Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Christine Schweitzer

Der Zwischenfall von Tonking oder

wie man einen erwünschten Krieg inszeniert

Die offizielle Darstellung

Im August 1964 wurde das vor Nordvietnam im Golf von Tonking kreuzende US-Kriegsschiff Maddox am 2. und 4. August, auf einer Patrouillenfahrt ohne Provokation von nordvietnamesischen Schnellbooten angegriffen und in ein Gefecht verwickelt. Die USA reagierten mit „Strafschlägen“ gegen Nordvietnam: Ein Öllager und rund 30 nordvietnamesische Schiffe wurden durch Bombenangriffe versenkt. Der US Kongress verabschiedete wenige Tage danach die sog. Tonking-Resolution“, die Präsident Johnson freie Hand ließ, „alle notwendigen Schritte zu unternehmen, einschließlich des Gebrauchs bewaffneter Gewalt, um jedes Mitglied […] des Südostasiatischen Kollektiven Verteidigungsvertrages […] in der Verteidigung seiner Freiheit“1 zu unterstützen.

Ab 1965 wurden US-Soldaten als Kampftruppen in Südvietnam eingesetzt.

Der Hintergrund

Im Zweiten Weltkrieg hatten japanische Truppen 1941 die französische Kolonialherrschaft in Vietnam (und Indochina) beendet. Nach der japanischen Kapitulation versuchte Frankreich vorwiegend mit Hilfe Großbritanniens ein Come-back. Dagegen entfaltete sich unter Führung der kommunistischen Partei Vietnams ein anti-kolonialer Kampf (Erster Indochinakrieg), der gleichzeitig angetrieben war von einer Bauernrevolution gegen die bedrückenden Agrarstrukturen im Lande. Frankreich hat diesen Krieg in der Dschungel-Schlacht von Dien Bien Phu, weit im Norden Vietnams, verloren. Vietnam wurde in einem Waffenstillstandsabkommen 1954 entlang des 17. Breitengrades geteilt. Die Teilung führte nach dem Scheitern von ursprünglich für ganz Vietnam in Genf vereinbarten Wahlen zu einem Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen des pro-westlichen Regimes im Süden und einer von der Landbevölkerung unterstützten kommunistischen Guerilla, der Nationalen Befreiungsfront, die eine Wiedervereinigung Vietnams unter sozialistischen Vorzeichen anstrebte.

Das Engagement der USA in Indochina wurde in dieser Hochzeit des West-Ost-Konflikts und des Antikommunismus vorrangig mit innenpolitischen Gründen erklärt. Nach der Kubakrise 1962 fürchtete Präsident Kennedy Druck von Seiten der Republikaner, wenn er – der öffentlichen Wahrnehmung nach - auch noch das Regime in Saigon in die Hände von Kommunisten fallen ließe. Deshalb hatten die USA schon 1960 800 Berater in Südvietnam, 1963 waren es bereits 16.000, die die Regierung in Saigon bei der Aufstandsbekämpfung unterstützten. Dies war allerdings in der US-amerikanischen Öffentlichkeit kaum bekannt. Offiziell wurde nur von „Trainingsaufgaben“ des US-Militärs gesprochen. Erst später wurde öffentlich, dass amerikanische Piloten auch damals schon Kampfeinsätze flogen.

Die CIA unterstützte darüber hinaus Südvietnam bei Anschlägen in Nordvietnam. Auch fanden „hit and run“-Operationen mit Patrouillenschnellbooten auf die nord-vietnamesische Küste statt. Die Boote waren von den USA geliefert worden, wurden von ihrem Personal gewartet und de facto kommandiert. Die Angriffsziele wurden von der CIA ausgewählt.2 Parallel zu diesen Aktionen wurde durch US-Kriegsschiffe wie dem Zerstörer Maddox vor der Küste Nordvietnams Aufklärung betrieben, insbesondere sollten dabei die Abwehrreaktionen Nord-Vietnams auf die Angriffe erkundet werden.

In Süd-Vietnam kam es 1963 zu ersten Protesten gegen den amtierenden Präsidenten Diem und den Krieg. Buddhistische Mönche verbrannten sich öffentlich unter Anwesenheit von US-Medien. Die Berichte darüber trugen dazu bei, dass Washington einen Putsch gegen Diem unterstützte, der nach mehreren kurzfristigen Regierungswechseln eine Militärjunta unter Nguyen Van Thieu und Nguyen Cao Ky an die Macht brachte.

Bei den US-Wahlen 1964, die der Demokrat Johnson gewann, spielte der Vietnamkrieg besonders deshalb eine Rolle, weil der republikanische Gegenkandidat Goldwater, ein Antikommunist erster Güte, der 1962 in seinem Buch „Why Not Victory“ dazu aufgerufen hatte, die Kommunisten überall auf der Welt zu stürzen, im Wahlkampf damit drohte, Atombomben auf Vietnam abzuwerfen. Dem wollte Johnson etwas entgegen setzen. So suchte er nach einer Legitimation, die Kriegsbeteiligung der USA in Vietnam auszuweiten, und deutlich mehr Soldaten nach Vietnam zu entsenden.

So kam es nach offizieller Darstellung aus Washington am 2. und 4. August 1964 zu den Zwischenfällen im Golf von Tonking. Schon am 7. August fasste der US-Kongress dann die Tonking-Resolution. Sie bevollmächtigte US-Präsident Johnson zum offiziellen Kriegseintritt der Vereinigten Staaten mit Nordvietnam. Der Tonking Zwischenfall insbesondere vom 4. August wurde von der Regierung als Legitimation für die Resolution angeführt. Der Weg zum US-Krieg gegen Nord-Vietnam war damit politisch frei gegeben.

Was geschah wirklich?

Diese Legitimierung beruhte jedoch auf einer Lügengeschichte. Nach Angriffen von Schnellbooten aus Südvietnam fuhr am 2. August der US-amerikanische Zerstörer USS Maddox während einer Aufklärungsfahrt bei zwei Inseln in den Golf von Tonking ein. Er wurde dort von drei nordvietnamesischen Schnellbooten gestellt, die vermutlich vorher im Einsatz gegen die Angriffe im Einsatz gewesen waren und wohl zu Recht annahmen, dass das Erscheinen der Maddox mit diesen Angriffen in Verbindung stand. Es kam zu einem Gefecht, in das auch Flugzeuge des sich in der Nähe aufhaltenden Flugzeugträgers USS Ticonderoga eingriffen. Bei dem Schusswechsel wurde die Maddox nicht getroffen, wohl aber zwei nord-vietnamesische Schnellboote.

Den zweiten Schusswechsel in der Bucht von Tonking am 4. August, auf den sich die folgenreiche Tonking-Resolution stützte, gab es überhaupt nicht – eine Lügengeschichte. Der legendäre nord-vietnamesische General Vo Nguyen Giap hat später bezeugt, er habe den Befehl gegeben, jede Feindberührung nach dem 2. August zu vermeiden.3 Dass die Seeschlacht vom 4. August 1964 nur erfunden war, wurde durch die Veröffentlichung von Pentagon Geheimpapieren durch Whistleblower Daniel Ellsberg 1971 bekannt, und 2005 durch die Freigabe von Geheimpapieren durch die NSA bestärkt.

Nach der Tonking-Resolution vom 7. August 1964 weiteten die USA den Krieg rasch aus. Ein Jahr später hatten sie über 180.000, 1967 über 450.000 GIs in Vietnam.

Als die USA sich 1973 besiegt aus Vietnam zurückziehen mussten, hatte der Krieg etwa drei Millionen Menschen das Leben gekostet.

Quellen:

Dass die Angriffe am 4. August nicht stattgefunden haben, wird inzwischen auch von der US-Regierung selbst zugegeben: http://www.history.navy.mil/faqs/faq120-1.htm

Zur Geschichte des Konflikts:

Lawrence, Mark Atwood (2008) The Vietnam War. A Concise International History. Oxford / New York: Oxford University Press

Horlemann, Jürgen und Gäng, Peter (1966) Vietnam. Genesis eines Konflikts, edition suhrkamp, Frankfurt/M.

Prados, John: Essay: 40th Anniversary of the Gulf of Tonkin Incident, 4.8.2004. http://www2.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB132/essay.htm


World Wide Web aixpaix.de

Weitere Lügengeschichten
Projekt Münchhausen

Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?

Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.