Projekt Münchhausen

Hannes Wader

Es ist an der Zeit

Weit in der Champagne im Mittsommergrün,
dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blühn,
da flüstern die Gräser und wiegen sich leicht,
im Wind der sanft über das Gräberfeld streicht.

Auf deinem Kreuz finde ich toter Soldat,
deinen Namen nicht, nur Ziffern und jemand hat die Zahl 1900 und 16 gemalt und du warst nicht einmal 19 Jahre alt.

Ja auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun.
Und du hast ihnen alles gegeben, deine Kraft, deine Jugend, dein Leben.

Lügengeschichte des Monats August 2014

Matthias Jochheim

Die „Emser Depesche“

Nachrichtenmanipulation, Blut und Eisen – der Geburtsakt des zweiten deutschen Reiches

Als der preußische König Wilhelm 1870 zur Kur in Bad Ems weilte, entbrannte ein Streit zwischen Frankreich und Preußen um die spanische Thronfolge – die französische Regierung unter Napoleon III forderte den Verzicht des Hauses Hohenzollern auf die spanische Herrschaft. König Wilhelm war mit diesem Verzicht einverstanden – dies allerdings für alle Zukunft zuzusagen, wurde verweigert, „vom König auf das höflichste, von Bismarck, der das betreffende königliche Telegramm für die Öffentlichkeit edierte, auf das Schärfste; ein Trick, dessen er sich noch nach Jahrzehnten in seinen Memoiren gerühmt hat.“ 1

"Emser Depesche" 2
Vom 13. Juli 1870
Telegramm des Geheimrats Heinrich Abeken an den Bundeskanzler Graf von Bismarck. Vom 13. Juli 1870

Ems, den 13. Juli 1870.

Seine Majestät der König schreibt mir:

"Graf Benedetti fing mich auf der Promenade ab, um auf zuletzt sehr zudringliche Art von mir zu verlangen, ich sollte ihn autorisieren, sofort zu telegraphieren, daß ich für alle Zukunft mich verpflichtete, niemals wieder meine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur zurückkämen. Ich wies ihn, zuletzt etwas ernst, zurück, da man à tout jamais dergleichen Engagement nicht nehmen dürfe, noch könne. – Natürlich sagte ich ihm, daß ich noch nichts erhalten hätte, und da er über Paris und Madrid früher benachrichtigt sei als ich, er wohl einsähe, daß mein Gouvernement wiederum außer Spiel sei."

Seine Majestät hat seitdem ein Schreiben des Fürsten bekommen. Da Seine Majestät dem Grafen Benedetti gesagt, daß er Nachricht vom Fürsten erwarte, hat Allerhöchstderselbe mit Rücksicht auf die obige Zumutung, auf des Grafen Eulenburg und meinen Vortrag beschlossen, den Grafen Benedetti nicht mehr zu empfangen, sondern ihn nur durch einen Adjutanten sagen zu lassen: daß Seine Majestät jetzt vom Fürsten die Bestätigung der Nachricht erhalten, die Benedetti aus Paris schon gehabt, und dem Botschafter nichts weiter zu sagen habe.

Seine Majestät stellt Eurer Exzellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedettis und ihre Zurückweisung sogleich sowohl unseren Gesandten als in der Presse mitgeteilt werden sollte?

[Abeken]

Vom Bundeskanzler Graf von Bismarck redigierte Pressefassung des Abekenschen Telegramms aus Ems. Vom 13. Juli 1870.

Berlin, den 13. Juli 1870.

[zur Station: 11.15 nachm.]

Nachdem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohenzollern der Kaiserlich Französischen Regierung von der Königlich Spanischen amtlich mitgeteilt worden sind, hat der französische Botschafter in Ems an Seine Majestät den König noch die Forderung gestellt, ihn zu autorisieren, daß er nach Paris telegraphiere, daß Seine Majestät der König sich für alle Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu geben, wenn die Hohenzollern auf ihre Kandidatur wieder zurückkommen sollten. Seine Majestät der König hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe.

„Nach dem Ehrenkodex der Diplomaten des 19.Jahrhunderts war die verstümmelte ‚Emser Depesche’ keine Kriegserklärung, aber doch eine Provokation, auf die der Provozierte mit Krieg antworten musste, um nicht übel dazustehen. Das französische Kabinett, gehetzt von der öffentlichen Hysterie, tat den Schritt, den Bismarck von ihm erwartete“ 1) – die Kriegserklärung an Preußen.

Der moderne deutsche Nationalstaat wurde, darin lag sein Geburtsfehler, nicht durch die Emanzipationsbewegung bürgerlicher Demokraten aus der Taufe gehoben, sondern durch die preußische Machtelite, gestützt auf in der Gesellschaft dominierende militärische Strukturen und repräsentiert durch Otto von Bismarck, einen Staatsmann mit ausgeprägt antidemokratischer Geisteshaltung und Tendenz zur Gewaltpolitik. Sprichwörtlich seine „Blut und Eisen“-Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus 1863:

„…Preußen muß seine Kraft zusammenfassen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“

Damit griff Bismarck auf das Gedicht "Das eiserne Kreuz" von Max von Schenkendorf, einem Kriegsfreiwilligen von 1813, zurück, in dem es heißt:

‚Denn nur Eisen kann uns retten,
Uns erlösen kann nur Blut
von der Sünde schweren Ketten,
Von des Bösen Übermut.’ “
3

Nach dem raschen Sieg der preußischen Truppen und ihrer kleindeutschen Verbündeten ging Bismarcks Kalkül auf, abgesehen von Österreich die zuvor teilweise widerstrebenden deutschen Kleinstaaten unter preußischer Führung zum neuen, dem zweiten deutschen Reich zu vereinen. König Wilhelm wurde, eine besondere Provokation des geschlagenen Frankreichs, im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser proklamiert, „vor einer Versammlung von Offizieren und Fürsten, die sich dort in wirklichen oder fiktiven Kriegsdiensten herumtrieben. Eine entschieden militärische Veranstaltung des Siegers im Prunkschloss des Besiegten… auch ein Symbol. Das neue Deutsche Reich war im Krieg entstanden, war Frucht eines Triumphs über Frankreich, war Rache für alle erlittenen, eingebildeten oder Jahrhunderte zurückliegenden Demütigungen… Der Tag der Übergabe von (der Festung von) Sedan, der 2.September, wurde zum deutschen Nationalfeiertag…Frankreich hatte als Kriegsentschädigung die nach Begriffen der Zeit ungeheure Summe von 5 Milliarden Franc zu bezahlen, und zwei Gebiete abzutreten, Elsaß und einen Teil von Lothringen…..(diese) hatten in grauer Vorzeit zum deutschen Reich gehört, die Bevölkerung war überwiegend deutscher Zunge. Nur dass sie leider nicht deutsch werden wollte, und auf ihre Befragung weislich verzichtet wurde.“ 1)

So hat die „Emser Depesche“ beigetragen zur Formierung eines preußisch-deutschen Militärstaats, dessen „Griff nach der Weltmacht“ die Völker im 20.Jahrhundert in zwei Weltkriege stürzte.

1 Golo Mann in :Propyläen Weltgeschichte, Bd.8, Das neunzehnte Jahrhundert; Frankfurt a.M. 1986, (S.571-574)

2 www.documentarchiv.de/nzjh/ndbd/emser-depesche.html

3 de.wikipedia.org/wiki/Blut_und_Eisen


World Wide Web aixpaix.de

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Projekt Münchhausen

Jeder Stifter einer Weltreligion verhieß Frieden, und zwar im Diesseits, zu erreichen durch Toleranz, Barmherzigkeit, Menschlichkeit. Staatsgründer taten es ihnen gleich und schrieben in ihre Grundgesetze: All men are created equal (Unabhängigkeitserklärung der USA). Großartige, kluge Worte. Und doch ist die menschliche Geschichte geprägt von Gewalt und Krieg, deren Beute von wenigen eingesackt wurde und dessen Leid von den Vielen getragen werden musste.

Wie gelang es und gelingt es in fast allen Gesellschaftsformationen, die Menschen gegeneinander in Stellung und zu Mord und Totschlag zu bringen und dies noch als gute und ehrenvolle Taten zu verkaufen? Die Massenmörder schrieben und schreiben die Geschichte, sie ließen sich den Titel ‚Der Große’ zumessen, und der Tod auf dem Schlachtfeld wurde zum Heldentod verklärt, während die ‚Kollateralschäden’ ignoriert wurden. Interessen obsiegen über Ethik und Moral.

Das Projekt Münchhausen fordert alle auf, die Geschichten der großen und kleinen Kriegslügen zu erzählen, mit denen die Menschen zur Gewalt gegen einander verführt wurden – von den Kreuzzügen, über den angeblich Gerechten Krieg, den Tonking-Zwischenfall an den Küsten Vietnams, bis zur dreisten Lüge des US-Außenministers über die Atombomben des Saddam Hussein und dem Militär als letztem Mittel der angeblich Humanitären Intervention?

Wir müssen uns befreien von dem Spinnengewebe der Lügen und Legitimationsideologien, die unsere Mitmenschen zu Feinden und Feindbildern und uns zu Gewalt gegen sie in der globalisierten Gesellschaft machen wollen. Das Projekt Münchhausen soll dazu einen Beitrag leisten.