Otmar Steinbicker

Die Mahnwachen – eine rechtsoffene Bewegung

FriedensForum 3/2015

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Der „Friedenswinter“ endete pünktlich zum kalendarischen Frühlingsbeginn. Am 21. März erschien die Tageszeitung „junge welt“ mit einem groß aufgemachten Interview mit Monty Schädel, dem politischen Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) unter der Überschrift: „Der ‚Friedenswinter‘ macht die Friedensbewegung kaputt“.

Monty Schädels Hauptvorwurf lautete, dass bei Mahnwachenveranstaltungen Personen aufgetreten sind, die auch in anderen Zusammenhängen eine Rolle spielen, zum Beispiel bei „ENDGAME“, den neurechten „ENgagierten Demokraten Gegen die AMErikanisierung Europas“.

Der Vorwurf, der gegenüber der im Frühjahr 2014 jäh aus dem Boden geschossenen Mahnwachenbewegung erhoben wurde, lautete schon unmittelbar nach Auftauchen dieser Bewegung, deren Organisatoren würden Positionen vertreten, „die anschlussfähig für antisemitische und rechtsextreme Ideologien seien“, so Dominik Clemens von der Koordinierungsstelle des Lokalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus (LAP) in Aachen auf einer Pressekonferenz am 10.4.2014

Die Kooperation für den Frieden wies am gleichen Tag in einer Erklärung darauf hin, dass es in einem Aufruf, der bundesweit gleichlautend zu Mahnwachen aufrief, nur eine einzige konkrete Position gab: „Gegen die tödliche Politik der Federal Reserve“. Und weiter: dass der Aufrufer Lars Mährholz auf seiner Webseite unter der Überschrift „Einige unserer Volksvertreter wachen auf!“ nur einen Einzigen per Video zu Wort kommen ließ: Karl Richter, Stadtrat und Vorsitzender der Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) in München und Leiter des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD-Landtagsfraktion im Sächsischen Landtag. Die Bemerkung, dass das „auf eine nicht nur zufällige Verbindung zum Rechtsextremismus“ hindeute, sollte sich später bewahrheiten. Mährholz, der sich als unpolitischer und zufälliger Gründer der Mahnwachenbewegung präsentierte, war schon von 2001 bis 2007 Mitglied und Beisitzer in einem NPD-nahen Journalistenverband. Auch bei anderen ProtagonistInnen dieser Bewegung wurden im Frühsommer 2014 frühere Verbindungen deutlich, die die Mär von der ach so spontanen neuen sozialen Bewegung zerstörten.

Natürlich musste die Friedensbewegung sich die Frage stellen, ob es sich bei den anfangs zahlreichen BesucherInnen der Mahnwachen ausschließlich oder vor allem um Personen mit Verbindungen zur rechtsextremen Szene handele oder ob sich dort auch junge Leute fanden, die ohne diesen Hintergrund und aus berechtigter Sorge vor einer Kriegseskalation nach politischen Aktionsangeboten suchten.

Die Antwort fiel beizeiten differenziert aus. In Aachen entwickelte sich ein Dialog, der dazu führte, dass sich die dortige „Friedensbewegung 2014“ binnen 14 Tagen von ihrem damaligen Sprecher wegen dessen antisemitischer Positionen trennte. In Stuttgart, wo sich inspiriert durch die Mahnwachen eine neue „Friedensbewegung Stuttgart“ bildete, ging man sehr schnell auf Distanz zur Berliner Zentrale um Mährholz.

Nachdem ich daraufhin Einladungen der Aachener „Friedensbewegung 2014“ und der „Friedensbewegung Stuttgart“ zu Kundgebungsauftritten angenommen hatte, bekam ich auch aus anderen Städten Einladungen, so aus Bonn, Hamburg und Leipzig. Wenn ich dort vorab eine öffentlich erkennbare Abgrenzung von Rechts als Voraussetzung für meinen Auftritt verlangte, stieß ich allerdings auf ausweichende Ablehnung. Auch die Gruppe „Menschen für den Frieden“ in Düsseldorf machte die gleiche Erfahrung, als sie die dortige Mahnwache kontaktierte. Eine Abgrenzung von Rechts wurde explizit abgelehnt. Damit waren spätestens Ende Mai die Aachener und Stuttgarter Beispiele als mögliches Modell des Umgangs mit den Mahnwachen gescheitert.

Im Verlauf des Juni ließ der Zulauf zu den Mahnwachen deutlich nach. Schon bald zeichnete sich ab, dass auch ein für den 19. Juli anberaumtes bundesweites Mahnwachentreffen das Schwächeln der Bewegung dokumentieren würde. In dieser Situation beschlossen rund 160 MahnwachenvertreterInnen aus circa 40 Städten bei einem Treffen in Weitersroda vom 27. bis 29. Juni 2014 eine Erklärung, die auch den Passus enthielt: „Wir stehen für globalen Frieden für alle Menschen in allen Bereichen und mit der Natur. Deshalb sind wir ausdrücklich gegen Hass, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus und jede Form von Faschismus.“

BefürworterInnen eines Zusammengehens mit den Mahnwachen innerhalb der Kooperation für den Frieden werteten das als ausreichende Abgrenzung von Rechts. KritikerInnen blieben skeptisch, da keine Auseinandersetzung der TeilnehmerInnen, unter ihnen Lars Mährholz, mit früheren Aussagen und früherem Verhalten erkennbar war. Wer die Aussagen der Mahnwachen-TeilnehmerInnen in den Facebook-Foren verfolgte, sah Befürchtungen bestärkt. Das bundesweite Mahnwachentreffen am 19. Juli, bei dem auch der Rechtspopulist Jürgen Elsässer gemeinsam mit den angeblich „antifaschistischen“ Weitersrodaern auftrat, blieb dann auch mit 1.500 TeilnehmerInnen weit hinter den Erwartungen zurück. Die Mahnwachen hatten erkennbar ihren Zenit überschritten. In den folgenden Monaten ging auch in Großstädten die Zahl der TeilnehmerInnen deutlich zurück, meist unter 100, manchmal auch unter 20.

Dennoch lud die Kooperation für den Frieden die Überbleibsel der Mahnwachenbewegung im Oktober zu einer Aktionskonferenz ein, die dann gemeinsame Aktionen unter der Bezeichnung „Friedenswinter“ beschloss. Die Teilnahme an den für Dezember festgesetzten Aktionen blieb deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Anschließendes kritisches Nachdenken innerhalb der Friedensbewegung über den „Friedenswinter“ korrespondierte mit neuen Differenzierungsprozessen innerhalb der Mahnwachenbewegung. Vereinzelt traten mit Stephane Simon Mahnwachen-RednerInnen auch bei der PEGIDA-Bewegung auf. Andere, wie die Band „Bandbreite“ oder die Hamburger Mahnwachen-Protagonistin Kathrin McClean traten gemeinsam mit dem Rechtspopulisten Jürgen Elsässer auf.

Mitte Januar erklärten ehemalige AdministratorInnen der größten Facebook- Gruppe der Mahnwachen „Aufruf zum friedlichen Widerstand ...“ um Meike Brunken, die gemeinsam mit VertreterInnen aus der Friedensbewegung den Aufruf zum „Friedenswinter“ mit entworfen hatte, ihren Ausstieg aus dem „Friedenswinter“.

In einer Erklärung im Aachener Friedensmagazin aixpaix.de schrieben sie unter anderem:

„Wir halten die Kritik der Teile der Friedensbewegung, denen einige Themen und Theorien der Mahnwachenbewegung suspekt und untragbar schienen, für berechtigt, auch wenn wir uns selbst als durchaus tragbare Bestandteile dieses Friedenswinters verstehen und ihn bisher mitgetragen haben.

Wir finden, dass Teile der Mahnwachenbewegung in manchen Orten und in Facebookgruppen immer noch zu sehr oder erneut nach Rechts offen sind. …

Wir können in der Friedensbewegung nicht dulden, dass Menschen antisemitische Theorien, Thesen, Bilder aufgreifen, selbst wenn wir zum Beispiel Kritik am israelischen Regierungshandeln oder auch am bestehenden Wirtschaftssystem in einem bestimmten Rahmen für zulässig halten.“

Die Problematik, dass die Mahnwachenbewegung nach rechts hin offen war, war von Anfang an bekannt und wurde zwischenzeitlich und bis heute allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz immer wieder bestätigt.

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


World Wide Web aixpaix.de

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