Otmar Steinbicker

Steinmeiers Vorstoß für eine Kontrolle der konventionellen Rüstung kommt zur richtigen Zeit

Aachener Nachrichten, 17.09.2016

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Außenminister Frank-Walter Steinmeier machte in dieser Woche Schlagzeilen mit seiner Beteiligung an Verhandlungen über neue Waffenstillstands-Vereinbarungen im noch immer schwelenden Konflikt in der Ostukraine. Weitaus weniger Medienecho bekam er leider für einen sehr viel weitreichenderen Vorstoß für einen Neustart der Rüstungskontrolle.

In einem Namensartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beklagte er am 26. August die im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt neu aufgebrochene Blockkonfrontation zwischen der Nato und Russland und erinnerte an die Entspannungspolitik Willy Brandts. Besondere Sorge misst Steinmeier aktuell dem Zerfall der bestehenden Vereinbarungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung bei und greift in seinem Aufsatz Russlands Forderung nach einer neuen Debatte über konventionelle Rüstungskontrolle in Europa auf. Es sei höchste Zeit, Russland beim Wort zu nehmen.

Er benennt auch konkrete Themenvorschläge: regionale Obergrenzen für Waffen und Truppen, die Berücksichtigung neuer militärischer Strategien und neuer Waffensysteme, die Notwendigkeit einer echten Verifikation, also der Überprüfung geschlossener Vereinbarungen.

Steinmeiers Vorstoß kommt zur richtigen Zeit. Der seit Anfang 2014 bestehende Ukraine-Konflikt hat längst die Sackgasse einer Neuauflage eines Kalten Krieges aufgezeigt. Neue Militärstrategien und die Entwicklung neuer Waffensysteme erhöhen die Gefahr einer neuen, gefährlichen und teuren Spirale des Wettrüstens.

Der Generalleutnant der Luftwaffe der Bundeswehr und Kommandeur des Zentrums Luftoperationen der Luftwaffe in Kalkar, Joachim Wundrak, stellte unlängst in einem Reader in Vorbereitung einer Nato-Konferenz über Luftwaffenoperationen eine bemerkenswerte These auf: Für einen erfolgreichen Luftkrieg großer Dimension seien die derzeitigen Waffensysteme der Nato nicht geeignet. Entweder seien sie nicht weitreichend genug oder sie seien zu leicht mit modernen Abwehrsystemen zu besiegen. Dieses Problem stellt sich allerdings nicht nur der Nato.

Zwei mögliche Reaktionen

Eine solche „Lücke“ bietet bekanntermaßen zwei mögliche Reaktionen: Entweder füllt man sie mit neu zu entwickelnden Waffensystemen oder die sich gegenseitig bedrohenden oder sich bedroht fühlenden Seiten schließen gemeinsam die Entwicklung solcher Waffen aus. Der bedeutendste Vertrag in dieser Hinsicht wurde 1972 zwischen den USA und der UdSSR im Bereich der Raketenabwehr gegen Atomwaffen geschlossen. Leider traten die USA 2002 unter Präsident George W. Bush einseitig von diesem wichtigen Vertrag zurück.

Heute besteht die Möglichkeit, die „Lücke“ bei der Luftkriegführung durch einen Vertrag über Rüstungsbegrenzung vertraglich offen zu halten. Damit wäre für beide Seiten eine Verteidigung, nicht aber ein Angriff möglich. 1988/89 dachte eine Arbeitsgruppe von Militärs aus Bundeswehr und DDR-Militärs über die Schaffung einer „strukturellen Nichtangriffsfähigkeit“ zwischen Nato und Warschauer Pakt nach, mit der das militärische Bedrohungspotenzial zwischen den Blöcken reduziert werden sollte. Die Überlegungen gingen damals in eine ähnliche Richtung: Verteidigung sollte möglich, Angriff unmöglich sein.

Selbstverständlich bringen bei Gesprächen über Rüstungskontrolle die unterschiedlichen Seiten unterschiedliche, manchmal auch gegensätzliche Überlegungen ein, nicht zuletzt bedingt durch unterschiedliche strategische Ausgangspositionen. Wenn solche Gespräche Erfolg haben sollen, dann ist auf beiden Seiten gutes Zuhören erforderlich, um die Sorgen und Ängste der jeweils anderen Seite zu verstehen und Lösungsvorschläge einzubringen, die im Interesse aller sind.

Den letzten großen Vorschlag für einen neuen euro-atlantischen Sicherheitsvertrag machte im Mai 2008 der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedew. Der damalige und heutige Bundesaußenminister Steinmeier plädierte seinerzeit für eine offene und ernsthafte Diskussion darüber. Diese Chance wurde damals vertan. Heute kann und sollte sie genutzt werden.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier

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Beiträge von Otmar Steinbicker
2017

Rede zum Ostermarsch in Kaiserslautern am 15.04.2017

Es droht eine neue Debatte über die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa

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Friedensbewegung darf den Begriff der Verantwortung nicht allein der Regierung überlassen

Mit der Wahl Trumps zum Präsidenten haben sich die USA als Führungsmacht verabschiedet

Die Wiederkehr der Atomkriegsdebatte

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Die völlig verfahrene Situation in Syrien erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland

Steinmeiers Vorstoß für eine Kontrolle der konventionellen Rüstung kommt zur richtigen Zeit

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Ministerin von der Leyen gibt auf die Sinnkrise der Bundeswehr keine überzeugende Antwort

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Ankündigung einer sicherheitspolitischen Zeitenwende

Die Nato sendet ein martialisches Signal nach Moskau

Wie kommt die Friedensbewegung aus der Krise?

Die NATO als Sicherheitsrisiko

Unsere Zivilisation ist kriegsuntauglich geworden

Brauchen wir noch die Bundeswehr?

Nach dem Anschlag auf den Talibanführer droht der Konflikt außer Kontrolle zu geraten

Cyberwar klingt nach sauberem Krieg, ist aber hochgefährlich

Weißbuch 2016 – die Bundeswehr vor einer Neuorientierung?

Der Gedanke, dass Trump Herr über die Atomwaffen der USA werden könnte, ist unerträglich

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Die Gefahr der Eskalation ist groß: Der komplexe Konflikt in Syrien muss endlich gelöst werden!

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2015

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Den IS zu bekämpfen ist eine politische Aufgabe, die nicht militärisch gelöst werden kann

Nach Jahren des Zögerns muss von der Bundesregierung eine ernsthafte Friedensinitiative ausgehen

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Warum Menschen fliehen

OSZE: Möglichkeiten und Grenzen des Konfliktmanagements

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Zäh, schwierig, aber letztlich erfolgreich: Zusammenarbeit im UNO-Sicherheitsrat zahlt sich aus

Kubakrise – Nahe am Abgrund

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Gefährliche Blocklogik der Nato: Russland darf nicht aus dem Haus Europa ausgegrenzt werden

Die Mahnwachen – eine rechtsoffene Bewegung

Die Gefahr eines Atomkrieges ist in jüngerer Vergangenheit wieder deutlich gestiegen

Die Friedensbewegung hat keinen Grund zu verzagen, sie hat im Gegenteil gerade jetzt riesige Chancen!

Ergebnis von Minsk kann nur die grobe Richtung für eine Lösung des Ukraine-Konflikts vorgeben

„Friedenswinter“

2014

Die Lüge von der „Nachrüstung“

Leipzig 1989: „Wir sind das Volk – Montag sind wie wieder da“

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Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik?

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System kollektiver Sicherheit löst Konflikte und verhindert Krieg

2013

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Vor 25 Jahren: Yüksel Seleks schwierige Heimkehr in die Türkei

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Was soll eine Armee tun, die unser Land nicht mehr verteidigen kann und muss?

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2012

Ist ein Ende der Gewalt in Syrien mit nichtmilitärischen Mitteln denkbar?

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2010

Warum die NATO im 21. Jahrhundert keinen Sinn mehr macht (Aachener Nachrichten, 26.11.2010)

2009

Die erste Bresche im Eisernen Vorhang, Reportage vom 19.08.1989 in Ungarn

Krieg ist „ultima irratio“: Sicherheit gemeinsam gestalten