Otmar Steinbicker
Die Nato sendet ein martialisches Signal nach Moskau
Aachener Nachrichten, 09.07.2016

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe
Der diesjährige Nato-Gipfel, das wurde bereits vorab deutlich gesagt, soll deutliche Signale setzen: an Russland, an die Welt und nicht zuletzt an die Nato selbst.
Geradezu martialisch klingt das Signal an Moskau. Gleich 4000 Nato-Soldaten aus Deutschland und anderen Ländern sollen nahe der russischen Grenze Polen und die drei baltischen Staaten vor einem Angriff schützen. Offen blieb vorab lediglich die Frage, ob diese Soldaten ständig stationiert bleiben, was einen offenen Bruch mit bisherigen Vereinbarungen mit Moskau darstellt, oder rotierend abgelöst werden, was praktisch das Gleiche ist, aber formal die Vereinbarungen nicht verletzt.
Die Signale an die Welt lauten: Der Afghanistankrieg geht entgegen vorherigen Abzugsankündigungen weiter und Militäreinsätze südlich des Mittelmeeres werden zumindest ins Auge gefasst.
Das wichtigste Signal aber geht an die Nato selbst und das lautet: Wir bleiben zusammen. Das ist angesichts des Brexits, der Probleme in der EU und der diffus auseinanderstrebenden Interessen der derzeit 28 Mitgliedsstaaten keine Selbstverständlichkeit. Tschechiens Präsident hat mit seiner Forderung nach einem Referendum über einen Ausstieg aus EU und Nato ein schrilles Zeichen gesetzt.
Ernsthafte Interessenunterschiede gibt es seit geraumer Zeit zwischen den USA und der EU. Der Ausstieg Großbritanniens als engstem Bündnispartner der USA aus der EU dürfte diese Fliehkräfte noch verstärken.
Medial hochgespielte Angst
Die medial hochgespielte Angst Polens und der baltischen Staaten ist eher Nostalgie als real. Russland wird keinen Nato-Staat angreifen. Das Ergebnis eines Krieges zwischen Russland und der Nato wäre die Vernichtung der europäischen Zivilisation einschließlich der genannten Staaten. Alle Beteiligten wissen das. Dass Regierungen in Zeiten innenpolitischer Probleme gerne ein äußeres Feindbild bemühen, ist nicht neu und Polen und die baltischen Staaten stecken in solchen Problemen. Obendrein haben sie noch Ärger mit der EU: Polen droht ein Verfahren der EU-Kommission wegen Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien bei der Justizreform und alle vier zeigten sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen äußerst unsolidarisch. Ihr Wehgeschrei bei der Nato erinnert an Kinder, die gerne einmal die Eltern gegeneinander ausspielen.
Innerhalb der EU mehren sich die Tendenzen, eine eigene von den USA unabhängige Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik zu entwickeln. Die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Frank-Walter Steinmeier und Jean-Marc Ayrault, legten dazu erst Ende Juni unter dem Eindruck des Brexit ein gemeinsames Papier vor, das bei der Kanzlerin auf Unmut stieß. Hintergrund sind nicht zuletzt Ungewissheiten im Hinblick auf die nächste US-Präsidentschaft. Hillary Clinton ist für militärische Abenteuern eher zu haben, als Obama es war. Donald Trump gilt als komplett unberechenbar. Obendrein richtet sich der Blick der USA seit langem eher in Richtung Pazifik, wo China verstärkt auch militärisch agiert. In Westeuropa fürchtet man vor allem verstärkte Flüchtlingsströme aus zusammenbrechenden Staaten in Nordafrika.
Wettrüsten und heikle Manöver
Diese hochkomplexe Gemengelage, in der der stark eskalierte Konflikt mit Russland wegen der Ukraine und der Krim-Annexion nur einen, wenn auch nicht geringen Teilaspekt ausmacht, soll jetzt einen Europa vernichtenden Krieg auslösen? Experten wie der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sehen diese Gefahr. Nicht in dem Sinne, dass Russland oder die Nato einen solchen Krieg planen und erklären, sondern dass Wettrüsten und heikle Manöver in solch einem Maße eskalieren, dass das brisante Pulverfass durch einen Funken explodiert.
Wer das verhindern will, muss jetzt Signale der Deeskalation setzen. Wenn die Nato vor allem aus innerer Zerrissenheit dazu nicht in der Lage ist, muss der Weg über die OSZE gesucht werden, die Nachfolgeorganisation der Konferenz für Sicherheit in Europa (KSZE), mit der der Kalte Krieg beendet wurde. Deutschland führt da gegenwärtig den Vorsitz.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier