Otmar Steinbicker

Israel muss sich entscheiden

Aachener Nachrichten, 11.06.2015

Otmar Steinbicker, Foto: Beate Knappe

Die internationale Diplomatie mischt die Karten im Nahostkonflikt neu. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Rechtsaußenregierung geraten massiv unter Druck. Frankreich hat einen Entwurf für eine Resolution des UN-Sicherheitsrats vorgeschlagen, um ernsthafte Verhandlungen über eine Zwei-Staaten-Lösung zu erzwingen. Und US-Präsident Barack Obama warnte Netanjahu, die Glaubwürdigkeit Israels aufs Spiel zu setzen. Gekämpft wird mit für die Diplomatie außergewöhnlich harten Bandagen.

Ist Israel bereit zu einem Frieden in Richtung einer Zwei-Staaten-Lösung, die wiederum im Prinzip auf den Grenzen von 1967 beruht? Die israelische Nation ist in dieser Frage tief gespalten. Für den Friedensaktivisten und „Jerusalem Post“-Kolumnisten Gershon Baskin ist völlig klar: Als Friedenslösung kann nur eine Zwei-Staaten-Lösung in Betracht kommen: „Keine Seite will unter dem Kommando der anderen Seite leben. Die Juden wollen ihren eigenen Staat, die Palästinenser ebenfalls. Wenn diese beiden Staaten existieren, können sie in friedlicher Nachbarschaft leben.“

Obamas harsche Kritik

Netanjahu hatte im März während des Wahlkampfes gesagt: „Mit mir wird es keine Zweistaaten-Lösung geben.“ Dass er bereits 24 Stunden später unter dem Druck internationaler Proteste verbal zurückruderte, trug nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Obama hielt ihm vor, seine Definition einer Zwei-Staaten-Lösung mit so vielen Hürden zu versehen, dass sie nicht mehr umsetzbar sei.

Dem Ministerpräsidenten verschlug Obamas harsche Kritik erst einmal die Sprache. Er ließ sofort die Regierungsstellen anweisen, keinerlei Kommentare zum Obama-Interview abzugeben. Angesichts der deutlich artikulierten Position der USA, der Europäischen Union und weiterer bisher treuer Verbündeter Israels, sich nicht mehr mit Ausreden vertrösten zu lassen, ist jetzt wohl erst einmal Nachdenken angesagt.

Dass die israelische Regierung jetzt vor Obama einknickt, ist dennoch nicht zu erwarten. Netanjahu hat sich immer wieder als fintenreicher Taktierer und politischer Überlebenskünstler gezeigt. Doch welches Repertoire findet er noch in seiner Trickkiste? Was Obama angeht, so mag er hoffen, das Problem erfolgreich aussitzen zu können. Sowohl Hillary Clinton als auch andere aussichtsreiche Kandidaten für die US-Präsidentschaft dürften ihm freundlicher gesonnen sein.

Zwei Staaten oder Isolierung

Doch es geht nicht nur um die persönlichen Beziehungen zwischen Netanjahu und Obama. Nicht nur in den USA, sondern auch in der EU nimmt die Bereitschaft zu, Druck auf Israel auszuüben, um eine Friedenslösung zu herbeizuführen. Eine große Koalition in Israel könnte Netanjahu vom Makel der Rechtsaußenregierung befreien. Doch reicht das allein? Eine neue bewaffnete Auseinandersetzung um Gaza wäre nicht militärisch, aber diplomatisch riskant.

Lässt sich Israel zum Frieden zwingen? Jetzt muss auch die große Mehrheit der Israelis neu nachdenken, wie sie sich das künftige Zusammenleben mit den Palästinensern vorstellt. Zwei Staaten oder weitere Besatzung? Neue Perspektiven für eine Zusammenarbeit auch mit der arabischen Welt oder zunehmende weltweite Isolierung? Konkrete Fragen fordern konkrete Antworten.

Otmar Steinbicker ist Redakteur der Zeitschrift "Friedensforum" und Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier


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