Grundlagenforschung zu Friedensursachen von Martin Arnold

Gütekraft: mehr als Gewaltfreiheit

Wodurch kann gewaltfreier Widerstand solche Kraft entfalten, dass es sogar gelingt, Folter abzuschaffen und Diktaturen zu stürzen? Wie und unter welchen Umständen wirkt Gewaltfreiheit? Das sind Fragen, mit denen sich die Gütekraft-Forschung beschäftigt.

Der Begriff Gütekraft ist entstanden, weil Gewaltfreiheit (im Englischen: non-violence) das Konzept von Gandhi und anderen erfolgreichen Friedensaktivisten nur unzulänglich wiedergibt. Gandhi gebrauchte für seine Streitkunst im Indischen zwei Ausdrücke. Bisher wurde nur Ahimsa = Nicht-Verletzen, ins Englische und in andere westliche Sprachen übertragen. Daneben schuf Gandhi 1908 das neue Sanskrit-Wort Satjāgrah (engl. Schreibweise: satyagraha) und meinte damit die Kraft, die aus Wahrheit und Liebe geboren wird. Das Verständnis dieser Kraft, die seit einigen Jahren im Deutschen als Gütekraft bezeichnet wird, hilft, mit gewaltfreien Methoden Erfolge zu erzielen.

Denn es gelingt: Menschen verschiedener Religionen, Weltanschauungen und Ideologien ist es in der ganzen Welt immer wieder gelungen, durch Gütekraft Missstände auf friedlichem Wege abzubauen. Untersuchungen haben gezeigt, dass gewaltfreie Aufstände im 20. Jahrhundert doppelt so oft erfolgreich waren wie gewaltsame und oft schneller zum Ziel führten. Warum dies möglich ist, hat der Essener Friedensforscher Dr. Martin Arnold erforscht. In seiner Ende 2011 erschienenen, umfangreichen Studie zur Gütekraft hat er die erfolgreich angewandten Konzepte des Hindus Mohandas K. Gandhi (genannt Mahatma), der Christin Hildegard Goss-Mayr und des Freidenkers Bart de Ligt untersucht. Arnold zeigt, dass die gütekräftige Vorgehensweise im Einsatz für mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Frieden über kulturelle und ideologische Grenzen hinweg ein wirksames Modell ist (vgl. www.martin-arnold.eu > Forschungs­ergebnisse). In dem beiliegenden Aufsatz hat er wichtige Ergebnisse zusammengestellt. Zum Neugierig-Machen hier einige Punkte daraus:

Ausgangspunkt für gütekräftiges Handeln ist der Wille, gegen ein Unrecht vorzugehen bzw. einen Missstand abzubauen. Die Ehrenpräsidentin des Internationalen Versöhnungsbundes Hildegard Goss-Mayr sieht als ersten Schritt, die innere Kraft der Gewaltfreiheit, des Widerstandes, der Wahrheit und der Liebe in sich selbst zu entdecken und zu neuem, bewusstem Leben zu erwecken. Damit meint sie das von Ohnmachtsgefühlen befreiende Empowerment für Einzelne wie für Gruppen: das Überwinden der Opferhaltung und der Aufbau von innerer und gemeinschaftlicher Stärke. In der Regel werden die Vorkämpfer von der Vision eines Lebens in Fülle für alle und von einem starken Gefühl für Gerechtigkeit geleitet.

Zur gütekräftigen Grundhaltung gehört, allen Menschen wohlwollendes und gerechtes Handeln zuzutrauen – auch brutalen Machthabern und anderen, denen man aufgrund ihrer Taten eher misstrauen möchte. In dieser Haltung wird immer wieder der Dialog mit den Gegnern und mit Unterstützern des Missstands gesucht, um sie in ihrem Gewissen anzusprechen. Dazu sind Mut und Ausdauer erforderlich. Dagegen anderen Schaden zuzufügen, stärkt bei diesen die Neigung, dasselbe zu tun. Wer gütekräftig vorgeht, ist bereit, Schläge hinzunehmen, ohne sie zu vergelten.

Besonders bei schweren Unrechts- oder Unterdrückungssituationen ist neben der inneren Haltung wichtig, die Methoden des (gewaltfrei-)gütekräftigen Vorgehens zu lernen und umsichtig anzuwenden.

Ein sozialer Missstand kann nur dann weiter bestehen, wenn Menschen ihn stützen. Wer ihn auf starke Weise, gütekräftig, abbauen will, fragt sich als erstes nach der eigenen Mitverantwortung. Die notwendige Frage, wo wir als Betroffene nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems sind, kann schmerzlich sein – aber auch heilsam. Denn wer eigene Anteile an einem beklagten Missstand erkennt, kann daraus eigene mögliche Beiträge zu seinem Abbau ableiten. Damit kommt die eigene Macht in den Blick: Gütekräftig Handelnde nutzen zuerst die eigenen Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation. Sie tun unabhängig von anderen, was bereits in ihrer Macht steht zum Abbau des Missstands. Durch derartiges tätiges Wahrnehmen der eigenen Verantwortung ist es immer wieder gelungen, andere Menschen anzustecken und ebenfalls zum Handeln anzuregen: Taten rufen Resonanz hervor. So erklärte schon Gandhi seine Erfolge: Meine Stärke liegt darin, dass ich von den Menschen nichts verlange, was ich nicht selbst immer wieder in meinem Leben ausprobiert hätte.

Beitrag von Martin Arnold: Gütekraft: Zur Wirkungsweise gewaltfreier Aktionen in: Reiner Steinweg, Ulrike Laubenthal: Gewaltfreie Aktion. Erfahrungen und Analysen. 2011. Frankfurt/M: Brandes&Apsel, S. 186–204

Gesamte Studie

Martin Arnold ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Seine Beiträge sehen Sie hier


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