Otmar Steinbicker
Die Gefahr der Eskalation ist groß: Der komplexe Konflikt in Syrien muss endlich gelöst werden!
Aachener Nachrichten, 16.02.2016
Die Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende zeigte auf dramatische Weise die immense Gefahr, dass aus dem Pulverfass der Kriege im Nahen und Mittleren Osten ein Weltkrieg in Dimensionen entstehen kann, die wir in den letzten Jahrzehnten nicht mehr für möglich hielten.
Hauptbrennpunkt ist derzeit der seit knapp fünf Jahren anhaltende Krieg in Syrien, der als Bürgerkrieg begann und in dem inzwischen die Großmächte USA und Russland, europäische Staaten einschließlich Deutschland sowie die Regionalmächte Türkei, Iran, Saudi-Arabien sowie kleinere Staaten verstrickt sind. Dieser Krieg wird in etwas abgewandelten Konstellationen zugleich im Nachbarland Irak geführt.
Mantraartig versichern uns verantwortliche Politiker, dass dieser Krieg militärisch nicht gelöst werden kann und dennoch setzen alle Seiten weiterhin auf militärische Lösungsversuche. Keine Seite, auch Deutschland nicht, zieht ihre Truppen beziehungsweise Flugzeuge ab. Schließlich müsse der Kampf gegen den Terrorismus weiter geführt werden, heißt es von all jenen, die sich zugleich darüber streiten, wer zu den Terroristen und wer zu den jeweiligen Verbündeten zu zählen ist. Damit ist letztlich kaum ein Waffenstillstand denkbar, wohl aber hochgefährliche Eskalationsszenarien.
Das derzeit brisanteste und zugleich realistische Szenario ist eine militärische Auseinandersetzung zwischen russischen und türkischen Truppen auf syrischem Territorium, das den Nato-Bündnisfall auslöst und damit womöglich den Weltkrieg zwischen den beiden Atommächten USA und Russland. Deutschland als Nato-Verbündeter wäre dann einbezogen.
Bei der Sicherheitskonferenz waren alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer bemüht, jeweils anderen die Schuld für die Eskalation zuzuweisen. Wer auch immer Verantwortung auf Seiten der USA, Russlands, der Türkei, Irans oder Saudi-Arabiens benennt, kann dafür gute Gründe anführen. Der Streit darüber, wer da womöglich mehr und wer weniger Verantwortung trägt, lässt sich endlos führen, zeigt aber keinen Ausweg aus der Eskalationsgefahr.
Dass ein Atomkrieg zwischen den USA und Russland nicht überlebbar ist, wissen wir und auch die Verantwortlichen auf beiden Seiten. Auch ein großer, raumgreifender Krieg in Europa würde unserer Zivilisation inakzeptablen Schaden zufügen. Auch das wissen zumindest die meisten der Verantwortlichen. Wenn ein solcher Krieg verhindert werden soll, dann muss jetzt verantwortlich gehandelt werden.
Russlands Ministerpräsident Medwedew bemühte in seiner Rede in München das Bild vom Kalten Krieg, in dem man sich mit den USA befinde. Das ist sicherlich ein Teilaspekt der aktuellen Problematik, auch wenn die Situation im Vergleich zu den Hochzeiten des Ost-West-Konfliktes deutlich multipolarer und damit komplexer geworden ist. Dennoch könnte ein wesentlicher Ansatz darin liegen, dass sich die USA und Russland wie in jenen Zeiten ihrer besonderen Verantwortung bewusst werden und dazu beitragen, andere Heißsporne zu zügeln.
Unsere Sicherheit hängt davon ab
Dass sich ein solch komplexer Konflikt wie in Syrien nicht im Rahmen eines eintägigen Treffens im Vorfeld einer Sicherheitskonferenz lösen lässt, liegt auf der Hand. Hier konnte es nur um vage erste Maßnahmen zur Deeskalation gehen. Von deren erfolgreicher Durchsetzung hängt dann die Möglichkeit weiterer Maßnahmen ab. Mit der Lösung komplexer Konflikte hatte man in der Zeit des Kalten Krieges positive Erfahrungen im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gesammelt. Dort wurden unterschiedliche Interessen austariert und gegenseitig akzeptable Lösungen gefunden. Ein solches Herangehen, das wiederum Zeit benötigt, ist letztlich auch für Lösungen sowohl des Konfrontationsproblems in Europa als auch des Syrien-Konflikts erforderlich.
Unsere Sicherheit, möglicherweise gar unser Überleben in Deutschland und Europa ist davon abhängig, dass jetzt schnell solche Verhandlungsformate gefunden und aktiviert werden. Die deutsche Diplomatie sollte dazu geeignete Initiativen ergreifen.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier