschaft muss die Verantwortung dafür übernehmen sicherzustellen, dass dieser Ehrgeiz nicht umgesetzt wird. Ebenso Israel. Dafür sind die Regierung und ihr Volk eindeutig verantwortlich. Aber: Ein militärischer Angriff des Iran ist nicht der einzig mögliche Beitrag, den Israel in diesem Prozess leisten kann. Mehr Kreativität und Denken über den Tellerrand werden dringend gebraucht, um die möglichen katastrophalen Folgen eines weiteren Krieges im Nahen Osten abzuwenden.

Die Werkzeugkiste der Diplomatie enthält ja nicht nur Bomben. In einem Artikel, den ich vor einigen Monaten geschrieben habe und der den Titel trägt: „Die unbeabsichtigten Folgen eines israelischen Angriffs auf den Iran“, habe ich geschrieben, dass das Ergebnis eines solchen Angriffs die Forderung der internationalen Gemeinschaft an Israel sein könnte, seiner Politik der doppelten Maßstäbe hinsichtlich des Vorhandenseins israelischer Atombomben ein Ende zu setzen und dass gefordert werden könne, dass Israel dem Atomsperrvertrag beitritt. Ich rufe Israel jetzt auf, diese Schritte freiwillig zu unternehmen, und zwar als Mittel, zusätzlich Druck auf die internationale Gemeinschaft und den Iran auszuüben, um sowohl eine Rüstung des Iran mit Atomwaffen als auch einen möglichen israelischen Angriff gegen den Iran zu verhindern.

Auf der Überprüfungskonferenz der Parteien des Atomwaffen-Sperrvertrages 2010 lauten einige Punkte des Abschlussdokuments in der Abteilung „Naher Osten“ folgendermaßen:

2. Die Konferenz sichert den Zielen des Friedensprozesses im Nahen Osten ihre Unterstützung zu und erkennt, dass Bemühungen in dieser Hinsicht ebenso wie andere Bemühungen unter anderem einen Beitrag zu einer Zone im Nahen Osten leisten, die frei von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen ist.

5. Die Konferenz erinnert an die Versicherung in der Überprüfungskonferenz vom Jahre 2000, dass Israel dem Vertrag beitreten und dass es alle seine Nuklear-Einrichtungen unter umfassende IAEA-Sicherung [International Atomic Energy Agency] stellen werde.

7. (a) Der Generalsekretär der Vereinten Nationen … wird in Absprache mit den Staaten der Region für 2012 eine Konferenz über eine Zone im Nahen Osten, die frei von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen ist, einberufen, an der alle Staaten des Nahen Ostens teilnehmen sollen…

Die Konferenz über die Einrichtung einer Zone im Nahen Osten, die frei von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen ist, ist für Ende 2012 geplant. Im Vorlauf der Konferenz, an der teilzunehmen Israel jetzt ankündigen sollte, sollte Israel auch präventiv ankündigen, dass es seine Politik der Zweideutigkeit beendet und es sollte die Inspektoren der IAEA nach Israel einladen, damit sie das volle Ausmaß von Israels nuklearem Waffenarsenal dokumentieren können.

Aber da hört es nicht auf. Israel sollte Folgendes sicherstellen:1) seine Absicht und sein strategisches Ziel, dass der gesamte Nahe Osten eine Region wird, die frei von allen Massenvernichtungswaffen ist, und 2) dass es seine Rolle dabei spielen wird, dieses Rahmenwerk einer regionalen und internationalen Vereinbarung zu vollenden.

Wenn Israel diese Strategie annimmt, dann ist die internationale Gemeinschaft vollkommen ermächtigt, die ganze Kraft der Diplomatie einzusetzen, darunter Kapitel Sieben der Charta der Vereinten Nationen, die den Einsatz von Gewalt gegen den Iran ermöglicht, wenn dieser von der gesamten internationalen Gemeinschaft unterstützt wird, darunter auch Russland und China. Das wäre eine weit eher strategisch vernünftige und sichere israelische Politik.

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Druckfassung

Gershon Baskin ist Autor des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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