Otmar Steinbicker
Die völlig verfahrene Situation in Syrien erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland
Aachener Nachrichten, 14.10.2016
Für diesen Samstag haben Russland und die USA eine neue Gesprächsrunde in Lausanne angekündigt, um Wege zu einer politischen Lösung im Syrien-Krieg zu suchen. Neben den beiden Großmächten sollen auch andere teilnehmen, möglicherweise die Türkei, der Iran und Saudi-Arabien.
Das ist eine gute Nachricht, auch wenn man keine Wunder erwarten darf, keinen schnellen Durchbruch in Richtung Frieden, womöglich nicht einmal eine Einigung auf einen dringend notwendigen sofortigen Waffenstillstand in Aleppo. Dennoch gibt es keine realistische Alternative zu Gesprächen.
Was vor fünf Jahren als Bürgerkrieg zwischen einem autoritären Regime und einer in sich zersplitterten Opposition begann, hat sich längst zu einem internationalen Krieg ausgewachsen, in dem Regionalmächte wie die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran sowie die Großmächte USA und Russland ihr eigenes schmutziges Spiel für ihre eigenen Interessen spielen und dabei nicht vor den übelsten Koalitionen zurückschrecken. Dass dabei jede Konfliktpartei bemüht ist, die Gegenseite als besonders verbrecherisch zu brandmarken, um die eigenen Verbrechen zu rechtfertigen, ist keineswegs neu.
Die Forderung bleibt richtig, dass Kriegsverbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof abgeurteilt werden sollen. Das aber setzt voraus, dass alle Länder bereit sind, auch Strafverfahren gegen eigene Staatsbürger zu akzeptieren und die Urteile anzuerkennen. Dazu sind bisher weder Russland noch die USA, die Türkei, Saudi-Arabien oder der Iran bereit.
Wer den Krieg in Syrien beenden will, benötigt letztendlich eine politische Lösung der dem Krieg zugrundeliegenden Konflikte. Diese sind allerdings spätestens seit der Internationalisierung so vielfältig und so komplex ineinander verschachtelt, dass es langer und zäher Verhandlungen bedarf, um dafür Lösungen zu finden. Die völlig verfahrene Situation erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland 1618 bis 1648, und es bedarf wohl Anstrengungen wie vor dem Westfälischen Frieden mit vielen Verhandlungsparteien, um den Krieg zu beenden.
Angesichts des Leids von Aleppo kann man sich mit dieser Erkenntnis aber nicht begnügen. Es muss schon jetzt gehandelt und das Töten gestoppt werden. Das ist wiederum leichter gesagt als getan. Versuche, etwas mit militärischer Gewalt zu erzwingen, würden nicht nur neues Leid und neue Tote produzieren, sondern zugleich eine Eskalationsgefahr erzeugen, die in einen alles vernichtenden Atomkrieg zwischen den USA und Russland als Schutzmächte konkurrierender Konfliktparteien münden könnte.
Als realistischer Weg bleibt nur die Vereinbarung von Waffenstillständen in Vorbereitung auf Verhandlungen. Daran sind derzeit weder die syrische Regierung noch die Rebellen interessiert. Hier lag und liegt die Aufgabe bei den USA und Russland – auch um aus eigenem Überlebensinteresse die Eskalation in einen atomaren Großkonflikt zu verhindern –, die von ihnen materiell und militärisch abhängigen syrischen Konfliktparteien dazu zu zwingen.
Nicht tatenlos zusehen
Einfach wird das nicht sein. Die USA haben sich wohl in der Annahme getäuscht, man könne die syrischen Rebellen sauber in „moderate“ Kräfte, Al Kaida und IS aufteilen. In Aleppo kämpfen unterschiedlichste Milizen gemeinsam. Auf der anderen Seite zeigt sich Präsident Baschar al-Assad bisher nicht zu ernsthaften Verhandlungen bereit, die ihn im Ergebnis aus dem Amt katapultieren dürften. Er hofft stattdessen, mit massiver russischer Militärunterstützung das Land zurückerobern zu können. Da sind die USA und Russland gemeinsam gefragt, für Deeskalation zu sorgen.
Die Bundesregierung darf da nicht tatenlos bleiben. Da geht es um die Einstellung eigener Kriegshandlungen, die bisher in Aufklärungsflügen über Syrien bestehen. Zudem liefert Deutschland noch immer Waffen in die Region, die auch im Kampfgebiet ankommen. Es geht aber auch um diplomatische Vermittlungshilfe in dem schwierigen, aber unentbehrlichen Dialog zwischen Russland und den USA und um eigene Initiativen für einen Waffenstillstand und dessen Kontrolle.