Otmar Steinbicker

Weißbuch 2016: die Bundeswehr vor einer Neuorientierung?

13.04.2016

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Im Februar 2015 kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Herausgabe eines neuen Weißbuches der Bundeswehr für 2016 und erstmalig eine breite gesellschaftliche Debatte an. Noch herrscht Schweigen, ein erster Entwurf wurde für den Frühsommer in Aussicht gestellt.

Dass es ernste Probleme gibt, die Rolle und Aufgabe der Bundeswehr neu zu definieren, sollte nicht verwundern. Das letzte Weißbuch aus dem Jahr 2006 hatte den Schwerpunkt auf eine Ausweitung der Auslandseinsätze gelegt. Diese Strategie war in den Folgejahren vor allem in Afghanistan komplett gescheitert. Die alliierten Kampftruppen mussten erfolglos abziehen. Es zeigte sich, dass Konflikte politisch gelöst werden müssen und nicht militärisch gelöst werden können.

Auch die Illusion, man könne bei einem internationalen Konflikt auf die Schnelle eine begrenzte Anzahl von Bundeswehrsoldaten auf einen anderen Kontinent schicken, die dann nach getaner Arbeit zeitig zurückkehren, um danach im nächsten Konfliktgebiet eingesetzt zu werden, zerschlug sich. Einmal eingesetzte Bundeswehr-Kontingente waren nicht so einfach zurückzubeordern. Schon bald wurden die Grenzen der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr in internationalen Missionen sichtbar.

Kurzsichtige Reaktion

2014 zeigte sich im Ukraine-Konflikt, dass es auch in Europa noch ungelöste politische Konflikte gibt, die zu militärischen Konflikten eskalieren können. Die Reaktion der Ministerin, schnellstens eingemottete Panzer, die in Gebieten wie Afghanistan nicht sinnvoll eingesetzt werden konnten, für einen möglichen Einsatz gegen Russland wieder flottzumachen, war kurzsichtig. Ein Krieg gegen Russland, das wissen wir seit den 1980er Jahren, wäre für Europas Zivilisation tödlich und das nicht erst in einem Atomkrieg, sondern ebenso in einem großen, konventionellen Krieg. Eine vermeintliche militärische „Landesverteidigung“ würde so zum sicheren Untergang des Landes. Auch bei Konflikten bleibt letztlich kein anderer Weg als eine politische Lösung.

Wenn aber Militäreinsätze zu keinen politischen Lösungen führen können, dann ist ein größeres Umdenken angesagt. Ein deutliches Signal setzte zu Jahresbeginn die Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg mit einem Positionspapier unter dem Titel „Weißbücher haben ausgedient! – Plädoyer für ein friedens- und sicherheitspolitisches Grundlagendokument der Bundesregierung“. Darin wird ausgehend von der Kritik am Afghanistan-Einsatz eine Orientierung auf Friedenspolitik gefordert, die vordringlich auf Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und die aktive Mitwirkung in internationalen Organisationen setzt. „Mit der neuen Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge im Auswärtigen Amt besteht schon jetzt ein institutioneller Ort, dieses breitgefächerte Instrumentarium zu bündeln und entsprechende Strategien zu entwickeln“, heißt es dort.

Das ist noch kein pazifistischer Ansatz, der Bundeswehreinsätze prinzipiell ausschließt, aber es ist zumindest ein prinzipiell anderer, nachdenklicher Ansatz, der auf Konfliktlösungen statt auf Konflikteskalation setzt. Wenn dieser Ansatz in der politischen Debatte Raum greift, dann muss bei einem Konflikt sinnvollerweise zuerst über Konfliktursachen und daran anschließend über Konfliktlösungsstrategien diskutiert werden. Dann steht eine ganze Palette an politischen, diplomatischen, ökonomischen und weiteren zivilen Handlungsoptionen bereit. Ob militärische Optionen damit sinnvoll konkurrieren können, bleibt zweifelhaft.

Die deutsche Friedensbewegung hat seit zehn Jahren mit dem Konzept einer Zivilen Konfliktbearbeitung für jeweils aktuelle Konfliktherde (Afghanistan, Türkei-Kurdistan, Syrien, usw.) Dossiers und konkrete Vorschläge vorgelegt, die exakt solche Methoden vorsehen. Ob Politik jetzt bereit ist, von der Friedensbewegung zu lernen, muss sich zeigen.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier

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Beiträge von Otmar Steinbicker
2017

Rede zum Ostermarsch in Kaiserslautern am 15.04.2017

Es droht eine neue Debatte über die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa

Für eine Erhöhung der Rüstungsausgaben gibt es keine überzeugenden Begründungen

Die jüngsten Forderungen nach einer atomaren Supermacht Europa sind hochgefährlich

Wie Donald Trumps Plan, die Europäer gegeneinander auszuspielen, durchkreuzt werden kann

2016

Außer Spesen nichts gewesen? Das OSZE-Treffen fördert den Dialog und öffnet vorsichtig Türen!

Friedensbewegung darf den Begriff der Verantwortung nicht allein der Regierung überlassen

Mit der Wahl Trumps zum Präsidenten haben sich die USA als Führungsmacht verabschiedet

Die Wiederkehr der Atomkriegsdebatte

Pazifismus vor neuen Herausforderungen – Wir brauchen eine ernsthafte Zukunftsdebatte

Die völlig verfahrene Situation in Syrien erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland

Steinmeiers Vorstoß für eine Kontrolle der konventionellen Rüstung kommt zur richtigen Zeit

Ist die NATO im großen Luftkrieg noch angriffsfähig?

Ministerin von der Leyen gibt auf die Sinnkrise der Bundeswehr keine überzeugende Antwort

Die Debatte über den Einsatz der Bundeswehr im Innern spiegelt die Sinnkrise der Bundeswehr

Ankündigung einer sicherheitspolitischen Zeitenwende

Die Nato sendet ein martialisches Signal nach Moskau

Wie kommt die Friedensbewegung aus der Krise?

Die NATO als Sicherheitsrisiko

Unsere Zivilisation ist kriegsuntauglich geworden

Brauchen wir noch die Bundeswehr?

Nach dem Anschlag auf den Talibanführer droht der Konflikt außer Kontrolle zu geraten

Cyberwar klingt nach sauberem Krieg, ist aber hochgefährlich

Weißbuch 2016 – die Bundeswehr vor einer Neuorientierung?

Der Gedanke, dass Trump Herr über die Atomwaffen der USA werden könnte, ist unerträglich

PEGIDA, nicht die Friedensbewegung ist heute Adressat russischer Propaganda

Die Gefahr der Eskalation ist groß: Der komplexe Konflikt in Syrien muss endlich gelöst werden!

Friedenslogik: Konflikte in ihrer ganzen Komplexität betrachten

2015

Die Abgeordneten, die heute dem neuen Krieg zustimmen, handeln unverantwortlich

Ein gefährlicher Weg in einen neuen Krieg

Den IS zu bekämpfen ist eine politische Aufgabe, die nicht militärisch gelöst werden kann

Nach Jahren des Zögerns muss von der Bundesregierung eine ernsthafte Friedensinitiative ausgehen

Gedanken zur Geschichte der Friedensbewegung und zu deren aktuellen Fragestellungen

Warum Menschen fliehen

OSZE: Möglichkeiten und Grenzen des Konfliktmanagements

Von der „Charta von Paris“ zur NATO-Osterweiterung

Um Konflikte lösen zu können, muss Europa den KSZE-Gedanken endlich wiederbeleben

Zäh, schwierig, aber letztlich erfolgreich: Zusammenarbeit im UNO-Sicherheitsrat zahlt sich aus

Kubakrise – Nahe am Abgrund

Israel muss sich entscheiden

Die Karten im Nahostkonflikt werden neu gemischt

Gefährliche Blocklogik der Nato: Russland darf nicht aus dem Haus Europa ausgegrenzt werden

Die Mahnwachen – eine rechtsoffene Bewegung

Die Gefahr eines Atomkrieges ist in jüngerer Vergangenheit wieder deutlich gestiegen

Die Friedensbewegung hat keinen Grund zu verzagen, sie hat im Gegenteil gerade jetzt riesige Chancen!

Ergebnis von Minsk kann nur die grobe Richtung für eine Lösung des Ukraine-Konflikts vorgeben

„Friedenswinter“

2014

Die Lüge von der „Nachrüstung“

Leipzig 1989: „Wir sind das Volk – Montag sind wie wieder da“

Mein Zeitzeugenbericht vom 19.8.1989 an der ungarisch-österreichischen Grenze

Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Geht es beim Marineeinsatz im Mittelmeer um den Schutz des Abtransportes syrischer Chemiewaffen?

System kollektiver Sicherheit löst Konflikte und verhindert Krieg

2013

Sicherheitspolitik im Koalitionsvertrag: Viele Sprüche, die von der Realität längst überholt sind

Vor 25 Jahren: Yüksel Seleks schwierige Heimkehr in die Türkei

Friedensbewegung kann und muss an die Erfahrungen der 1980er Jahre anknüpfen!

Was soll eine Armee tun, die unser Land nicht mehr verteidigen kann und muss?

Wann der nächste deutsche Soldat in Afghanistan sinnlos stirbt, ist lediglich eine Frage der Zeit

Kampfdrohnen setzen die Hemmschwelle zur militärischen Gewaltanwendung deutlich herab

2012

Ist ein Ende der Gewalt in Syrien mit nichtmilitärischen Mitteln denkbar?

Eine neue Runde im atomaren Rüstungswettlauf ist eingeläutet

2010

Warum die NATO im 21. Jahrhundert keinen Sinn mehr macht (Aachener Nachrichten, 26.11.2010)

2009

Die erste Bresche im Eisernen Vorhang, Reportage vom 19.08.1989 in Ungarn

Krieg ist „ultima irratio“: Sicherheit gemeinsam gestalten