Otmar Steinbicker

Krieg ist „ultima irratio“: Sicherheit gemeinsam gestalten

Aachener Nachrichten, 02.05.2009

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Nach 100 Tagen im Amt ist es noch zu früh, die Außenpolitik Barack Obamas zu beurteilen, dennoch zeichnen sich grundlegende Linien ab. Bemerkenswert sind Visionen wie eine Welt ohne Atomwaffen, auch die Radikalität, mit der der US-Präsident eine dramatische Kehrtwende gegenüber der Bush-Ära vollzieht: das Ende der Folterungen in Guantánamo, ein anderer Umgang mit Iran und Kuba.

Dramatisch ist aber auch der Misserfolg dort, wo Obama die Bush-Politik nicht verändert, sondern fortsetzt, wie mit der Ausweitung des Krieges in Afghanistan und Pakistan. Nach nicht einmal einem Monat ist die neu verkündete Afghanistan-Strategie kläglich gescheitert. Das Menetekel, das „Newsweek“ zum Amtsantritt auf seine Titelseite schrieb, „Afghanistan – Obamas Vietnam“, nimmt mehr und mehr Gestalt an.

Wenn richtig ist, was vor Obama schon prominente ehemalige US-Politiker wie Henry Kissinger feststellten, dass nur eine Welt ohne Atomwaffen dauerhaft die Menschheit vor dem Einsatz dieser fürchterlichen Waffen bewahren kann, dann dürfen, ja dann müssen wir die Frage aufwerfen, ob wir nicht genauso dringend eine Welt ohne Krieg brauchen – nicht als spinnerte Illusion, sondern als Einsicht in die Realität.

Das Afghanistan-Desaster zeigt ebenso wie andere Militäraktionen, dass Kriege heute kaum noch zu gewinnen sind. Zu glauben, man könne damit Probleme lösen, erweist sich immer häufiger als tödliche Illusion. Zivile Konfliktbearbeitung dagegen kann Bürgerkriege beenden. Der designierte Karlspreisträger Andrea Riccardi hat das in Mosambik eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Krieg hat aufgehört, „ultima ratio“ zu sein, Krieg wird immer deutlicher zur „ultima irratio“.

So ist es ein wenig still geworden um die vor wenigen Jahren noch hochgepriesenen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Ihre Perspektive steckt in der Sackgasse Afghanistan. Längst sind die Generäle kleinlaut geworden, geben offen zu, dass ihre Fähigkeiten begrenzt sind, dass Militär keinen Frieden schaffen kann. Allenfalls Zeit gewinnen, damit Politik Frieden schaffen kann, lautet jetzt ihre Devise.

Die offenkundige Krise militärischer Möglichkeiten stärkt die Chancen für eine neue Sicherheitsdebatte mit dem Ziel, ernsthaft den Krieg zu ächten. Der Schlüssel liegt in der von einem der Obama-Vorgänger, Woodrow Wilson, während des Ersten Weltkrieges entwickelten Konzeption der kollektiven Sicherheit. Dabei geht es darum, nicht die Sicherheit einzelner Staaten auf Kosten anderer Staaten, sondern die Sicherheit aller Staaten gemeinsam zu gewährleisten. Der Krieg muss als gemeinsame Gefahr für alle aufgefasst werden, der die Interessen der gesamten Gemeinschaft berührt – Sicherheit wird damit als unteilbar betrachtet. Sicherheit lässt sich so nicht gegen andere Akteure organisieren, sondern nur gemeinsam gestalten.

Die UN-Charta baut auf diesem Grundsatz auf. Auch unser Grundgesetz bekennt sich in Artikel 24 zur kollektiven Sicherheit. Positive Erfahrungen konnten wir am Ende des Kalten Krieges mit dem KSZE-Prozess sammeln. Sollte es eine illusionäre Vision bleiben, Obama zu wünschen, dass er seine Außenpolitik künftig an diesen realistischen Prinzipien ausrichtet? Der Preis – die Aufgabe der Weltmachtansprüche der USA – wäre hoch für ihn, der Gewinn für die Welt umso größer.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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