Otmar Steinbicker
Wie in Europa mit alten Methoden für eine neue Aufrüstung Stimmung gemacht wird
Aachener Nachrichten, 05.12.2017
Die europäischen Streitkräfte seien ausgezehrt, ineffizient und auf die neuen Krisen, die den Kontinent bedrohen, nicht eingestellt. Das berichtete „Der Spiegel“ vor Tagen als Kernaussage eines noch unveröffentlichten Reports der Münchner Sicherheitskonferenz. Die geforderten Konsequenzen liegen auf der Hand: neue Rüstungsprojekte und eine Orientierung auf eine modernere Kriegsführung.
So etwas kennen wir noch aus Zeiten des Kalten Krieges. Da gab es immer wieder Forderungen nach „Nachrüstung“. Da der Warschauer Pakt und die Nato asymmetrisch rüsteten, die einen stärker zu Lande, die anderen stärker zur See, ließen sich ständig neue Lücken beim Vergleich einzelner Waffensysteme entdecken. Immerhin gab es da aber noch das Bemühen, ein Bedrohungsszenario zu skizzieren, das uns eindrucksvoll schilderte, wie denn die andere Seite einen Krieg gewinnen könne, wenn wir nicht endlich aufrüsteten.
Heute verzichtet man lieber auf konkrete Bedrohungsszenarien. Da heißt es zwar, Russland sei vom Partner zum Gegner geworden, ein Vergleich der Waffensysteme der Nato mit denen Russlands wird aber wohlweislich unterlassen. Er würde eher Russland Argumente für eine weitere Aufrüstung liefern. Stattdessen müssen vage Formulierungen herhalten. Aktuell lässt sich auch noch mit der Unberechenbarkeit von US-Präsident Donald Trump Stimmung für eine europäische Aufrüstung machen.
Wer jedoch das Weißbuch der Bundeswehr gelesen hat, das im Sommer 2016 veröffentlicht wurde, als Trump noch nicht gewählt war und die Fachleute fast ausnahmslos von einer Wahl Hillary Clintons ausgingen, weiß, dass es letztlich nicht um Trump geht, sondern um einen neue europäischen Militärstrategie unter Berücksichtigung einer geänderten Militärstrategie der USA.
Während die USA sich zunehmend auf den Pazifik und den ökonomischen Hauptkonkurrenten China ausrichteten, blickten die europäischen Nato-Partner mehr und mehr auf die Migrationsströme aus Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten. So schrieb schon im Juli 2016 Anna Maria Kellner, Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Mit Blick auf die Flüchtlingskrise sei nur erwähnt, dass der ehemalige Kommandeur der Nato Allied Joint Force Command, General Hans-Lothar Domröse, die Flüchtlingskrise als eine der zentralen Ursachen für ein fundamental gewandeltes sicherheitspolitisches Umfeld sieht.“ Eine Bedrohung durch Russland sei dagegen geringer zu veranschlagen: „Aber so dringend sich diese Herausforderungen im Osten zurzeit darstellen, so wahrscheinlich ist, dass sie vorübergehender Natur sind. Die Probleme im Süden sind viel grundsätzlicherer, struktureller Natur und weit weniger abhängig von einzelnen Personen oder Führungseliten, die irgendwann die politische Bühne verlassen werden.“
Gigantisches Geschäft
Mit welchen militärischen Szenarien die Migration bekämpft werden soll, wird bisher nirgends ausgeführt. Somit gibt es auch keine Orientierung auf spezifische Waffensysteme. Modernisiert und aufgerüstet werden soll letztlich das gesamte Repertoire und das vor allem mit neuen Waffen aus europäischer Produktion. Gleichzeitig soll der Anteil der Militärausgaben eines jeden Landes in den nächsten Jahren auf zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts steigen. Für Deutschland und die meisten europäischen Länder bedeutet das eine Verdopplung des Militäretats – ein gigantisches Geschäft für die Branche.
Kein Wunder, dass mittlerweile 23 EU-Staaten militärisch enger zusammenarbeiten wollen, vor allem auch, um sich diesen Kuchen zu teilen. Da Großbritannien nicht im Boot ist, sind es vor allem Deutschland und Frankreich, die in dem neuen Militärbündnis neben der Nato die politische Führung beanspruchen. Beide Länder haben auch die entwickeltste Rüstungsindustrie.
Politische Konzepte zur Lösung der Probleme – sei es der Konflikt mit Russland, sei es die Migration – sind bisher nicht in der Debatte und auch nicht in Sicht. Es fragt bisher sogar kaum jemand danach.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Seine Beiträge finden Sie hier