Otmar Steinbicker

Aachener Friedenspreis im kollektiven Selbstmord

21.07.2011

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Das Phänomen ist erstaunlich: Da gesteht der Verein Aachener Friedenspreis öffentlich ein, seit langem ein Problem mit dem Antisemitismus zu haben. Die Aachener Nachrichten und die Aachener Zeitung veröffentlichen diese Nachricht in ausführlichen, sachlichen und gut recherchierten Beiträgen und es gibt keinen Aufschrei!

Alle Vereinsmitglieder sollten wissen, dass ein solches Eingeständnis einem politischen Selbstmord gleichkommt. Antisemitismus, das ist gerade in Deutschland nach den Erfahrungen von Nazi-Diktatur und Holocaust glücklicherweise ein politisches No-Go!

Nicht, dass es keine Antisemiten mehr gäbe, da wabert noch einiges über diversen Stammtischen und wissenschaftliche Umfragen machen eine gefährliche Gemengelage bei einem erheblichen Prozentsatz der Deutschen aus. Aber: Wer Antisemitismus vertritt oder duldet, der hat in einer ernsthaften politischen Debatte unseres Landes nichts mehr zu zu suchen! Der ist politisch tot! Und das ist auch gut so!

Natürlich gibt es eine offene Debatte über die Definition von Antisemitismus. Da versuchen Antisemiten über die Hintertür einer berechtigten Kritik an israelischer Regierungspolitik die Tür für ihren perfiden Hass zu öffnen: Israel macht das Gleiche wie die Nazis heißt es dann und von ihnen gemeint ist der Umkehrschluss: Wenn das so ist, dann waren die Nazis so schlimm auch wieder nicht. Auschwitz, die Gaskammern und der historisch einmalige industrielle Mord an sechs Millionen jüdischen Menschen werden relativiert durch tagesaktuelle Menschenrechtsverletzungen, so schlimm diese auch sind. Aber auch einige militante Unterstützer israelischer Regierungspolitik versuchen, ihr Süppchen auf dem Thema Antisemitismus zu kochen, wenn sie auch leiseste Kritik an israelischer Regierungspolitik mit Antisemitismus-Vorwürfen eindecken.

Stereotype Muster antisemitischer Propaganda

Wer sich ernsthaft mit Antisemitismus beschäftigt, weiß um diese Probleme und prüft genauer, ob z.B. scheinbar tagespolitische Aussagen stereotype Muster antisemitischer Propaganda benutzen. Dennoch bleibt eine Grauzone und es gibt nur allzu viele, die sich gerne darin tummeln. Einige davon gehören sicherlich in die Kategorie derjenigen, die bei jedem beliebigen Thema gerne ihre Unwissenheit mit besonderem Verbalradikalismus zu kaschieren versuchen. Bei einem Verein, der sich aus einer Vielzahl von Menschen zusammensetzt, die über einen unterschiedlich hohen Informationsstand verfügen, kommt dem Vorstand die Verantwortung zu, hier Klarheit zu schaffen und Heißsporne zu zügeln.

Das Problem des Vereins Aachener Friedenspreis sind aber nicht solche unbedachten Heißsporne. Hier stinkt der Fisch vom Kopfe her! Unter dem Vorwand der Solidarität mit einem ehemaligen Preisträger versuchen der Vereinsvorsitzende und seine Stellvertreterin Antisemitismus als Kunst hoffähig zu machen. Da wird wird jemand, der widerliche antisemitische Karikaturen im Stürmer-Stil zusammenklaubt und öffentlich ausstellt, als Künstler hofiert. Wir respektieren die Freiheit der Kunst, heißt es da von den führenden Friedenspreis-Repräsentanten und selbstverständlich dürfe Kunst auch Grenzen überschreiten. Israelische Friedenspreisträgerinnen, die gegen solche antisemitischen Machwerke protestieren, werden geflissentlich ignoriert.

Wer gebietet dem Treiben Einhalt?

Wenn das so ist, wo bleibt dann der Vorstand, der diesem Treiben Einhalt gebietet? Die Presse berichtet von monatelangen Diskussionen. Dass diese offensichtlich ohne greifbares Ergebnis geblieben sind, ist erschreckend. Ein beherzte kollektive Aktion, sich solcher Propagandisten des Antisemitismus zu entledigen, wäre dem öffentlichen Ansehen des Vereins angemessen gewesen!

Und wenn der Vorstand versagt, wo bleiben dann die Mitglieder? Offensichtlich haben sie in ihrer Mehrheit die Brisanz der Positionen nicht erkannt, die in einem Mitgliederbrief vom April unter der Überschrift Ist die Kölner Klagemauer antisemitisch? formuliert wurden. Schon hier findet sich die These, die als antisemitisch kritisierte Aktion, sei ein politisches Kunstprojekt im öffentlichen Raum und es wird der Unwille formuliert, Grenzen zu setzen.

Aber spätestens, als eine außerordentliche und öffentliche Mitgliederversammlung zum Thema Antisemitismus angesetzt wurde, hätten bei jedem Mitglied die Alarmglocken klingeln müssen! Ab diesem Termin ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit und damit um das politische Überleben des Vereins Aachener Friedenspreis.

Mit seiner Unentschlossenheit, einen deutlichen und für jeden erkennbaren Trennstrich gegen das Gift des Antisemitismus zu ziehen, hat sich der Verein Aachener Friedenspreis bedauerlicherweise für den kollektiven politischen Selbstmord entschieden.

Friedensbewegung wird dennoch gebraucht und auch in Aachen – eine Friedensbewegung, die klar und eindeutig gegen jeden Antisemitismus Stellung bezieht und die Menschenrechtsverletzungen anklagt, von wem auch immer sie begangen werden – auch dann, wenn sie von einer israelischen Regierung begangen oder geduldet werden.

Eine eindeutige Positionierung gegen den Antisemitismus bedeutet in keiner Weise, auf eine kritische Positionierung gegenüber der israelischen Regierungspolitik zu verzichten oder die Solidarität mit der israelischen und palästinensischen Friedensbewegung einzuschränken. Im Gegenteil: eine eindeutige Positionierung gegen jeglichen Antisemitismus ist die unverzichtbare Grundlage für eine glaubwürdige Positionierung der Friedensbewegung in der Nahostdebatte.

Artikel: Verein Aachener Friedenspreis scheitert am Antisemitismus


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