Israelischer Vermittler und aixpaix.de-Autor Gershon Baskin im Gespräch

Wir werden wieder zum Thema Zwei-Staaten-Lösung zurückkehren

Otmar Steinbicker (l.) und Gershon Baskin. Foto: R. Pini

03.12.2012 – Ernste Gefahren aber noch kein Ende für eine Friedenslösung zwischen Israel und Palästina sieht der israelische Friedensaktivist, Vermittler und aixpaix.de-Autor Gershon Baskin in der aktuellen Zuspitzung der Krise im Nahen Osten. Israels Ministerpräsident Netanyahu hatte am Sonntag die Planung von 3000 neuen Wohnungen in der Westbank bekannt gegeben.

Gershon Baskin und aixpaix.de-Herausgeber Otmar Steinbicker hatten am Freitag im Rahmen von Baskins Deutschland-Besuch ein langes Gespräch über die Probleme und Möglichkeiten einer Friedenslösung zwischen Israel und Palästina geführt. Angesichts der aktuellen Entwicklungen kommunizierten Baskin, der inzwischen nach Jerusalem zurückgereist ist, und Steinbicker am Montag erneut über Internet.

Als Friedenslösung kann für Baskin nach wie vor nur eine Zwei-Staaten-Lösung in Betracht kommen: Keine Seite will unter dem Kommando der anderen Seite leben. Die Juden wollen ihren eigenen Staat, die Palästinenser ebenfalls. Wenn diese beiden Staaten existieren, können sie in friedlicher Nachbarschaft leben.

Die jüngste israelische Entscheidung, den Planungsprozess für das E1-Gebiet zwischen Jerusalem und der West Bank-Siedlung Maaleh Adumim zu beginnen, sei keine Entscheidung für einen unmittelbaren Baubeginn, betont Baskin. Es ist Politik! Wenn Netanyahu allerdings seinen Kurs nach den Wahlen nicht ändere, käme es zu einer nächsten Runde der Gewalt und erst nachdem wieder viele Menschen getötet und große Zerstörungen angerichtet wurden, werde man wieder zur Debatte um die Zwei-Staaten-Lösung zurückkehren. Befürchtungen, das E1-Projekt könne die Westbank in zwei Teile spalten, teilt Baskin nicht. Angesichts der enormen Einwände der USA sei es ohnehin zweifelhaft, dass das Projekt in naher Zukunft gebaut werde.

Auch die Palästinenser sind Akteure bei den israelischen Wahlen, ob ihnen das gefällt oder nicht, betont Gershon Baskin. Allzu oft hätten sie eine negative Rolle gespielt und dazu beigetragen, die rechten Kräfte und die Feinde des Friedens in Israel zu stärken. Daher fragt Baskin: Ist es für die Palästinenser realistisch möglich und erstrebenswert, jetzt etwas zu tun, das dazu führt, dass es bei den Wahlen in Israel zu einem positiveren, friedensorientierten Ergebnis kommt?

Die bisherigen Siedlungen bedeuten für Gershon Baskin noch nicht das Ende der Zwei-Staaten-Lösung. Die entscheidenden Siedlungen lägen auf nur fünf Prozent der Westbank und in unmittelbarer Nähe zur Grünen Linie, der Grenze von 1967. Für dieses Land könne und müsse Israel einen adäquaten Gebietsaustausch anbieten und gleichwertiges israelisches Land an Palästina abtreten. Andere Siedlungen etwa am Jordan müssten entweder geräumt werden oder die Siedler müssten sich entscheiden, die palästinensische Staatsbürgerschaft anzunehmen und unter palästinensischer Gesetzgebung zu leben. Wenn man den Siedlern Geld für eine Rückkehr nach Israel anbietet, wird ein Drittel der Siedler das akzeptieren und zurückgehen, ist sich Baskin sicher.

Für Jerusalem müsse als grundsätzliche Regel gelten: Das jüdische Westjerusalem gehört zu Israel, die palästinensischen Stadtviertel außerhalb der Altstadt zu Palästina. Das Problem sei die Altstadt mit ihren wichtigen Heiligtümern! Dazu lägen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch. Wichtig dabei sei vor allem eine internationale Moderation. Klar sei, dass das das jüdische Viertel jüdisch bleibe und dass auch das moslemische, das christliche und das armenische Viertel bleiben, was sie sind. Es müsse eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften geben. Politisch gehörten das moslemische, das christliche und das armenische Viertel den Palästinensern.

Gershon Baskin. Foto: Otmar Steinbicker

Die Situation sei allerdings vor dem jüngsten Krieg hoffnungsvoller gewesen als sie heute ist. Bei der Hamas hätten sich vor dem jüngsten Krieg im Laufe der Zeit realistischere Kräfte durchgesetzt. Der Militärchef der Hamas, Jabari, war nach Baskins Sondierungsgesprächen bereit zu einem dauerhaften Waffenstillstand. Da ging es noch lange nicht um Frieden! Ich habe immer wieder deutlich gesagt: Jabari war kein Mann des Friedens, betont Baskin. Aber der Waffenstillstand, den Jabari akzeptierte und den er gegenüber den kleinen radikaleren Gruppen durchsetzen wollte, hätte zumindest die dringend erforderliche Ruhe bringen können.

Kein Zweifel besteht für Baskin daran, dass Israel den ständigen Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen nicht hinnehmen konnte. Die Regierung war gefordert, etwas zu tun. Aber es gab andere und es gab bessere Mittel als den Krieg. Baskin hofft, dass der aktuell erreichte Waffenstillstand hält. Als Problem sieht er allerdings, dass die Hamas-Führer jetzt ernsthaft meinen, sie hätten den Gaza-Krieg gewonnen. Das braucht jetzt Zeit, bis sie wieder in der Realität ankommen. Erst einmal werde es eine Radikalisierung innerhalb der Hamas geben und bei den nächsten Wahlen innerhalb der Hamas würden radikalere Führer an die Macht kommen. Auch der politische Chef der Hamas, Chalid Maschal, werde da eine Rolle spielen.

Gershon Baskin konzidiert, dass Maschal öffentlich erklärte, er wolle die Grenzen von 1967 akzeptieren. Doch zugleich wolle der Hamas-Führer aber auch ein vollständiges Rückkehrrecht für die Flüchtlinge von 1948. Das wäre das Ende Israels, meint Baskin.

Ein grundsätzliches Problem sieht Gershon Baskin darin, dass einerseits mehr als 50 Prozent der Israelis und auch mehr als 50 Prozent der Palästinenser Frieden wollen, aber dass gleichzeitig die Israelis den Palästinensern nicht trauten und die Palästinenser nicht den Israelis. Das ist eine schwierige Ausgangsposition.

Das Dilemma der Verträge von Oslo aus den 1990er Jahren bestand nach Gershon Baskins Auffassung darin, dass nur Teilschritte vereinbart wurden, aber keine Gesamtlösung für den Frieden. Daher blieb es bei eher vagen Absichtserklärungen. Es folgten keine konkreten, abrechenbaren Vereinbarungen. Für solche Vereinbarungen fehle, so Baskin, ein ausländischer, neutraler Vermittler und auch eine neutrale Clearingstelle, die von den Konfliktparteien angerufen werden kann und die auch Beschwerden nachgeht. In Oslo hatten wir das Problem, dass immer wieder einzelne kleine Zwischenfälle an Checkpoints auf der obersten politischen Verhandlungsebene besprochen wurden. Für solche Probleme muss es andere Ebenen geben.

Für das Friedenslager in Israel bedeutete nach Baskins Erfahrung die zweite Intifada den Zusammenbruch. Damals verloren seiner Erfahrung nach viele Israelis angesichts der Bombenattentate ihr Vertrauen in die Palästinenser.

Inzwischen erlebe man in den arabischen Staaten ein enormes Erstarken der fundamentalistischen Bewegungen und Parteien, in Ägypten der Muslim-Brüder, in Palästina der Hamas, in anderen Staaten, wie z.B. Tunesien, ähnlicher Parteien. Das ist für einen demokratischen Prozess sehr problematisch, ja gefährlich, sagt Gershon Baskin. Für mich ist ein Gradmesser der Demokratie die Gleichberechtigung der Frauen. Da berichten mir meine Freundinnen und Freunde in den arabischen Ländern derzeit über sehr viel Rückschritte. Auch Jordanien befinde sich im Umbruch. Wenn das Haschemitische Königreich zerbricht, dann kämen auch dort die Muslimbrüder an die Macht. Was aus Syrien werde, könne derzeit noch niemand zu sagen.

In Palästina sei die Hamas die wichtigste fundamentalistische Bewegung, doch daneben gäbe es weitere, radikalere Bewegungen. Gerade weil die Entwicklung zur Zeit in Richtung Stärkung des Fundamentalismus gehe, sei es absolut wichtig, jetzt sehr schnell einen Frieden mit den nichtfundamentalistischen Kräften verhandeln – einen Frieden, der den Palästinensern reale Hoffnungen gibt.

Aber wer kann angesichts der offenkundigen Schwäche des Friedenslager in Israel auf israelischer Seite Frieden schließen?

Das kann nur ein Mann: Netanyahu, ist Gershon Baskin überzeugt. Dieser habe dazu gute Voraussetzungen: Die wirtschaftliche Situation in Israel sei gut. Es gebe ein deutliches Wachstum. Und die Lage sei ruhig. Es gebe keine Terrorakte. Aber Netanyahu muss das gegen die Mehrheit in seiner Partei durchsetzen. Das wird nicht einfach, weiß Baskin und erinnert daran, dass es vor den Wahlen im Januar einen massiven Rechtsruck in Netanyahus Likud-Partei gegeben hat.

Auf der anderen Seite spiele jetzt Ägyptens Präsident Mursi eine sehr wichtige Rolle. Im Vermittlungsprozess zum jüngsten Waffenstillstand in Gaza habe Mursi sich sehr aktive engagiert. Bis dahin hatten nur ägyptische Geheimdienstbeamte in Waffenstillstandsgesprächen vermittelt. Jetzt habe Mursi persönlich die Initiative in den Verhandlungen ergriffen. Damit hat er jetzt zugleich die Chance, einen ernsthaften Frieden zwischen Israel und Palästina zu vermitteln, sagt Gershon Baskin.

Otmar Steinbicker


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Im Rahmen seine Reihe "Monitoring-Projekt Zivile Konfliktbearbeitung - Gewalt- und Kriegsprävention legte Prof. Dr. Andreas Buro 2007 sein Dossier vor. Lesen Sie hier die aktualisierte Fassung von 2010.

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