Otmar Steinbicker

Ist ein Ende der Gewalt in Syrien mit nichtmilitärischen Mitteln denkbar?

Aachener Nachrichten, 23.06.2012

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Der Bürgerkrieg in Syrien eskaliert. Seriöse Schätzungen rechnen bereits mit 15.000 Todesopfern. Ein Ende des Mordens ist nicht in Sicht und nicht einmal ein realistisch erscheinender Ausweg.

Als Alexander dem Großen der unlösbare Gordische Knoten überbracht wurde, zerschlug er ihn mit dem Schwert. Seither gelten militärische Lösungen als ultima ratio, als letzter Ausweg. Doch allzu laut sind die Stimmen nicht, die derzeit ein militärisches Eingreifen in Syrien fordern. Interventionen schaffen noch keinen Frieden. Zuletzt wurden in Libyen mit dem Ghadafi-Regime zugleich die staatlichen Strukturen zerschlagen, so dass heute immer noch diverse Milizen um die Macht im Lande ringen.

Syrien ist ein wesentlich gefährlicheres Pulverfass. Da geht es zugleich um die Stabilität der gesamten Region. Wer dort Bomben hineinwirft, weiß nicht, welche Ketten-Detonationen er bis Tel Aviv und Teheran oder noch darüber hinaus auslöst! Schon jetzt haben Kriegshandlungen auf den Libanon übergegriffen und verlaufen entlang der Konfliktlinien des Bürgerkrieges von 1975 bis 1990.

Ist ein Ende der Gewalt mit nichtmilitärischen Mitteln denkbar? Das klassische Mittel von Konfliktlösungen war immer die Diplomatie und die setzt an den unterschiedlichen Interessen der Konfliktparteien an und sucht nach gemeinsamen Zielen und Lösungswegen.

Das ist nicht einfach, wenn wie in Syrien oder Libanon die Konfliktlinien nicht nur zwischen zwei Gegnern verlaufen, sondern uralten Mustern folgen. Assad stützt sich auf die schiitischen Alewiten, die historisch auch von den Christen als Verbündete gegenüber den Sunniten gesehen werden. Die sunnitischen Moslembrüder wiederum erinnern sich nur allzu gut an das Massaker von Hama 1982, bei dem Assad-Vater Hafiz nach einem Aufstand bis zu 30.000 Zivilisten töten ließ.

Eine Lösung für Syrien muss daher auf einem Konsens der verschiedenen religiösen Bevölkerungsgruppen beruhen. Eine Konferenz ihrer Vertreter ohne Ausschlüsse an einem neutralen Ort im Ausland könnte dafür ein wichtiger Schritt sein.

Ein Ende der Gewalt setzt aber auch einen Konsens der internationalen Gemeinschaft voraus. Dem stehen konträre strategische Interessen wichtiger Mächte entgegen. Russland ist vor allem der einzige Stützpunkt seiner Mittelmeerflotte im Hafen von Tartus wichtig. Die NATO möchte den russischen Einfluss zurückdrängen. Hier darf kein Stellvertreterkrieg geführt werden.

Dringend erforderlich ist ein wirksames internationales Waffenembargo. An keine der Bürgerkriegsparteien dürfen Waffen und Munition geliefert werden. Für Deutschland hieße die Konsequenz, Rüstungsexporte in die gesamte Region strikt zu verbieten.

Vor Ort in Syrien kommt der Arbeit der bisher 300 unbewaffneten UNO-Beobachter entscheidende Bedeutung zu. Dazu muss die strikte Einhaltung des Annan-Plans zur Waffenruhe durchgesetzt und international kontrolliert werden. Wichtig ist, dass die Zusammensetzung der UNO-Beobachter aus vielen unterschiedlichen Ländern einschließlich Russlands und der NATO erfolgt, um die Akzeptanz ihrer Berichte zu sichern. Zu überlegen ist die Ausweitung des Beobachtergremiums, zahlenmäßig wie fachlich. Dass Soldaten zur Beobachtung eines Waffenstillstands herangezogen werden müssen, ist selbstverständlich. Für die Aufklärung von Massakern, die sich die Konfliktparteien gegenseitig vorwerfen, reicht das nicht. Da sind auch Kriminalisten und Gerichtsmediziner gefragt.

Denn auch vorschnelle Verurteilungen können Konsequenzen haben. In einem ersten UNO-Bericht wurde das Massaker von Hula am 25./26. Mai mit mehr als 100 Toten der Assad-Armee und regimenahen Milizen zugeordnet. Mittlerweile sind erhebliche Zweifel an dieser Version aufgetaucht, die die Frankfurter Allgemeine am 13. Juni ausführlich referierte. Die Bundesregierung hatte gemeinsam mit anderen Regierungen der EU in einer schnellen Reaktion sämtliche syrischen Diplomaten des Landes verwiesen und damit wichtige Gesprächsfäden für eine diplomatische Lösung gekappt.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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